Teil 4 unserer Adventsserie

Wer leitet mich?

Image

Vierter Advent. Wir gehen auf Weihnachten zu. Mancherorts wird der Stall von Betlehem bereits aufgebaut. Noch leer. Nach und nach werden Figuren hinzugestellt. Und diesmal: der Stern. 

Eine Illustration zeigt Maria auf einem Esel, Hirten und den Stern von Betlehem.
Da strahlt er auf, der Stern über Betlehem.

Von Ulrich Waschki 

Der Stern an der Krippe ist eigentlich etwas zu früh dran. In der biblischen Überlieferung taucht er erst auf, als Jesus bereits geboren ist. Aber trotzdem gehört ein schöner Stern in den meisten Weihnachtskrippen schon am Heiligen Abend dazu. In der Bibel führt dieser Leitstern die Sterndeuter zum Jesuskind. „Stern über Betlehem, zeig uns den Weg“, heißt es im Kinderlied.

Tatsächlich waren die Sterne lange Zeit so etwas wie ein altertümliches Navigationssystem. Der Polarstern zeigte Seefahrern, wo Norden ist. Heute haben die Sterne ausgedient. Allenfalls liefern sie noch das romantische Beiwerk einer lauen Sommernacht. Moderne Technik ist viel genauer. Sie zeigt die Position nicht nur ungefähr, sondern ganz exakt. Keine Wolke kann sie verdunkeln. Schiffe oder Flugzeuge können so fast nicht mehr die Orientierung verlieren. Die Sterne haben zu Recht ausgedient.

Leitsterne alter Zeit sind verblasst

Bei uns Menschen ist das anders: Früher war alles so einfach. Die Leitsterne, die die Richtung vorgaben, waren die Kirche, gesellschaftliche Konventionen, die eigene Familie und ihre Traditionen. Wehe, wer ausscherte! Heute muss niemand mehr den Beruf ergreifen, den seine Eltern ihm ausgesucht haben. Niemand muss eine von vorneherein zum Scheitern verurteilte Ehe eingehen, weil ein Kind unterwegs ist. Zum Glück haben wir uns von diesen Regeln freigemacht und dürfen unseren Weg selbst bestimmen. 

Manche meinen, weil es für viele Zeitgenossen keinen Leitstern – keinen Gott – und keine klare Richtung mehr gibt, wird alles beliebig, gerät die gesellschaftliche Moral ins Wanken. 

Das ist sicher zu pessimistisch gedacht. Ich brauche kein höheres Wesen, keinen absoluten Fixpunkt, um ein guter Mensch zu sein. In der elften Klasse saß ich im Deutschunterricht im Gymnasium im katholischen Münsterland neben einem Mitschüler, der in der DDR aufgewachsen war. Immer wieder versuchte er – freundschaftlich, nicht gehässig –, mich mit meinem Engagement als Messdiener in der Jugendarbeit unserer Pfarrgemeinde aufzuziehen und Witzchen darüber zu machen. Gott gab es für ihn nicht. Und dennoch war dieser Mitschüler ein guter Mensch, der genauso wie ich versuchte, ein im moralischen Sinne gutes Leben zu führen. Wozu braucht es dann überhaupt noch einen Leitstern?

Dieser Leitstern, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern, zieht hoch erhaben vor uns her. Seine Forderungen sind anspruchsvoll. Wer Jesu Vorbild als unmittelbaren Maßstab für das eigene Leben nimmt, scheitert an diesem Leitstern Tag für Tag. 

Im Leid lässt er uns nicht allein

Weil wir nicht so strahlen, nicht so radikal lieben können wie er. Eigentlich müssten wir doch jedem Bettler etwas geben. Auf den Urlaub verzichten. In einer kleineren Wohnung leben. Einfacher essen. Weniger schwätzen, lästern, schimpfen. Ja, dieser Leitstern ist ein Ideal, das unerreichbar ist. 

Aber: Dieser Leitstern, unser Gott, bleibt eben nicht oben am Himmelszelt, strahlend bereit, angebetet zu werden. Dieser Leitstern kommt zu uns herunter, erdet sich, weil er Mensch wird. Er ist nicht das Buch mit den Vorschriften zum guten Leben, sondern gibt ein Beispiel. Mit seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung verleiht er Hoffnung darauf, dass am Ende alles gut wird. Erlösung nennt man das. Irgendwann einmal müssen sich alle Menschen für ihre Taten, aber auch für ihre Unterlassungen rechtfertigen – das Böse gewinnt nicht! Im Leid lässt uns dieser Leitstern nicht allein. Das beginnt zu Weihnachten im Holz der Krippe in einem jämmerlichen Stall. Und endet – vorläufig – am Holz des Kreuzes in Folter und Tod. 

Große Worte. Aber so ist das mit Leitsternen und Vorbildern. Ich kann sie auf den Sockel stellen, ein Kerzchen davor anzünden und sie anhimmeln. Ohne große Konsequenzen für mein Leben. Unser christlicher Leitstern, Jesus, will aber etwas anderes: Er will, dass wir unser Leben wirklich nach ihm ausrichten und es verändern. Er will, dass wir lieben wie er. Meine Frau und meine Kinder zu lieben, wenn wir alle entspannt und fröhlich zusammen sind, ist einfach. Es geht aber darum, auch zu lieben, wenn es schwer oder unangenehm wird. 

Wie gehen wir mit dem unangenehmen Nachbarn um? Wie mit der nörgeligen, alleinstehenden alten Tante? Wie mit dem manchmal ein bisschen unverschämten Bettler? Wie reagieren wir, wenn es Streit gibt in der Familie, bei der Arbeit, im Verein? Hauen wir noch einmal drauf und wollen uns um jeden Preis durchsetzen? Oder helfen wir, Brücken zu bauen? Kleine Schritte reichen: ein freundlicher Gruß für den Nachbarn, ein Anruf bei der alten Tante, eine scharfe Antwort auf eine böse Bemerkung runterschlucken, dem Bettler zulächeln. Jesus, unser Leitstern, gibt uns eine Richtung vor.