Ausstellung zu den letzten Dingen im Berliner Humboldt Forum

„Jetzt bist du tot!“

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Ausstellung zu den letzten Dingen im Berliner Humboldt Forum
Nachweis

Foto: Tayla Kohler/Unsplash

„Un_endlich. Leben mit dem Tod“ – diese Ausstellung zu den letzten Dingen ist aktuell im Berliner Humboldt Forum zu sehen. Unter anderem kommen Sterbebegleiter zu Wort und Jenseitsvorstellungen verschiedener Religionen werden vorgestellt.

Selten geht eine Ausstellung über den Tod dermaßen unter die Haut und ans Eingemachte wie derzeit im Berliner Humboldt Forum. Da ist allein schon der Gang in enge Einzelkabinen, in denen die Sterbephasen beschrieben werden. Eine Frauenstimme spricht die Besucher im Halbdunkel direkt an: „Du befindest dich in einem Dämmerzustand und hast kein Gefühl mehr für Zeit. Deine Hände und Füße werden kalt…“ Dass, was jedem bevorsteht, wird hier in wenigen Minuten zusammengefasst: „Nach und nach versagen deine Organe. Es folgt das Todesrasseln. Du schnappst nach Atem. Du atmest ein letztes Mal…“ Es geht darum, sich klar zu werden, wie es endet. Zumindest soweit man das bis heute weiß: „Eine oder zwei Minuten später, eine gefühlte Ewigkeit breitet sich in deinem Gehirn eine Welle der Entladungen aus. Sie lindern Schmerz und steigern Gefühle wie Geborgenheit, Glück und Euphorie. Das letzte große Feuerwerk. – Jetzt bist du tot!“

Unerklärliches fassbar, Unerträgliches erträglich machen

Die Ausstellung „un_endlich. Leben mit dem Tod“ endet thematisch passend mit dem mexikanischen Totenfest Día de los muertos (Tag der Toten). Dieser wird vom 1. bis 5. November mit Musik, Performance, Familienprogramm und einem geschmückten Altar im Berliner Humboldt Forum gefeiert.
Die Ausstellung „un_endlich. Leben mit dem Tod“ endet thematisch passend mit dem mexikanischen Totenfest Día de los muertos (Tag der Toten). Dieser wird vom 1. bis 5. November mit Musik, Performance, Familienprogramm und einem geschmückten Altar im Berliner Humboldt Forum gefeiert.
Foto: Tayla Kohler/Unsplash

Was danach kommt, bleibt Spekulation. In mehreren Hör- und Video-Zelten äußern sich Vertreter von Religionen und Weltanschauungen. Ihnen geht es bis heute darum, das Unerklärliche fassbar und das Unerträgliche erträglich zu machen. Hinduisten etwa glauben, dass dasjenige in uns, das bewusst ist – der Geist oder die Seele oder das Selbst – ein wesentlicher Teil des Universums sei: „Es ist ungeboren, ewig, beständig und uralt. Es wird nicht getötet, wenn der Körper getötet wird“, erläutert die Bhagavad Gita, einer der wichtigsten Texte im Hinduismus. 
Eine evangelische Pfarrerin versucht tröstliche Worte zu finden: „Frieden und Tod gehören für mich zusammen. Der Friede besteht darin, angesichts des Todes ein tieferes Verständnis vom Leben zu gewinnen. Das hat für mich etwas mit Ganzwerdung zu tun und in dem Sinne mit Frieden. Ich stelle mir vor, dass wir am Ende so etwas erleben, wie eine Schau. Wir verstehen, warum es so gewesen ist, wie es gewesen ist.“ 
Auch Religionsskeptiker kommen zu Wort. Ein Kryoniker etwa lässt sich bei minus 196 Grad Celsius einfrieren, weil er statt an einen Gott oder ein kosmisches Seelen- und Reinkarnationsprinzip lieber an ein irgendwann mögliches Weiterleben glaubt. 
Aber fällt das Sterben mit Religion einfacher? „Nein, das kann man nicht generalisieren. Manchmal werden auch glaubende Menschen von ihren Zweifeln, ihren Sünden, ihrer Angst überwältigt. Es ist nicht so, dass glaubende Menschen immer einfacher sterben. Man kann getröstet sterben. Man kann auch ohne die Jenseitsperspektive alt und lebenssatt sterben und sich sanft und zufrieden verabschieden“, sagt Kurator Marc Wrasse, der unter anderem auch evangelische Theologie und Philosophie studiert hat. 
Da niemand allein sterben sollte, ist die Begleitung von Sterbenden eine zivilisatorische Errungenschaft. Daher kommen auf einer Bildschirm-Wand zwölf Sterbebegleiter aus allen Kontinenten zu Wort. Eine Sterbebegleiterin aus Singapur etwa sagt, dass es ein Privileg sei, den letzten Atemzug von Menschen miterleben zu dürfen. Eine Kollegin aus der Karibik ergänzt, dass man sich angesichts von Sterbenden nicht verstecken könne und dass sie das an ihrer Arbeit schätze. In Südamerika sagt man: Jeder möchte dabei sein, wenn ein Baby geboren wird. Aber wenn jemand stirbt, würden viele die Flucht ergreifen. Das soll nicht sein!
Der Tod hat seine eigene Würde oder sollte sie zumindest haben. In einem steril wirkenden Medizinraum wird per Video-Projektion die Arbeit muslimischer Leichenwäscherinnen gezeigt. Sie sprechen verschiedene Gebete, bringen Riechsalze und Gewürze auf den toten Menschen auf. Dann wickeln sie den Leichnam in sein letztes weißes Tuch ein und verschnüren ihn mit weißen Bändern. So kann er bestattet werden. „Hier erfolgt der letzte Liebesdienst. Wir waschen uns das ganze Leben selbst und am Ende werden wir gewaschen“, erläutert Kurator Wrasse.

Eigene Vorstellungen offenbaren, um weiterzukommen

Im nächsten Raum hängen große weiße halbdurchsichtige Vorhänge von der Decke. Dazwischen stehen weiße Wellnessliegen. Per Kopfhörer werden Fragen gestellt, die mit Ja oder Nein beantwortet werden müssen, um zur nächsten Frage zu kommen. Es sind Fragen, die bis ins Innerste gehen: „Glaubst du, dass wir eine Seele haben? Glaubst du an ein Leben nach dem Tod? Glaubst du an Auferstehung? Glaubst du an Wiedergeburt? Hast du einen Wunsch, in welcher Form du wiedergeboren werden möchtest? Wartet nach dem Tod eine Belohnung oder Strafe für dein jetziges Leben auf dich?“
Der letzte Raum ist eine Art Bibliothek, die mit internationaler Todesliteratur ausgestattet ist. Hier kann jeder auf Sitzkissen in sich gehen, reflektieren, das Gespräch suchen. Oder sich entscheiden, noch einmal zurückzugehen und sich die eine oder andere Frage erneut stellen und durch den Kopf gehen zu lassen. Es ist eine Ausstellung, für die man sich Zeit lassen sollte.

Die Ausstellung „un_endlich. Leben mit dem Tod“ ist bis 26. November im Humboldt Forum (Schloßplatz 1, Berlin-Mitte) zu sehen. Der Begleit-Katalog ist im E.A. Seemann Verlag Leipzig, (ISBN 978-3-86502-506-7; 29,90 Euro) erschienen. Infos und Tickets (12 / 6 Euro): humboldtforum.org/un_endlich 

 

Thomas Klatt