Missbrauchsskandal und Rücktrittsforderungen an den Papst
Zerreißprobe für die Kirche
Die Diskussion um die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs hat die Kirche weiter im Griff. Das Thema überschattete die Irlandreise von Papst Franziskus. Ein Erzbischof und ehemaliger Vatikanbotschafter in den USA fordert jetzt sogar den Rücktritt des Papstes.
Deutliche Worte fand Papst Franziskus in Irland zum sexuellen Missbrauch. Dennoch kommt die Kirche nicht zur Ruhe. Während sie aber bei den vorhergehenden Skandalwellen eher unter Druck von außen stand, ist sie nach dem Bericht über Missbrauch durch Kleriker in Pennsylvania derzeit im Innern zum Zerreißen gespannt – vor allem in den USA. Für Empörung sorgt nicht mehr nur, dass Priester Kinder und Jugendliche sexuell missbrauchten, sondern auch der Umgang der kirchlichen Hierarchie damit.
Viele Gläubige haben die Geduld mit der Kirchenspitze verloren. In Washington demonstrierten Kirchenmitglieder für einen Rücktritt von Kardinal Donald Wuerl, weil er an der Vertuschung von Missbrauchsfällen beteiligt gewesen sein soll. In Frankreich forderten mehr als 50 000 Menschen in einer Petition den Rücktritt von Kardinal Philippe Barbarin von Lyon. Er soll sexuelle Übergriffe eines Priesters nicht angezeigt haben.
Zum Ende seiner Irlandreise erreichten Rücktrittsforderungen auch den Papst, in einem Brief des früheren Vatikanbotschafters in den USA, Erzbischof Carlo Vigano. Hintergrund sind die Vorwürfe gegen den ehemaligen US-Kardinal Theodore McCarrick. Er soll Priesterseminaristen zum Sex verleitet haben. Mittlerweile werden ihm auch Übergriffe gegen Minderjährige vorgeworfen. Franziskus untersagte McCarrick, das Priesteramt auszuüben, und drängte ihn zum Rücktritt vom Kardinalsamt.
Vigano schreibt nun, Vorwürfe gegen McCarrick seien dem Papst lange bekannt. Mehr noch: Er habe von Benedikt XVI. erlassene Sanktionen rückgängig gemacht. „Ich werde kein Wort darüber verlieren. Ich denke, das Dokument spricht für sich selbst“, sagte Franziskus. Der Papst „zeigte mit seiner gelassenen Reaktion, dass er sich durch derartige Äußerungen nicht provozieren lässt“, sagte Vatikankenner Jürgen Erbacher.
Neue Studie zu Missbrauch in Deutschland
Wer hat wann was über McCarricks Übergriffe gewusst? Diese Frage muss aufgeklärt werden. Aber eine solche Frage und berechtigte Kritik am Versagen von Bischöfen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Vigano und anderen gar nicht mehr um den Missbrauchsskandal geht, sondern darum, den Papst und seine Reformen ins Visier zu nehmen. „Dies ist ein Machtkampf zwischen Fraktionen der Kurie, die die Missbrauchskrise und die Opfer als Hebel im Kampf um die Macht der Kirche ausnutzen“, so das Netzwerk „Ending Clergy Abuse“ zum Schreiben Viganos.
In Deutschland präsentieren am 25. September Forscher eine Studie über Täter, Opfer und Hintergründe des Missbrauchs durch Kleriker. Die deutschen Bischöfe hatten sie in Auftrag gegeben und den Wissenschaftlern Zugang zu ihren Archiven gewährt. Damit sind sie weiter als viele Amtsbrüder.
Von Ulrich Waschki