Die zwei Schöpfungsberichte in der Bibel
Zwei Wahrheiten
Die erste Lesung dieses Sonntags ist dem zweiten Schöpfungsbericht der Bibel entnommen. Denn das Buch Genesis kennt zwei sehr unterschiedliche Geschichten, wie alles entstand. Hätte man nicht eine streichen sollen?
Adam und Eva kennt eigentlich jeder, dafür muss man noch nicht einmal religiös sein. Die Geschichte mit der Schlange und dem Apfel – tausendmal zitiert, auf Gemälden und in der Werbung. Eine nette Geschichte von den ersten Menschen, denken da so manche, aber eben nur eine Geschichte, denn der Mensch, den hat ja nicht Gott aus Erde, sondern die Evolution aus den ersten Einzellern auf dieser jahrmillionenalten Erde geformt.
Dabei haben die biblischen Erzählungen vom Beginn der Welt deutlich mehr Wahrheit zu bieten, als üblicherweise angenommen wird. Und diese beginnt mit dem Satz: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Im ersten Kapitel der Genesis geht es fortan darum, dass Gott der Welt Struktur gibt: Aus Finsternis, Urflut und Chaos wird eine geordnete Welt geschaffen, in die der Mensch zum Schluss als eine Art Verwalter Gottes eingesetzt wird.
Das geht weitestgehend in einem festen Rhythmus vonstatten, wie schon der erste Tag zeigt: Gott schafft das Licht und gibt dann dem Licht seinen Bereich und der Finsternis ihren. Ebenso wird am zweiten Tag ein Gewölbe erschaffen und die Wassermassen erhalten dann einen Bereich über ihm (Himmel) und einen Bereich unter ihm (Meere), so dass langsam über die Tage hinweg durch Gottes ordnende Hand ein bewohnbarer Raum entsteht: eine zeitliche Struktur mit Licht und Dunkel als Grundrhythmus, mit Sonne, Mond und Sternen für die Jahreszeiten und mit dem Ruhetag als Auszeit. Und eine räumliche Struktur mit Platz für Pflanzen, Tiere und Menschen. Abgeschlossen werden diese Kreationen Gottes immer mit einem Refrain: „Es wurde Abend und es wurde Morgen: x-ter Tag.“
Ein Lied über die Ordnung der Welt
Tatsächlich kann man eher von einem Lied oder einem Hymnus sprechen als von einer Reportage oder einem Bericht, weil hier in sieben Strophen die wunderbare Ordnung der Welt besungen wird, wie Gott sie geschaffen hat – und wie sie heute immer noch geordnet ist. Als Garant dieser Ordnung schafft Gott den Menschen „als sein Abbild“. Wörtlich könnte man auch übersetzen: „als seine Statue“, was zu damaliger Zeit bedeutete, dass Gott in dieser Statue anwesend bleibt, wie ein König, an dessen Herrschaft ein Denkmal auf dem Marktplatz einer Stadt in seinem Reich erinnert. Die Krone der Schöpfung ist der Mensch damit nicht; die Krone ist vielmehr der siebte Tag, der Tag der Ruhe.
Aber die Schöpfung im ersten Kapitel des Buches Genesis ist nicht die einzige biblische Erzählung über den Ursprung von allem. Im vierten Vers des zweiten Kapitels beginnt die Schöpfung noch einmal – wenn auch etwas anders erzählt. Wenn man näher hinschaut, ergeben sich sogar recht auffällige Unterschiede zwischen den beiden Schöpfungserzählungen.
Zunächst einmal ist diese zweite Schöpfung wirklich eine Erzählung und kein Lied. Sie berichtet von Dingen wie der Bewässerung des Erdbodens, die eigentlich schon längst im ersten Kapitel der Genesis geschehen sind. Sie benutzt einen anderen hebräischen Begriff für Gott, verzichtet auf Zeitangaben, spricht von einem Garten, in dem der Mensch geschaffen wird, schafft die Menschen nacheinander und setzt sie eher als Gärtner oder Bäuerin denn als Verwalter Gottes ein.
Im Zuge der kritischen Erforschung biblischer Texte und ihrer Geschichtlichkeit war dann den Historikerinnen und Theologen irgendwann klar, dass dies zwei Texte waren, die von verschiedenen Autoren zu unterschiedlichen Zeiten verfasst wurden. Wird das Lied von der Erschaffung der Welt in sieben Tagen um 500 vor Christus im babylonischen Exil entstanden sein, so scheinen Adam und Eva im Garten Eden schon 300 bis 400 Jahre früher Literatur geworden zu sein.
Eine Geschichte über den Menschen
Geht es bei der ersten Schöpfungserzählung um die geordnete Welt, so hat die zweite Erzählung eher das Schicksal des Menschen zum Thema: Wie kommt es zur engen Beziehung von Frau und Mann, die erst entstehen, nachdem dem zuerst geschaffenen Menschen (nicht Mann!) eine Rippe genommen und daraus ein zweiter Mensch gefertigt wurde? Woher stammt die Fähigkeit des Menschen, Gutes und Böses zu wollen und zu tun? Warum ist Arbeit mühsam? Warum sterben wir? Warum schämen wir uns voreinander? Für diese und viele andere Fragen ist diese Erzählung ein Mythos, der keinen historischen Bericht von den ersten Stunden der Menschen bietet, wohl aber beschreibt, was jeden Menschen bis heute in seinem Leben ausmacht, mit welchen Schwierigkeiten er sich im Leben rumschlägt, kurz: wie er leibt und lebt.
Und so, mit allen Schwierigkeiten des realen Lebens, ist er von Gott aus dem Idealzustand des Gartens Eden in die Welt entlassen worden, wo er nun zwischen Liebe und Leiden, zwischen Glück und Gier, zwischen Erleuchtung und Ernüchterung sein Dasein fristet. Und Gott scheint fern zu sein.
Dass das nicht so bleiben muss, zeigen dann wieder die Evangelien auf, die vom Licht in der Finsternis sprechen, von der Überwindung des Bösen, von der Liebe, die das wichtigste Gebot ist, und schließlich an Ostern vom Leben, das den Tod bezwingt. An Ostern wird somit eigentlich der siebte Schöpfungstag erneut besungen: Der Kampf gegen das Chaos des Todes und der Finsternis ist nun vorbei. Licht und Leben haben gesiegt und die Tore zum Gottesreich sind weit geöffnet. Folgt man den biblischen Schriften, so ergänzen sich die beiden Schöpfungserzählungen der Genesis und werden in den Ostererzählungen der Evangelien vollendet.
Christoph Buysch