Sommerserie 2020 - Teil 3

Wolfszeit am Märchenschloss

Mit der Kirchenzeitung geht es in einen „Tierischen Sommer“. Dritte Station ist der Tierpark Sababurg. Durch imposante Alleen vorbei an Weiden mit Wisenten und Hirschen führt der Weg zum Wolfsgehege – einer der Attraktionen des geschichtsträchtigen Parks. Von Anja Weiffen.

Mit Schlafhaube und Brille. So sieht für manche Kinder ein Wolf aus. Die Bettdecke bis ans Kinn gezogen. Zähne ragen aus dem Maul. Rotkäppchen lässt grüßen. Kein Wunder, dass Kinder Wölfe sehen wollen. Wie sind Wölfe „in echt“? 

Der Tierpark Sababurg liegt rund 30 Kilometer nördlich von Kassel, mitten im Reinhardswald. Bei einem Besuch in dem Wildpark kommt das Raubtier gleich unter einigen Besuchern zur Sprache: „Ich will zum Wolf. Ich habe noch nie einen Wolf gesehen“, sagt ein kleiner Junge zu seinem gleichaltrigen Bruder. Eifrigen Schrittes folgen sie ihrer Mutter auf der großen Allee in Richtung Wolfsgehege. Doch schon nach einigen Metern biegen die Jungs spontan in die „Bienenwelt“ ab, wo ihre Mutter sie im Imkerhaus abholt.

Nach dem Corona-Lockdown sind wieder Familien im Tierpark Sababurg unterwegs. Eltern rattern mit Kinder- und Bollerwagen durch die alten Eichenalleen. Trotz fortdauernder Pandemie können sich die Besucher im Park frei ohne Maske bewegen. Nur am Ein- und Ausgang, an den Toiletten und in der Gastronomie kommen Alltagsmasken zum Einsatz. Aber bitte immer eine „Elchlänge Abstand“, wie es auf Hinweisplakaten mit einem Augenzwinkern heißt. 

Der Tierpark Sababurg ist der älteste, bis heute in seinem ursprünglichen Areal erhaltene Tiergarten Deutschlands. So informiert der Park über seine Geschichte. 1571 begann Landgraf Wilhelm IV., am Fuße seines Jagdschlosses Sababurg den Tiergarten einzurichten. Die Sababurg – hier soll Dornröschen 100 Jahre geschlafen und von einem Prinzen wachgeküsst worden sein – „thront“ über dem Park. Panoramablicke auf das Gemäuer mit den beiden Kuppeltürmen reizen immer wieder zum Stehenbleiben.

Vorbei geht’s an Gehegen und Weiden. Eines der Herzstücke des Tierparks: ein Bauernhof. Dort kräht gerade ein Hahn aus voller Brust. Hühner und Gänse picken eifrig ihre Körner. Alte und vom Aussterben bedrohte Haustierrassen werden hier gehalten. Damit möchte der Tierpark dazu beitragen, sie vor dem Aussterben zu retten und deren Vielfalt zu bewahren. Eines der Gebäude am Bauernhof heißt „Kirchenscheune“. Hier werden auch Gottesdienste gefeiert.

Nach einigen Metern abseits der großen Alleen, auf einem Fußpfad entlang einer Weide mit Przewalskipferden, ist das Ziel in Sicht: das Wolfsgehege. Noch sind kaum Leute aus dem Schwung der Besucher, die am Morgen mit in der Schlange vor der Kasse standen, an dem abgelegenen Gehege angekommen. Ruhig und verschlafen liegt das Wäldchen vor uns. Vom Hauptweg aus führt eine Abzweigung in den Wald. Unter dem dichten Blätterdach kommt „Rotkäppchen-Stimmung“ auf. Der Kuchen und der Thermoskannen-Kaffee im Rucksack landen aber nicht wie im Märchen im Rachen des Wolfs, sondern sind für ein späteres Picknick gedacht.

Fernglas mitnehmen nicht vergessen

Im Rucksack befindet sich ein Utensil, das beim Besuch des Parks nicht fehlen darf: ein Fernglas. Da! Etwas Graumeliertes hebt sich vom Waldboden ab. Das Fernglas scharf gestellt: Ja, dort zwischen den Bäumen liegt ein Wolf. Gelassen schaut er in die Landschaft. Als er Stimmen hört, hebt er schwerfällig sein Hinterteil. Er geht ein paar Meter. Hinter einem Baum lässt er sich wieder nieder. Faul legt er den Kopf auf die Vorderpfoten. Weiter streift der Blick durchs Fernglas über Stock und Stein. Zwei Meter vom ersten Wolf entfernt ist plötzlich ein Ohr zu erkennen. Wieder ein Wolf. Er liegt in einer Senke. Im Tiefschlaf. Die Wölfe genießen wohl gerade ihre Siesta. Zwischen Zweigen, Blättern schimmert noch etwas anderes hervor. Ein kurzer Schreck: Die Zweige entpuppen sich als Teil eines Gerippes. Ja, Wölfe sind Raubtiere. Sie essen Fleisch. Wie Menschen auch.

Gnadenlos verfolgt und in manchen Ländern ausgerottet

Am Wolfsgehege informiert eine Tafel über die Tierart, die in Rudeln lebt, einer der im Tierreich höchsten Organisa-
tionsformen. Früher war der Wolf in mehreren Unterarten fast über die gesamte nördliche Erdhalbkugel verbreitet. Der Mensch verfolgte ihn gnadenlos. Wer einen Einblick in die Geschichte dieser Verfolgung bekommt, merkt: Der Mensch war nicht nur drauf und dran, den Wolf fast auszurotten, sondern hat ihn auch als Projektionsfläche für eigene Grausamkeiten missbraucht. 

„Tatsächlich gehen Wölfe Menschen aus dem Weg“, heißt es auf der Informationstafel. Dass Wölfe etwa Schafe, also „Nutztiere“, erbeuten, wenn diese nicht ausreichend gesichert sind, ist ein Konflikt, der früher bestand und noch heute besteht. Eine Tierart zu gefährden oder auszurotten, rechtfertigt dieser Konflikt aber nicht. Zudem gibt es (Elektro)Zäune und Hütehunde. Die Debatte um die Wiederansiedlung von Wölfen in Deutschland – häufig emotional geführt – dauert an.

Die Wölfe im Tierpark Sababurg haben damit zum Glück nichts zu tun. Aber wer genau wohnt im Wolfsgehege? Auf Nachfrage antwortet Dr. Sandy Walgenbach von der Tierparkverwaltung. „Wir halten seit 1991 Europäische Grauwölfe in unserem Park, damals begannen wir mit drei Jungwölfen.“ 2014 wurde das Gehege um einen Waldanteil erweitert, so dass den Tieren nun mehr als 10 000 Quadratmeter zur Verfügung stehen. „Daher braucht man manchmal etwas Geduld, um die Tiere im Dickicht zu entdecken.“ Aber so könnten sich die „Rentner“ einfach mal zurückziehen, wenn sie keine Lust auf Besucher haben. Momentan gibt es fünf Rüden im Gehege, die im Park in den Jahren 2007, 2008 und 2009 geboren sind. Sie sind im Senioren-Wolfsalter von elf, zwölf und 13 Jahren. Zwei Mitglieder der „Rentner-Gang“ sind also in den Fokus des Fernglases geraten. Klar, dass die betagten Tiere gerne ein Mittagsschläfchen halten. Clint, Fenrir, Albert, Loupo und Aaron – so heißen die fünf. Dankbar können Parkbesucher sein, wenn die Tiere gelassen Einblicke gewähren in ihr märchenhaftes Wohnzimmer am Fuß der Sababurg.

 

Tierpark Sababurg, Sababurg 1,
34369 Hofgeismar, Telefon 05671 / 7 66 49 90, 
www.tierpark-sababurg.de

 

Tipp: Unweit vom Tierpark liegt der Urwald Sababurg mit jahrhunderte alten Hute-Eichen. Der Urwald steht seit 1907 unter Schutz. www.naturpark-reinhardswald.de