Das "heilende Museum" in Berlin

Wenn Kunst der Seele guttut

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Das heilende Museum
Nachweis

Foto: Andreas Kaiser

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Zwischen den Exponaten sitzen Meditierende. Manche hören mit Kopfhörern die Meditationen des Museums. Diese können helfen, die Aufmerksamkeit zu lenken.

Im Berliner Bode-Museum kann man seit einiger Zeit meditieren. Heilendes Museum heißt das Konzept. Zwischen Jesusfiguren, Madonnen und Buddhas sitzen Menschen auf Kissen, um einen Moment lang mit sich und der Welt eins zu sein.

Dass in Raum 124 des Bode-Museums in Berlin etwas anders ist als in anderen Ausstellungen, sieht man bereits am Eingang. Für Interessierte liegen dort rund 20 Meditationskissen bereit. Vereinzelt sitzen Museumsgäste auf dem Boden, manchmal sollen es bis zu 30 Menschen sein. Die Augen geschlossen, hören sie sich über Kopfhörer sogenannte Achtsamkeitsmeditationen an. Auf einem Schild ist nachzulesen, dass das Heilende Museum ganz „dem emotionalen Wohlbefinden gewidmet“ ist. „Damit wollen wir zeigen, dass Museen für die Menschen da sind“, sagt die zuständige Kuratorin Maria López-Fanjul. Vor allem aber „möchten wir Besucherinnen und Besuchern, die damit noch keinen Kontakt hatten, das wunderbare Werkzeug der Meditation näherbringen. Meditation kann helfen, Krisen zu überwinden“, sagt die Katholikin, die selbst seit einigen Jahren Vipassana, eine besondere Form der Achtsamkeitsmeditation, praktiziert. 

López-Fanjul
Maria López-Fanjul. Foto: SPK Benne Ochs

Wie recht López-Fanjul mit ihrer Bemerkung hat, belegen etliche Studien. Bereits in den 1970er Jahren bewiesen Ärzte, dass Kontemplation und Meditation psychischen Stress und chronische Spannungsschmerzen reduzieren sowie den Blutdruck senken können. Zum Teil sind sie ähnlich wirksam wie ein Antidepressivum, nur ohne Nebenwirkungen, sagen Forscher. Darüber hinaus senken Museumsbesuche sowie die regelmäßige Teilnahme an Kulturveranstaltungen laut einer Studie der Universität London von 2019 den Cortisolspiegel und erhöhen die Ausschüttung des Glückshormons Serotonin. Diese medizinischen Erkenntnisse über die Wirkung von Meditation und Kunst hat das Bode-Museum „nun erstmals in einem Praxisprojekt zusammengebracht“, sagt López-Fanjul.

Sechs verschiedene Meditationen wurden eigens für das Heilende Museum eingesprochen. Sie können über das Smartphone oder über die am Museumseingang ausgegebenen Audioguides abgerufen werden. In den Meditationen geht es allerdings kaum um die ausgestellte Kunst. Vielmehr sind es Übungen für eine aufmerksame und nicht wertende Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments, beispielsweise des eigenen Atems oder anderer körperlicher Empfindungen. Gleichwohl haben die Skulpturen und Büsten in der Ausstellung eine große Wirkung. 

Meditation verbindet Religionen

Mit feinem Gespür hat die Kuratorin des eigentlich auf christliche Tradition spezialisierten Hauses die Ausstellungsstücke in Raum 124 um Exponate aus anderen Religionen ergänzt. Neben einem Christus-Kopf, einem Relief der Gottesmutter Maria sowie einer Skulptur von Johannes dem Täufer sind dort jetzt auch zwei Buddha-Figuren, eine muslimische Gebetskette sowie die Büste einer römischen Kaiserin zu finden, die vom Stoizismus beeinflusst wurde. Die antike Philosophie hatte sich bereits 300 Jahre vor Christi Geburt der Einübung innerer Ruhe und emotionaler Stabilität verpflichtet. 

Auch wenn die Zusammenstellung der Kunstwerke auf den ersten Blick etwas zufällig wirken mag, so steckt dahinter doch ein Konzept. Die Exponate stehen laut López-Fanjul für die in allen Religionen seit vielen Jahrhunderten vorhandenen „und teils eng miteinander verwobenen Meditationstraditionen“, sagt sie. 

Bode-Museum
Das Bode Museum an der Nordspitze der Spreeinsel in Berlin-Mitte. Foto: Andreas Kaiser

Auch sonst passt der kontemplative Ansatz gut zum Bode-Museum. Das Haus an der nördlichen Spitze der Museumsinsel beherbergt eine Sammlung sakraler Kunst, etwa Madonnen und Jesusfiguren, und ist deutlich weniger überlaufen als andere Museen der Stadt. Besucher beschreiben den Charakter des Museums mit dem großzügigen Platzangebot um jedes einzelne Exponat schon lange als meditativ. Gerade in dem oft vom Partytourismus gekennzeichneten Berlin bietet das Museum einen Rückzugsort, wie man ihn sonst eher in Kirchen und Tempeln findet. 

„In Kanada werden Museumsbesuche sogar schon seit 2018 auf Rezept verschrieben“, erklärt López-Fanjul. So weit ist man in Deutschland zwar noch nicht. Aber immerhin gibt es auf der Webseite des Museums für chronisch Kranke die Möglichkeit, sich ein Freiticket zu reservieren. Ermöglicht wurde das unter anderem durch die Kooperationen mit der Berliner Fachstelle für Suizidprävention, an der auch die Caritas beteiligt ist. Das Heilende Museum wird zudem von Medizinern der Charité begleitet. Die Universitätsklinik möchte dort demnächst die Wirkung von Kunst und Meditation auf Patienten mit Multipler Sklerose erkunden. 

Einen Wermutstropfen gibt es dennoch. Halle 124 ist ein Durchgangsraum. Gerade zu Stoßzeiten könne das Laufpublikum die Konzentration stören, sagt eine Besucherin. Auch der Name des Projekts könnte unrealistische Heilserwartungen wecken. Die von Krankenkassen bezuschussten Einführungskurse in die Achtsamkeitsmeditation dauern nicht umsonst rund acht Wochen. „Die Ausstellung soll den Menschen lediglich einen Einstieg anbieten“, sagt Kuratorin López-Fanjul. Aber dieser Einstieg könnte sich lohnen – und die Berliner Museumsinsel ist ohnehin immer eine Reise wert. Sie feiert in diesem Jahr ihr 200-jähriges Jubiläum.

Andreas Kaiser