Ein Gefängnisseelsorger ist neuer Berliner Domkapitular
Zeige mir deine Wunde
Image
Er wollte eigentlich lieber nur bei den Menschen „am Rand“ bleiben, statt neue Ämter zu übernehmen. Aber der Erzbischof ließ nicht locker: Seit dem 29. Juni ist Gefängnisseelsorger Stefan Friedrichowicz Domkapitular.
Als Gefängnisseelsorger hat Domkapitular Friedrichowicz das „Café Rückenwind“ bei St. Rita in Berlin-Reinickendorf ins Leben gerufen. | Foto: Gunnar Lammert-Türk |
„Ich bin nicht der Richtige. Ich bin ein Arbeiterkind. Nehmen Sie einen Gebildeten!“ So reagierte Pfarrer Stefan Friedrichowicz zunächst, als ihn Erzbischof Koch fragte, ob er ihn als Domkapitular dabei unterstützen würde, der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlins Mitte frisches Leben einzuhauchen. Friedrichowicz hatte keinen Bedarf an neuen Ämtern oder Aufgaben. Der Gefängnisseelsorger wollte „bei den Menschen am Rand“ bleiben.
Freilich, ungebildet ist er nicht, aber wenn es zu theoretisch wird, ist er lieber nicht mit von der Partie. Und das hatte er wohl befürchtet, auch wegen des Umfelds der Kathedrale mit Universität, Oper und Pierre Boulez-Saal. Friedrichowicz versteht sich nicht als Intellektueller. Es war ihm immer ein Anliegen, theologische Themen und Aussagen „in eine Sprache zu übersetzen, die der Mann auf der Straße versteht.“
Ein wenig sieht er sich wohl selbst als Mann von der Straße und das mag mit seiner Herkunft als Arbeiterkind etwas zu tun haben. Der Sohn eines Bäckers und einer Hausfrau kam 1953 als viertes von fünf Kindern zur Welt. Die klare kompromisslose katholische Ausrichtung der Familie kam auch darin zum Ausdruck, dass die Kinder nicht Pioniere wurden und auch nicht der FDJ beitraten.
Friedrichowicz, der protestiert, wenn es ihm nötig scheint, wurde in den DDR-Jahren in der Schule darauf aufmerksam gemacht, dass sein Widerspruch, wenn es um Politik und Religion ging, nicht erwünscht war. Als er dem Spott des Lehrers über den heiligen Martin mit genauer Kenntnis des römischen Offiziersmantels, den der Heilige geteilt hatte, begegnete, sagte der Lehrer: „Hier habe ich das Sagen!“ Und auf den Einwand: „Es ist aber die Wahrheit“ hieß es: „Das spielt keine Rolle.“ Wirklich beeindrucken ließ sich Friedrichowicz davon nicht. Er widersprach weiterhin. Nur die Verweigerung des Wehrdienstes gab er angesichts der drohenden Gefängnishaft auf.
Nach der Armee überlegte er, ob er heiraten oder Priester werden sollte. Die Frage des Pfarrers im Weihnachtsgottesdienst 1974: „Wer wird das Evangelium weiter tragen?“ bezog er auf sich und deutete sie als Bestätigung der Priesterlaufbahn. 1984 begann er seine Arbeit und sein Leben als Priester und Pfarrer. Ein bewegtes, an Stationen reiches Auf und Ab. Beginnend in der Stadt Brandenburg folgten intensive Jahre in der Jugendbildungsstätte Christian-Schreiber-Haus in Alt-Buchhorst. Danach fühlte er sich ausgebrannt. Er nahm eine Auszeit und fand wieder ins Priester- und Pfarrerdasein zurück. Nach zahlreichen weiteren Jahren als Gemeindepfarrer wurde er Gefängnisseelsorger.
Mit „Rückenwind“ helfen und beraten
Seit 2010 kümmert er sich um Gefängnisinsassen der Justizvollzugsanstalt Tegel, sowohl im Gefängnis als auch außerhalb. Zu diesem Zweck hat er in der Reinickendorfer Pfarrei St. Rita das „Café Rückenwind“ ins Leben gerufen, eine Begegnungsstätte, in der Freigänger, Ausgänger und Haftentlassene mit ihnen zugewandten und interessierten Menschen zusammentreffen, um Hilfe und Beratung in persönlichen Nöten und bei der Wiedereingliederung zu erhalten, aber auch zum Austausch über sie bewegende Themen und Fragen. Dafür greift Friedrichowicz auf Grundsätze zurück, deren Wahrheit sich ihm in seinem langen Pfarrer- und Priesterleben erschlossen hat. Einer lautet: „Jeder muss sein eigenes Leben leben.“
Der zweite, nicht weniger wichtige: „Zeige mir deine Wunde, damit ich dich nicht verletze.“ All jenen in der Gemeinde und in der Kirche, die meinen, nicht so tief wie andere fallen zu können, sagt er, der sich gern auch mal provokant äußert: „Es gibt wohl kaum jemand, der sich gern an misslungene Begegnungen erinnert und nicht selbst schon eigenes Scheitern erlebt hat.“
Erzbischof Koch scheint diese deutliche Art gefallen zu haben. Er wollte mit Pfarrer Friedrichowicz jemand im Kollegium des Domkapitels haben, der auch das soziale Antlitz der Kirche in der St. Hedwigs-Kathedrale zur Geltung bringt, neben Gelehrsamkeit und Kultur. Und so konnte er ihn gewinnen. Auch Friedrichowicz’ scherzhafte Drohung „Ich bring dann aber auch meine Knackis mit und Obdachlose“ brachte ihn nicht davon ab.
Seit 2010 kümmert er sich um Gefängnisinsassen der Justizvollzugsanstalt Tegel, sowohl im Gefängnis als auch außerhalb. Zu diesem Zweck hat er in der Reinickendorfer Pfarrei St. Rita das „Café Rückenwind“ ins Leben gerufen, eine Begegnungsstätte, in der Freigänger, Ausgänger und Haftentlassene mit ihnen zugewandten und interessierten Menschen zusammentreffen, um Hilfe und Beratung in persönlichen Nöten und bei der Wiedereingliederung zu erhalten, aber auch zum Austausch über sie bewegende Themen und Fragen. Dafür greift Friedrichowicz auf Grundsätze zurück, deren Wahrheit sich ihm in seinem langen Pfarrer- und Priesterleben erschlossen hat. Einer lautet: „Jeder muss sein eigenes Leben leben.“
Der zweite, nicht weniger wichtige: „Zeige mir deine Wunde, damit ich dich nicht verletze.“ All jenen in der Gemeinde und in der Kirche, die meinen, nicht so tief wie andere fallen zu können, sagt er, der sich gern auch mal provokant äußert: „Es gibt wohl kaum jemand, der sich gern an misslungene Begegnungen erinnert und nicht selbst schon eigenes Scheitern erlebt hat.“
Erzbischof Koch scheint diese deutliche Art gefallen zu haben. Er wollte mit Pfarrer Friedrichowicz jemand im Kollegium des Domkapitels haben, der auch das soziale Antlitz der Kirche in der St. Hedwigs-Kathedrale zur Geltung bringt, neben Gelehrsamkeit und Kultur. Und so konnte er ihn gewinnen. Auch Friedrichowicz’ scherzhafte Drohung „Ich bring dann aber auch meine Knackis mit und Obdachlose“ brachte ihn nicht davon ab.
Von Gunnar Lammert-Türk