Anstoß 20/2024
Spiritualität „to go“
Eine junge Frau schwärmt bei indischem Essen davon, dass sie unbedingt einmal nach Indien möchte, weil es dort so spirituell sein soll. Ich spüre, wie Ärger in mir aufsteigt. Spiritualität hat doch nichts mit der Nationalität zu tun.
Wenn du danach suchst, brauchst du nicht so weit zu fahren. Vielleicht bin ich zu hochmütig. Aber ich denke, die junge Frau wird die Spiritualität in Indien kaum finden, wenn sie in der Art und Weise danach sucht, wie viele Europäer in ihren Kirchen nach dem Glauben suchen.
Das Handy immer griffbereit, um ein Bild von der „Veranstaltung“ zu machen; so viele Dinge auf dem Herzen, die noch mit dem Nachbarn in der Bank besprochen werden müssen; so viele Gedanken im Kopf, die noch gedacht werden wollen und den Terminplan so voll, dass die nächste Veranstaltung drängelt.
Es ist wie in einer Geschichte, die ich aus dem Zen kenne. Ein Professor will in einem Kloster Weisheit lernen.
Der Mönch lädt ihn auf einen Tee ein. Als die Tasse voll ist, hört er nicht auf, Tee einzuschenken. „Sehen Sie nicht, dass die Tasse schon voll ist?“ sagt der Professor.
Der Mönch antwortet ihm darauf: „Genau wie diese Tasse sind auch Sie randvoll. Um Neues zu lernen, müssen Sie erst Ihre Tasse leeren.“
Ertappt. Ich überlege nicht lange, lege mein Handy auf den Schreibtisch, schalte den Computer aus und verdrücke mich in die Kirche. Wenigstens eine halbe Stunde Stille bis zum Angelusläuten.