„Unsere Kirche ist eine Baustelle“

Image
Monsignore Georg Austen im Eröffnungsgottesdienst
Nachweis

Foto: Simon Helmers

Caption

Bonifatiuswerk-Generalsekretär Georg Austen, Schwester Bianca Maier, Bonifatiuswerk-Präsident Manfred Müller und Lioba Gerd-Witte beim Pontifikalamt in der Sankt Hedwigs-Kathedrale.

Mit einem Gottesdienst in der Berliner Kathedrale Sankt Hedwig hat das Bonifatiuswerk seine Diaspora-Aktion 2023 eröffnet. Im Interview spricht Generalsekretär Georg Austen über die Arbeit des Hilfswerks.

„Entdecke, wer dich stärkt“, heißt das Credo der diesjährigen Diaspora-Aktion des Bonifatiuswerks. Monsignore Austen, wer oder was spendet Ihnen Kraft?

Eine Kraftquelle ist mein Glaube, der mir Orientierung und die Zuversicht gibt: Es gibt einen Gott, der mich durch die Höhen und Tiefen des Lebens begleitet. Eine andere ist meine Familie. Allerheiligen standen wir am Grab unserer Eltern. Der Gedanke, dass uns eine Hoffnung über den Tod hinaus verbindet, stärkt mich. Oder wenn ich mit Freunden zusammen bin, die mir vertrauensvoll zur Seite stehen, wenn ich sie brauche. Und natürlich auch die tägliche Arbeit beim Bonifatiuswerk, wenn ich merke, dass sie zu einem stärkenden Band zwischen Glaubensbrüdern und -schwestern in Deutschland und darüber hinaus beiträgt.

Am Sonntag eröffnete das Bonifatiuswerk die diesjährige Diaspora-Aktion. Diesmal mit einem Pontifikalamt in der Berliner Sankt Hedwigs-Kathedrale ...

Es war eine bewusste Entscheidung, in Absprache mit der Bistumsleitung in die Sankt Hedwigs-Kathedrale zu gehen, die ja derzeit noch Baustelle ist. „Mitten in Berlin, in der Bundeshauptstadt, in der Baustelle Kirche“ – das ist für mich auch ein Zeichen, denn unsere Welt und Kirche sind insgesamt „under construction“.

Welche Baustellen will das Bonifatiuswerk denn angehen?

Da gibt es einige: Wie können wir das Vertrauen der Menschen wiedergewinnen? Wie können wir Menschen dabei unterstützen, auskunftsfähig zu werden über die Inhalte unseres Glaubens? Wie können wir angesichts all der belastenden Krisen miteinander in den Dialog treten; auch mit Andersdenkenden, mit Andersglaubenden, mit religiös Uninteressierten?
Ebenso wichtig ist es, jungen Menschen den Mehrwert des Glaubens nahezubringen. Mit unserer neuen Firm-App zum Beispiel möchten wir Firmbewerber und Multiplikatoren auch digital in der Katechese unterstützen.
Die größte Baustelle ist für mich: Wo werden Menschen mit der Botschaft des Evangeliums existenziell berührt und wie können Menschen konkret die Glaubensgemeinschaft erfahren? Eine wichtige Frage ist auch, wie wir Menschen begegnen, die aus der Kirche ausgetreten sind. Sie sind ja nicht alle von heute auf morgen „gottlos“ geworden. Dazu wollen wir mit Verantwortlichen in den Diözesen ins Gespräch kommen und im kommenden Jahr eine Arbeitshilfe mit Anregungen herausgeben. Der Dialog steht im Vordergrund, natürlich, ohne aggressiv zu sein und immer mit dem gebotenen Respekt für die Entscheidung des Einzelnen.

Viele Pfarreien und Gemeinden werden immer älter, die Anzahl der Engagierten sinkt. Spüren Sie das auch bei den eingehenden Förderanträgen?

Wir merken nicht nur in den Diaspora-Regionen, dass weniger Ehrenamtliche mit immer mehr Aufgaben manchmal überfordert werden. Wir wollen mit unseren Möglichkeiten Engagierte unterstützen, etwa indem wir Coachings anbieten und Fortbildungen auch digital, wie jüngst bei einer RKW-Fortbildung, durchführen. So können diese wertvolle Zeit sparen. 

Kann bei Ihnen eigentlich jeder mit seinem Antrag kommen oder muss da eine höhere Instanz dahinterstehen? Was passiert, wenn ich meine Privatkapelle sanieren will?

Wichtig ist, wie das Projekt in Bezug zur Gesamtpastoral steht. Deshalb erbitten wir zu den Anträgen eine Stellungnahme des Bistums bzw. des Diözesan-Bonifatiuswerkes. Satzungsgemäß können wir keine Privatpersonen unterstützen. Sollte die Kapelle hingegen einer anerkannten gemeinnützigen Institution oder Organisation gehören und ein Spender gibt dafür zweckgebunden eine Unterstützung, dann könnte diese Kapelle gefördert werden. Warum nicht?
Generell gilt: Es kann jede Gemeinde, es kann jeder Orden, jeder Verband, jede anerkannte Initiative, jede gemeinnützige Organisation gemäß unserer Vergabeordnung mit ihrem Projekt an uns herantreten. So haben wir etwa Personalstellen für die bundesweite 72-Stunden-Aktion sowie für die ökumenische Initiative der Bahnhofsmission in Erfurt bewilligt.

Sie sprechen es an: Oft fördert das Bonifatiuswerk über einen begrenzten Zeitraum Personalstellen? Wie nachhaltig ist das?

Wir wollen in lebendige Steine der Kirche investieren. Mit den Personalstellen möchten wir den Gemeinden, Verbänden oder Initiativen einen Anschub geben, missionarisch innovativ in der Pastoral zu wirken. Nachhaltigkeit ist also nicht nur ökologisch gemeint, sondern es geht um Fragen wie: Wie ist das Projekt eingebunden? Wird die Stelle im Bistum weitergeführt? Hat sie als Ziel, einen ehrenamtlichen Kreis aufzubauen, der das Ganze über den Förderzeitraum hinaus weiterträgt?
Eine hundertprozentige Garantie, dass dies funktioniert, gibt es nicht. Selbstverständlich stehen wir in einem Austausch mit den Personalstelleninhabern, um zu erfahren, wo gegebenenfalls nachjustiert werden muss. Die Intention ist, dass die Personalstellen über ihren Zeitraum längerfristig wirken. Das gilt auch für die jüngst bewilligte Stelle der katholischen Beauftragten für die „Kulturhauptstadt Chemnitz“. 

Das „Praktikum im Norden“ ist auch in den Ostbistümern beliebt. Junge Christen können ein Freiwilligenjahr in der Diaspora in Nordeuropa und im Baltikum absolvieren. Gelingt es, die jungen Menschen über das Praktikum hinaus ans Bonifatiuswerk zu binden?

Es gibt inzwischen ein großes Netzwerk von mehr als 200 ehemaligen Praktikantinnen und Praktikanten, die nun im Studium oder im Beruf stehen. Wichtig ist uns, dass diese jungen Menschen nach den guten Erfahrungen im Praktikum Anknüpfungsmöglichkeiten in den Bistümern oder im Bonifatiuswerk haben. Es ist erfreulich, dass bei der bundesweiten Diaspora-Aktionseröffnung in Berlin gut 50 Ehemalige dabei waren. Die Heimatgemeinden sind für die Teilnehmer eine gute Möglichkeit, über das hautnah Erlebte zu berichten – das passiert bisher leider noch zu selten.
Was ich auch feststelle: In den ostdeutschen Regionen hat die Bindung jüngerer Generationen an das Bonifatiuswerk abgenommen. Oft sind viele dort erstaunt, wenn sie erfahren, was das Bonifatiuswerk bewirkt und welche Projekte bei ihnen vor Ort vom Hilfswerk gefördert wurden. Wir sind den treuen Spendern dankbar, die die Projekte des Bonifatiuswerkes unterstützen. Früher war es selbstverständlicher, Mitglied im Bonifatiuswerk zu werden. Es sind keine horrenden Beträge – wir reden von zwei Euro im Monat. Man gibt nicht nur etwas zurück, sondern wird auch informiert, was konkret mit den Geldern geschieht. Das Wichtigste ist das Bewusstsein für die Solidargemeinschaft. Dies würde ich mir nicht nur in den Ostbistümern wieder mehr wünschen.

Beim Diaspora-Festakt am Wochenende soll „klimaneutrale Mobilität der Zukunft und die Rolle der Kirche“ Thema sein. Bedeutet das das Aus der gelben BONI-Busse? Oder reden wir nur von einer Umstellung auf Elektro-BONIs? 

Nein. Derzeit sind ungefähr 600 BONI-Busse in Deutschland im Einsatz. Natürlich schauen wir, wie wir die Mobilität klimaschonend entwickeln können und wir sollten gegebenenfalls neue Wege gehen. Aber wir wissen auch, wie wichtig unsere mobilen Glaubenshelfer für die flächenmäßig großen Pfarreien im Osten sind. Bei der Fazenda Gut Neuhof (bei Nauen in Brandenburg, Anm. d. Red.) und bei Don Bosco Sachsen stimmten die Voraussetzungen – daher konnten wir hier mit unserer Verkehrshilfe neue Elektro-Autos fördern.

Stefan Schilde