Wichtig für die Zukunft eines Caritaszentrums

Wirbel um Buslinie 106

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Wie abhängig soziale Infrastruktur vom Öffentlichen Nahverkehr sein kann, zeigt sich gerade in Offenbach. Die Stadt wollte eine Buslinie streichen. Die Zukunft des Caritaszentrums war bedroht. Hilft der gefundene Kompromiss? Von Anja Weiffen.



Die Offenbacher Stadtverordnetenversammlung hatte im Sommer 2021 beschlossen, die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs zu deckeln. Insgesamt 2,5 Millionen Euro sollen im ÖPNV gespart werden.


Es stand einiges auf dem Spiel für das Caritaszentrum Offenbach: Investitionen von 50 Millionen Euro, 80 neue Arbeitsplätze, der Erhalt von 151 Arbeitsplätzen und die Lebensqualität von 167 Seniorinnen und Senioren. Die Ankündigung der Stadt Offenbach, die Buslinie 106 ab Jahresmitte streichen zu wollen, hat die Offenbacher Caritas bewegt.

Alternative Haltestelle nicht zumutbar

Das Caritaszentrum besteht aus den beiden Altenpflegeheimen St. Ludwig und St. Elisabeth. De facto wäre die Bushaltestelle der Linie 106, die sich quasi in Sichweite der Einrichtung befindet und an der bisher die Busse im 15-Minuten-Takt Richtung Innenstadt fahren, bei einer Streichung der Linie weggefallen. Eine 800 Meter weiter gelegene Bushaltestelle einer anderen Linie wäre für die alten Menschen und auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Caritaszentrums eine schlechte, wenn überhaupt eine Alternative gewesen. „Der Weg zur Haltestelle ,Bert-Brecht-Straße‘ führt als Fahrradweg durch ein Waldstück oder alternativ auf einer unbefestigten Straße durch ein Gewerbegebiet“, erläutert die Offenbacher Caritasdirektorin Christiane Leonhardt-Içten. Für die noch mobilen Seniorinnen und Senioren ist das nicht zumutbar, auch nicht für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Schichtbetrieb arbeiten und diesen Weg auch in Dunkelheit gehen müssten. „Es hatte schon Stimmen von Mitarbeitenden gegeben, die sich gefragt hatten, ob sie ab Juli noch im Caritaszentrum arbeiten können“, weiß die Caritasdirektorin. Die älteren Menschen wären sozial isoliert gewesen, die Mitarbeitenden ausgebremst. Leonhardt-Içten: „Das hätte eine Abwärtsspirale für das Zentrum bedeutet.“

Aus- und Neubau des Zentrums geplant

Damit standen 50 Millionen Euro an Investitionen für einen Aus- und Neubau des Caritaszentrums auf der Kippe, der mindestens 80 neue Arbeitsplätze schaffen soll. Geplant sind auch eine neue Kindertagesstätte, eine Tagespflege-Einrichtung, ein Zentrum, das die Ausbildung von Erzieherinnen und Pflegepersonal unterstützt, sowie Angebote für seniorengerechtes und pflegenahes Wohnen.
Ist so ein ÖPNV-Sparprogramm mit solchen Auswirkungen auf die soziale Infrastruktur zu rechtfertigen? Inzwischen ist die Stadt Offenbach binnen Tagen zu einer Einigung mit der Caritas gekommen. Bürgermeisterin und Mobilitätsdezernentin Sabine Groß: „Es war immer vorgesehen, für das Caritaszentrum eine Lösung zu finden. Ein zusätzlicher Puffer war eingeplant.“ Sie habe zudem von Anfang an davor gewarnt, dass die von der Stadtverordnetenversammlung beschlossenen Einsparungen von 2,5 Millionen Euro beim ÖPNV massive Auswirkungen hätten. Auch sei die Caritas vor allen Stadtverordneten informiert worden. Nach dem neuesten Stand soll die Linie 106a nun ab Juli unter der Woche täglich zwölf Mal die Haltestelle am Caritaszentrum anfahren und zehn Mal zurückfahren, an Wochenenden und Feiertagen verkehrt die Linie acht Mal. Die Arbeitszeiten im Zentrum werden an diesen Takt angepasst, kündigt Leonhardt-Içten an, auch die Planungen für den Aus- und Neubau des Zentrums werden weiterverfolgt. „Mit dieser Einigung können wir leben, aber es ist ein Minimalkonsens“, sagt sie. „Wir hätten gerne mehr, aber wir sind dankbar, dass das Gespräch möglich war.“

Aktionstag Inklusion für Protest genutzt

Caritasdirektor Michael Klein und Caritasdirektorin Leonhardt-Içten hatten sich nach der Information über die Streichung mit Gesprächen an die Stadt gewendet. Seniorinnen und Senioren der betroffenen Altenpflegeheime nutzten ihren Aktionstag Inklusion, um gegen die angekündigte Maßnahme zu protestieren. Auch mediale Berichterstattung erhöhte den Druck.
Für die Zukunft wünscht sich die Caritas, früher in solche Überlegungen eingebunden zu sein und „dass man alle anderen Optionen  nutzt,  bevor  man  beim ÖPNV spart“, sagt Leonhardt-Içten. Sie betont: „Man kann nicht Seniorinnen und Senioren vom Leben abschneiden.“ Auch könne es sich nicht jeder leisten, seien es Mitarbeiter, Angehörige der Heimbewohner oder Ehrenamtliche, aufs Auto oder Taxi umzusteigen. Das Gute an dieser Krise sei jedoch, findet die Caritasdirektorin, dass deutlich werde, wie wichtig der ÖPNV ist. Auch Bürgermeisterin Groß hofft auf eine Debatte, ob Sparen an dieser Stelle sinnvoll ist.

Von Anja Weiffen