Der Jesuit Clemens Blattert hilft jungen Leuten, den richtigen Weg zu finden
Wie Leben gelingt
Jesajas Berufung ist überwältigend: Er steht im Tempel und sieht Gott auf seinem Thron, umringt von Engeln, die immerzu Gott loben und „heilig“ rufen. Die Türen zittern, das Haus füllt sich mit Rauch. Und heute?
Von Kerstin Ostendorf
So berauschend und bombastisch hat Clemens Blattert seine Berufung zum Priester nicht erlebt. „Bei Jesaja geht alles unglaublich schnell. Als Leser hat man das Gefühl, innerhalb eines Nachmittags hat er diese Vision und entscheidet sich zum Aufbruch“, sagt Blattert, der das Zentrum für Berufungspastoral in Frankfurt am Main leitet. Bei ihm sei es nicht ein einzelnes Ereignis gewesen, sondern eher ein Berufungsweg. „Es gab immer wieder Momente, in denen ich gespürt habe: Wow! Das, was du hier tust, das macht dich lebendig, das ist sinnstiftend und erfüllend“, sagt Blattert. Er habe das in der Liturgie gemerkt, wenn er sich in kleinen Gruppen mit anderen über den Glauben austauschte, oder als er den Kirchenchor dirigierte. „Das waren keine rauschenden Visionen wie bei Jesaja. Aber doch Momente, wo ich das gespürt habe, was Jesaja beschreibt: Erfüllt ist die ganze Erde von seiner Herrlichkeit“, sagt der 44-Jährige.
Ein Wendepunkt war ein Intensivkurs zur Kirchenmusikerausbildung, den er als 15-Jähriger besucht hat. „Wir waren alle zusammen im Gottesdienst. Ich habe mich so wohlgefühlt. Ich spürte eine innere Ruhe und Kraft. Das war keine Euphorie, sondern ein tief empfundenes Glücklichsein. Da kam mir zum ersten Mal der Gedanke: Wäre es nicht etwas für mich, Priester zu werden?“, erinnert sich Blattert. Ähnliche Berufungsgeschichten hat er als Studentenpfarrer in Leipzig, in der Berufungspastoral des Jesuitenordens und nun im Zentrum für Berufungspastoral erlebt. „Es kommen junge Menschen zu uns, die in ihrer Gemeinde, in der Liturgie, im sozialen Engagement oder in der Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten die Gemeinschaft mit Gott als lebendig empfunden haben“, sagt Blattert.
Zeit geben, den richtigen Weg für sich zu finden
Dabei gehe es nicht darum, die jungen Erwachsenen nur für geistliche Berufe zu begeistern. Blattert versteht Berufung im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils als Gottes Einladung zu einem gelingenden Leben. „Vielleicht muss ich in meinem Orden irgendwann eine Aufgabe übernehmen, die mir nicht gefällt – und dennoch kann ich sagen, dass ich meine Berufung lebe. Denn dazu gehört die Gemeinschaft mit meinen Mitbrüdern, meine Spiritualität, meine Aufgabe als Seelsorger. Es ist nicht allein der Beruf, der unser Leben ausmacht“, sagt Blattert.
In die Zukunftswerkstatt der Jesuiten, die Blattert gründete, kommen junge Leute, die Orientierung suchen. „Sie fragen sich: Wie kann mein Leben gelingen? Es kann jemand kommen, der glaubt, seine Zukunft liegt im Ordensleben oder im Priesterberuf. Aber das ist nicht zwingend nötig“, sagt Blattert. Er möchte den Ratsuchenden die Möglichkeit und die Zeit geben, den richtigen Weg für sich zu finden und Lebensträume zu formulieren.
Mehr Nachfrage als Plätze
Dazu bieten die Jesuiten Auszeitwochenenden und Exerzitien an. Es ist auch möglich, für zwölf Monate bei ihnen zu leben. „Wir geben den jungen Leuten Freiraum, damit all das, was sie an Puzzleteilen mitbringen, auf den Tisch kommen kann“, sagt Blattert. „Dieser Prozess, den die jungen Erwachsenen hier durchleben, ist ungewohnt, und viele fragen sich, ob es überhaupt sinnvoll ist, sich damit zu beschäftigen. Deshalb wollen wir sie dabei gut begleiten.“ Blattert erinnert das an eine andere biblische Berufungsgeschichte: Samuel, der Gottes Stimme hört, aber nicht erkennt, und stattdessen in der Nacht zu seinem Lehrer Eli eilt. „Samuel brauchte Elis Hilfe, um die Stimme Gottes deuten zu können. So wollen auch wir den Menschen helfen. Die jungen Leute sollen verstehen lernen, was mit ihnen passiert, und nicht darüber erschrecken“, sagt Blattert.
Die Nachfrage nach Plätzen in der Zukunftswerkstatt übersteigt oftmals die Kapazität der Jesuiten. Dabei sinkt die Zahl derjenigen, die sich zum Priesterberuf oder zum Ordensleben berufen fühlen, seit Jahren. „Ich glaube, vielen fehlen Heiligkeitserfahrungen, wie Jesaja sie beschreibt, oder auch Orte, an denen sie gut begleitet werden“, sagt Blattert. Er erlebt, wie junge Menschen nach ihrem Aufenthalt in der Zukunftswerkstatt sagen: „Jetzt kann ich mir vorstellen, einen geistlichen Weg einzuschlagen.“ Zuvor hätten sie solche Gotteserfahrungen nicht gemacht. „Die Kirchengemeinden werden zum Beispiel nicht mehr als Ort erfahren, den Glauben zu leben. Das ist dramatisch – aber leider ist es so“, sagt Blattert.
Gott will auch heute das Evangelium verkünden
Die Kirche und Ordensgemeinschaften seien häufig überaltert, hingen in alten Schemen fest und könnten sich nur schwer an das neue Lebensgefühl der Gesellschaft anpassen, sagt er. „Ich glaube, wir stecken gesellschaftlich in einem Wandlungsprozess, und Kirche und Orden haben sich noch nicht richtig angepasst.“
Blattert ist sich sicher, dass es nach wie vor Berufungen gibt. „Gott will ja auch uns heute das Evangelium verkünden. Er sagt ja nicht: Bei euch habe ich keine Lust dazu“, sagt Blattert. „Unsere Zukunftswerkstatt ist der Versuch, dass junge Menschen heute so eine Erfahrung machen können, wie Jesaja sie erlebt hat. Wir lassen uns überraschen, was Gott in den jungen Menschen wecken wird.“