Rückgang der Gottesdienstbesucherzahlen

Etwas mitnehmen können

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Leere Kirchenbaenke
Nachweis

epd/Tim Wegner

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Werden die Bänke in den Kirchen zu Gottesdiensten künftig noch leerer sein? Oder wird es gelingen, dass wieder mehr Menschen zu liturgischen Feiern zusammenkommen?

Der Gottesdienstbesuch ist in den letzten Jahren vielerorts erheblich zurückgegangen. Warum das so ist und wie Gemeinden damit umgehen können, erklärt der Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann.

Professor Kranemann, zu Beginn zunächst eine persönliche Frage: Gehen Sie jeden Sonntag zum Gottesdienst?


Ich feiere bewusst jeden Sonntag einen Gottesdienst mit. Ich bin viel unterwegs, so dass die Orte wechseln. Manchmal nehme ich an einem Gottesdienst im Fernsehen teil. Mir ist dabei wichtig, dass ich aus der Feier etwas in meinen Alltag mitnehmen kann. Zugleich verstehe ich Menschen, die fragen, ob ihnen der Gottesdienst etwas für ihr Christsein gibt, und die entscheiden, ob und wo sie mitfeiern.


Gemeinden beklagen seit den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie den Rückgang des Gottesdienstbesuches um bis zu 30/40 Prozent. Welche Gründe sehen Sie dafür?

 

Benedikt Kranemann von der Universität Erfurt.
Benedikt Kranemann lehrt an der Universität Erfurt. Foto:  Universität Erfurt

Die Gründe sind vielfältig. Wenn Glaube und Kirchenbindung schwinden, sinkt die Bereitschaft, Liturgie mitzufeiern. In der Pandemie haben Menschen die Erfahrung gemacht: Wenn ich nicht zur Messe gehe, fehlt mir nichts. Und haben ihre Praxis entsprechend geändert.
Generell kann man sicher sagen: Wo eine gute Liturgie gefeiert wird, sind Menschen gerne dabei. Sie suchen qualitätsvolle Gottesdienste, finden sie aber oft nicht. Andere Gläubige fühlen sich durch die Form von Kirche, wie sie ihnen begegnet, etwa die Kleruszentriertheit, abgestoßen. Frauen sagen: Ich ertrage diese Männerdominanz nicht mehr. Oder: Menschen verstehen die Art und Weise des Gottesdienstes, seine Form- und Zeichensprache schlicht nicht mehr. All das trägt zur Entfremdung bei, lässt Menschen vom Gottesdienst fernbleiben oder treibt sie aus der Kirche raus.


Stichwort Sprache: Was läuft da schief?


Zum Beispiel ist in der Messliturgie viel von der Schuld des Menschen die Rede. Das wird ja nicht einfach abgelehnt, doch Menschen haben darauf eine vielschichtige Sicht ... Gleich am Beginn der Messe etwa steht das Schuldbekenntnis. Könnte da nicht zum Beispiel häufiger die Erinnerung an die eigene Taufe stehen und damit die Ermutigung, als Getaufte das Gute zu tun? Das wäre ein deutlich anderer Blickwinkel.
Viele Gebete in der Messfeier stammen aus einer frühen Zeit der Kirche. An und für sich schön, weil man in einer Tradition steht. Aber vieles ist Menschen heute unverständlich und auch theologisch fragwürdig, zum Beispiel die Opfer-Theologie, das immer wieder stark von Sünde geprägte Menschenbild, das zu perfekte Bild der Kirche. Und auch die Sprachstruktur der Gebete ist für viele ein Hindernis. Das alles wirkt so fremd, das es nicht mehr zum Nachsinnen anregt, sondern den Zugang verbaut.
Hinzu kommt: Die Bedeutung der Eucharistiefeier ist nicht zu bestreiten. Aber es gibt viele andere Formen des gemeinsamen Betens und Singens: Taizé-Gebet, Wort-Gottes-Feiern, kleine Formen der Tagzeitenliturgie, Segnungsfeiern … Diese Vielfalt muss mehr zur Geltung gebracht werden. Ein Qualitätsmerkmal der Liturgie muss werden, zu fragen, welche Weise des Gottesdienstes wann und für wen sinnvoll ist.


Sie sagten eingangs: Mir ist es wichtig, dass ich aus einem Gottesdienst etwas für meinen Alltag mitnehmen kann. Wie muss das aussehen?


Wir leben in einer Zeit, die vielen Menschen ihre Hoffnung raubt: neben persönlichen Krisen vor allem durch die Klimakrise, weltweite Kriege, politische Verwerfungen auch bei uns. Liturgie muss die Hoffnungsbotschaft des christlichen Glaubens anbieten und in biblischen Texten, Gebet, Ritus, Lied immer wieder neu und heutig zur Sprache bringen. Da hat sie gerade jetzt ein immenses Potenzial und in der Gesellschaft durchaus ein Alleinstellungsmerkmal.


Gelingt es zu wenig, deutlich zu machen, was mit der Botschaft von Gottes Liebe zum Menschen im konkreten Leben gemeint ist? Wenn ja, woran liegt das?


Offensichtlich gelingt das jedenfalls zu oft nicht. Liturgie und Leben liegen dann zu weit auseinander. Die liturgischen Bücher lassen hier oftmals zu wenig Spielräume. Die Spielräume, die es gibt, werden wiederum zu wenig genutzt. Vielen ist der Mut zum Experiment abhandengekommen – oder auch „ausgetrieben“ worden. Und vielleicht wird der Liturgie heute zu wenig zugetraut. Der Schwung vergangener Jahrzehnte scheint zu fehlen.


Was ist zu tun?


Qualitätvolle Liturgien zu gestalten, setzt ein gemeinsames Herangehen auf Gemeinde- wie auf Bistumsebene voraus: Gemeinsam muss über Feiern und ihre Gestalt, aber auch das Gottes- und Menschenbild nachgedacht werden. Die vielen unterschiedlichen Perspektiven auf Liturgie in der Kirche von Klerikern und Nichtklerikern, den verschiedenen Geschlechtern, Alt und Jung sollten ins Gespräch gebracht werden. Das ist einer Kirche angemessen, die synodal sein will. Gemeinsam müssen daraus Impulse für die heutige Liturgie erwachsen. Fragen stehen an wie: Welche Gebete, Lieder und Gottesdienstformen bewähren sich angesichts des heutigen Selbstverständnisses und Empfindens? Welche Anlässe, Lebenssituationen, Erfahrungen möchten die Menschen gern auch liturgisch begehen?
In der Gesellschaft sprechen wir von Start-ups, wo mit wenig Mitteln eine neue, aber vielversprechende Idee an den Start gebracht wird. Wenn die Gesellschaft Anliegen und Ansatz für relevant hält, unterstützt sie das. Ähnlich könnte es die Kirche praktizieren. Es gibt ja solche Neuentwicklungen: Die hier in Erfurt entstandene Segnungsfeier für Paare am Valentinstag etwa hat sich sehr verbreitet, auch international. Das Bonner Mittagslob als kleine Gebetszeit inmitten einer Großstadt hat etliche Nachahmer gefunden. Es gab eine Idee – und Menschen, die von ihr begeistert waren und sie gefördert haben. Vielleicht auch gegen Bedenken und trotz Risiko. Das hat sich ausgezahlt.


Was macht eine gute Liturgie aus?


Menschen empfinden einen Gottesdienst als gut, wenn sie sich willkommen fühlen und den Eindruck haben, dass das, was sie in ihrem Leben bewegt, vorkommt. Wichtig sind auch Aspekte wie: Versammelt sich die Gemeinde im Gottesdienst zu einer Gemeinschaft? Wie versteht sich die leitende Person – vor allem auch als Teil der Gemeinde? Wie wird das Wort Gottes verkündet und wie lebensnah ausgelegt? Wie aktuell sind die Fürbitten? Wird darüber gesprochen, welche Lieder die Menschen gern singen und spielt das eine Rolle? Aber auch: Wie wird mit Brot und Wein umgegangen? Wird das gemeinsame Mahlhalten deutlich erfahrbar? Bildet die Gemeinde zum Kommunionempfang eine Gemeinschaft um den oder vor dem Altar? Gibt es auch Momente der Stille für persönliches Gebet? Zum Beispiel vor dem Tagesgebet in der Messe? Wichtig ist auch, dass viele Teilnehmende aktiv beteiligt sind: wenn sie vorsingen, biblische Texte lesen, die Kommunion austeilen. Bis hin zur Vorbereitung der Gottesdienste unter Beteiligung von Gemeindemitgliedern.


Das bedeutet viel Aufwand und Zeit …


Aber das lohnt sich, wenn Menschen sich dann im Gottesdienst besser wiederfinden, wenn die Engagierten selbst beschenkt rausgehen. Und es muss allen in der Kirche diesen Aufwand wert sein, weil ihnen der Gottesdienst so viel wert sein muss!

Eckhard Pohl