Klinikseelsorge – Höhen und Tiefen miterleben

Zwischen Krankheit und Smalltalk

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Schwester Maria Laetitia Mahnke arbeitet im Krankenhaus. Wenn sie die Patienten besucht, kommt sie ohne Gerätschaften und doch bringt sie ihnen etwas wichtiges mit: Zeit zum Zuhören – Zeit, einfach da zu sein. Schwester Laetitia ist Klinikseelsorgerin am St. Bernward Krankenhaus in Hildesheim. In ihrer fast 20-jährigen Tätigkeit hat die Vinzentinerin viele Höhen und Tiefen von Patienten miterlebt. Trotzdem möchte sie ihre Funktion nicht pathetisch verstanden wissen: „Ich mache auch Smalltalk“, sagt sie. „Und wenn zehn Minuten Smalltalk jemandem gut getan haben, dann ist das auch in Ordnung.“


Beim Besuch auf der geriatrischen Station gibt’s von beiden Seiten ein freundliches Lächeln. Klinikseelsorgerin Schwester Maria Laetitia Mahnke ist eine wichtige Stütze im Krankenhausalltag. Sie bringt ein offenes Ohr zum Zuhören mit.

Für Seelsorge am Krankenbett gibt es kein Patentrezept – wenn überhaupt könnte dies das Motto von Schwester Laetitia sein. „Tipps und Tricks gibt es nicht. Man ist immer authentisch“, sagt die zierliche Frau mit dem kurz geschnittenen Bob. Wenn sie neue Patienten begrüßt, stellt sie sich vor und wartet die Reaktion ihres Gegenübers ab. Oft ist dann schon klar, ob ein Gespräch zustande kommt oder nicht.

Bekehren will und muss sie niemanden, sagt sie. Sie ist offen für Begegnungen, ansprechbar für Menschen jeder Konfession, auch für diejenigen ohne Glauben. Mit Schwester Laetitia zusammen arbeiten drei weitere Kollegen in der Klinikseelsorge. „Wir sind fromm, aber wir machen nicht nur fromme Sachen“, bringt die Ordensschwester ihren Job auf den Punkt.

Gespräche drehen sich um Gott, die Welt und das Wetter

So unterhält sie sich heute mit einer Patientin auf der geriatrischen Station des Krankenhauses erst einmal über das Wetter. Es ist ein heißer und sonniger Tag, der selbst gesunden Menschen zu schaffen macht. Schwester Laetitia nimmt Anteil an der Situation der 85-Jährigen, erinnert sich an Details aus den letzten Gesprächen, fragt nach, ob sie ihren Bruder am Telefon erreicht hat. Während die Seniorin antwortet, hellt sich ihr Gesicht zusehends auf. Ganz offenbar ist sie froh über eine Ablenkung vom Blick auf die weißen Wände.

Dass aus Schwester Laetitia eine Klinikseelsorgerin geworden ist, hängt auch mit ihrem ersten Beruf zusammen – früher war sie Krankenschwester. „Ich bin erst spät in die Gemeinschaft der Vinzentinerinnen eingetreten, mit 40 Jahren“, erzählt sie. Die Generaloberin fragte sie, ob sie in der Klinikseelsorge tätig werden wolle. Schwester Laetitia stellte sich der neuen Herausforderung und absolvierte ein berufsbegleitendes Theologie-Fernstudium und ließ sich in der Logotherapie nach Viktor Frankl ausbilden. Mittlerweile blickt sie auf vielfältige Erfahrungen in zwei Berufen zurück.

 


Schwester Laetitia kennt den Klinikalltag genau.
Vor dem Eintritt in den Orden war sie
selbst Krankenschwester.

„Ich spüre, dass mein Tun sinnvoll ist“

Die Frage nach Erfolg oder Zufriedenheit im Job stellt sich für Schwester Laetitia nicht, oder zumindest ganz anders als in ihrem früheren Dasein als Krankenschwester. „Natürlich werde ich auch in tragischen Momenten gerufen. Zum Beispiel, wenn Menschen unerwartet verstorben sind. Ganz besonders schlimm ist es, wenn Kinder sterben“, sagt sie. Dann ist ihre wichtigste Aufgabe, die Situation mit auszuhalten und die Familie zu unterstützen, „einfach da zu sein“, wie Schwester Laetitia es beschreibt. „Ich spüre dann, dass mein Tun sinnvoll ist“, sagt sie, „obwohl ich die Trauer und den Schmerz natürlich nicht auflösen kann.“

Das Abschalten von der Arbeit fällt ihr nach Feierabend manchmal schwer, wenn sie ins Mutterhaus der Ordensgemeinschaft zurückkehrt. „Es gibt Schicksale, die mich sehr anrühren, das kann man nicht alles hierlassen“, erzählt sie in ihrem Büro.

„Die Bilder spazieren in mir herum“

Anstatt den Kopf freizubekommen, lässt sie es zu, dass die Begegnungen des Tages weiter in ihr arbeiten: „Die Bilder spazieren dann in mir herum“, sagt sie und lächelt. Kraft geben ihr solche Momente, in denen sie Menschen stärken kann, seien es Kranke oder deren Angehörige. Auch Neugeborene segnen zu dürfen oder „einfach zu beobachten, wenn Familien zusammenhalten“ seien schöne Momente, berichtet Schwester Laetitia.

Eines genießt sie ganz besonders im hektischen Klinikalltag: „Ich bringe Zeit mit, das ist Luxus.“ Während Ärzte und Pflegepersonal mit einer hohen Arbeitsdichte und Dokumentationspflichten kämpfen, bleibt Schwester Laetitia die Ruhe zum Zuhören. „Die Patienten genießen es, dass jemand ohne Erwartungen an sie herantritt und keine eigenen Ziele verfolgt“, schildert sie.

 Wenn sie doch einmal ein Gegengewicht zu ihrem Alltag braucht, lässt die Ordensschwester ihre Gedanken in die französische Hauptstadt abdriften. „Ich liebe alles an Paris, auch die Hektik der Leute und den Geruch der Metro“, erzählt sie und strahlt. Auch das Fahrradfahren ist eine neu entdeckte Leidenschaft der 61-Jährigen – dann auch gern zu einem ganz konkreten Ziel.

Karina Scholz

 

 

Klinikseelsorge ist mehr als nur ein Besuchsdienst

 


Prof. Dr. Ulrich Kaiser ist Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Immunologie am Hildesheimer St. Bernward Krankenhaus.

Welche Bedeutung haben aus Ihrer Sicht die Besuche von Klinikseelsorgern für die Patienten, aber auch für die Angehörigen?

Viele Patienten erleben im Krankenhaus eine existenzielle Krise durch die Nachricht einer schweren Erkrankung. Allein hieraus ergibt sich, dass, unabhängig von der Konfession der Patienten, die Klinikseelsorge eine ganz zentrale Bedeutung für die Betreuung hat.

Was bringen die Frauen und Männer mit, was Sie als Ärzte und Pflegepersonal nicht haben?

ZEIT für Gespräche! Denn im heutigen modernen Krankenhaus sind Ärzte und Pflegepersonal zunehmend mit administrativen Aufgaben beschäftigt.

Wie wichtig ist für Sie die Zusammenarbeit mit den Klinikseelsorgern oder gibt es da keine Berührungspunkte?

Klinikseelsorge im Krankenhaus geht über den Besuchsdienst weit hinaus. In Krankenhäusern gibt es Krisen- und Traumateams, bestehend aus Seelsorge, Sozialdienst und Psychologie. Darüber hinaus koordiniert die Seelsorge Trauerarbeit für Hinterbliebene. In unserer Klinik für Onkologie und Palliativmedizin arbeitet die Seelsorge eng mit der Psychoonkologie zusammen. Im Rahmen regelmäßiger Teambesprechungen tauschen wir uns über die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten aus.

Fragen: Edmund Deppe