Die Predigt des Jahres

„Ein Wunder, das zurückgeht auf das Wunder Jesu, des auf die Erde gekommenen Sohnes Gottes. Das Wunder seiner Menschwerdung ist hier in Stein gegossen. Seine Güte und sein Opfer strahlen aus jeder Fuge und leuchten in unser Herz.“
Der Pfarrer ist Schauspieler Claudius Bruns. Mit dem „Theater Adolf Südknecht“ und der Leipziger Universitätsmusik spielt er anlässlich des 55. Jahrestages ihrer Sprengung in der wiederaufgebauten Leipziger Universitätskirche. Die hatte die SED 1968 in die Luft jagen lassen, um einen sozialistischen Platz zu schaffen, an dem keine Kirche stört. An Christi Himmelfahrt 1968 hielt der Dominikaner Pater Gordian den letzten Gottesdienst. In der nachempfundenen Predigt klingt das so: „Jesus hat uns verlassen. Er ist in den Himmel aufgefahren. Wie die Jünger stehen auch wir erneut allein da. Erschüttert, verzweifelt, wütend. Doch selbst, wenn wir auserkoren sind, dieses Schicksal anzunehmen, selbst, wenn wir dazu verdammt sind, kein Gehör zu finden, dann sagt Jesus: ‚Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien.‘ Und dieser Schrei wird gehört werden, von dem Höchsten, dem er gilt. Denn Gott hat uns verheißen, wo auch immer wir sind: ‚Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.‘ Das ist die Frohe Botschaft: Wir sind eben nicht allein, wir sind eben nicht verlassen, der Herr ist mit uns und in uns, jetzt und alle Zeit bis zu seiner Wiederkehr. Amen.“ Pfarrer und Ministranten ziehen aus. 
Universitätsmusikdirektor David Timm spielt Bach, bis er abrupt abbricht. Das gleiche Stück hatte Kurt Grahl, jahrzehntelang Organist der Leipziger Propstei, in der abgesperrten Universitätskirche georgelt während die Sprenglöcher gebohrt wurden. Erst die Polizei beendete sein widerständiges Treiben. Das Stück endet im Inferno der Sprengung. Die Orgel bäumt sich ein letztes Mal auf und verstummt. Stille im Paulinum. Plötzlich, zart wie eine verlöschende Kerze setzt die Orgel fast unhörbar noch einmal ein und verklingt ins Unendliche. 
Fast ein Gottesdienst – wobei, das „fast“ getrost gestrichen werden kann.