Kess-Kurse auf Ukrainisch

„Wir alle wollen gute Eltern sein“

Portrait Nataliya Heletiy-Luka

Foto: Ruth Weinhold-Heße

Ein Kess-Kurs hat Nataliya Heletiy-Luka aus Dresden geholfen, ihren eigenen Kindern in der Pubertät ein gutes Gegenüber zu sein. Inzwischen hält sie selbst die Erziehungskurse – auf Ukrainisch. Sie ist begeistert, wie das Leben von Familien dadurch verbessert wird.

Der Weg von Nataliya Heletiy-Luka nach Deutschland war ungewöhnlich. Zunächst machte sie ein Aufbaustudium in Bayern, wollte aber darüber hinaus nicht bleiben. Sie hatte Internationale Wirtschaftsbeziehungen sowie Dolmetschen und Übersetzen studiert und war Dozentin an der Universität in Lviv. Dann aber erhielt ihr Mann – ein griechisch-katholischer Pfarrer aus der Ukraine – den Auftrag, in Ostdeutschland ukrainische Gemeinden zu gründen. Das führte sie zunächst nach Leipzig, später nach Dresden. Über 20 Jahre ist das inzwischen her. 15 Jahre davon war sie hauptsächlich Mutter. Ihre fünf Kinder sind mittlerweile zwischen zwölf und 19 Jahren alt.

„Für mich war es immer wichtig, meine Kinder mit Liebe zu erziehen und ihnen viel Zeit zu widmen“, erzählt sie. „Aber in der Pubertät waren wir ratlos.“ Rat suchten Nataliya Heletiy-Luka und ihr Mann zunächst in Büchern. Schon als Kind erlebte sie die Erziehung in der Sowjetunion als „nicht korrekt“, als zu sehr fokussiert auf Leistung. „Es ging mehr darum, welche Noten wir nach Hause bringen, als darum, wie es uns wirklich geht“, erzählt die 48-Jährige über ihre eigene Kindheit. Ihre zwei als Lehrer arbeitenden Eltern hatten nicht so viel Zeit für die drei Kinder, prägend waren dagegen die langen Ferien bei den Großeltern auf dem Land. „Man hat damals nicht darüber nachgedacht, dass das Kind im Leben glücklich wird“, sagt sie und erklärt, dass, nachdem die Ukraine unabhängig wurde, ihre Eltern manchmal Monate lang keinen Lohn erhielten. Was sie als Jugendliche als Abenteuer erlebte, bereitete ihren Eltern existenzielle Sorgen. Die Landwirtschaft der Großeltern, wo die Enkel mithelfen mussten, war dagegen ein Segen.

Respektvoll mit Kindern und sich selbst umgehen

Eine ganz andere Ausgangslage hatte ihre Familie in Deutschland als ihr erstes Kind in die Pubertät kam. Auseinandersetzungen mit den Eltern, die dann folgten, hätte sich Nataliya Heletiy-Luka selbst nie getraut. Da die Kinder das St. Benno-Gymnasium in Dresden besuchten, lag es nahe, dass das Ehepaar 2020 einen dort angebotenen Kess-Kurs besuchte. Kess steht für kooperativ, ermutigend, sozial und situationsbezogen. Die Kurse sollen Eltern stärken in einem respektvollen Erziehungsstil. Eltern erfahren, welche Grundbedürfnisse Kinder und Jugendliche haben und was ihr Selbstwertgefühl steigert. Mütter und Väter lernen, weshalb Kinder und Jugendliche manche störende Verhaltensweisen zeigen und wie sie darauf reagieren können.

„Ich war sehr begeistert von dem Kurs! Wichtig wurde mir vor allem, dass der respektvolle Umgang mit den Kindern einschließt, dass ich achtsam und respektvoll mit mir selbst umgehe. Befreiend war auch, dass ich bei den wichtigen Dingen bei meinem Standpunkt bleiben kann, aber dem Kind altersentsprechend die Freiheit geben darf, seine eigenen Entscheidungen zu treffen“, erzählt Nataliya Heletiy-Luka. „Nicht jedes Problem des Kindes muss mir gehören, aber ich kann mein Kind bei seinen Problemen unterstützen“, erläutert sie weiter. Dabei sei ihr wichtig, dass der Kess-Kurs keine Methode sei, die man erlerne, sondern ein Blumenstrauß an Anregungen, aus dem man sich aussuchen könne, was zur Familiensituation passe. „Wir alle wollen gute Eltern sein, keine beschließt, eine schlechte Mutter zu sein. Aber oft fehlen uns Informationen“, sagt sie. Es seien die Informationen, die ihr geholfen hätten, die Bedürfnisse ihrer Kinder besser zu verstehen. „Man kommt zum Kurs und will etwas ändern, aber letzten Endes kann man nur sich selbst und seine Einstellung ändern“, so Nataliya Heletiy-Luka.

Ganz praktische Beispiele, die die fünffache Mutter mitgenommen hat aus dem Kurs: „Dass ich Edelsteinmomente bewusst schenke. Einmal kam meine Tochter völlig entmutigt aus der Schule. Dann hat jeder aus unserer Familie gesagt, was besonders toll an ihr ist, was sie gut kann. Durch diese Ermutigungsdusche hat sie sich wieder geliebt gefühlt. Oder wenn die Kinder überfordert sind von Aufgaben, kann man ihnen helfen, die Aufgaben in mehrere kleine Schritte aufzuteilen. So kann ich meinen Kindern helfen, Dinge selbst zu schaffen“, erklärt sie. Auch hätten sie einen Familienrat eingeführt, wodurch die Kinder in Entscheidungen einbezogen werden, lernen, zusammen eine Lösung zu finden, aber auch, sich zu beteiligen. „Sie haben zum Beispiel gelernt, selbst einen Ausflug zu planen.“

Die Ukrainerin war so begeistert von ihrem Besuch bei dem Erziehungskurs, dass sie selbst eine Ausbildung zur Kess-Referentin abschloss. Denn sie sei immer offen, ihren Horizont zu erweitern und neue Menschen kennenzulernen, beschreibt sie sich selbst. Inzwischen bietet Nataliya Heletiy-Luka selbst Kess-Kurse auf Ukrainisch an. Der vierte Kurs ist bereits in Dresden abgeschlossen.

„Kinder in der Pubertät brauchen starke Eltern“

Die Situation von den meist alleinerziehenden Müttern, die vor dem Krieg geflohen sind und in Deutschland mit ihren Kindern in einer völlig neuen Umgebung klarkommen müssen, sei besonders herausfordernd. „Sie haben selbst die sowjetische Erziehung erfahren und wissen nicht, wie sie es anders machen können.“ Am schwierigsten sei es für Mütter mit älteren Kindern, die komplett aus ihren Freundeskreisen herausgerissen wurden, und die sich in Deutschland genauso verhalten wollen, wie andere Teenager in ihrem Alter. „Mein Rat ist: Achtet zuerst auf euch selbst“, sagt Nataliya Heletiy-Luka. „Denn Kinder in der Pubertät brauchen starke Eltern.“ Deshalb ermutigt sie als Kurs-Leiterin die Mütter zuerst, um sie in der Elternrolle zu stärken. „Die Eltern, die an einem ‚KESS‘-Kurs teilnehmen, sind ja Mütter und Väter, die es gut machen wollen, die sich Gedanken darüber machen, was ihnen und ihren Kindern helfen könnte. Deshalb freut es mich, wenn sie im Kurs auch mal lachen, und sich Zeit für sich nehmen, um aufzutanken.“ Nach jeder Einheit gibt Nataliya Heletiy-Luka Hausaufgaben auf, die die Familien ausprobieren können. Sie vergleicht es mit einer Geige: „Man muss das Instrument manchmal nur ein wenig feiner stimmen und es klingt ganz anders“, sagt sie.

An die üblichen fünf Kurstermine, schließt Nataliya Heletiy-Luka eine informelle sechste Einheit an, um mit den Eltern zusammen zu feiern, dass sie den Kurs gemeinsam gemeistert haben.

Bisher hat sie vor allem ukrainische Eltern mit einem christlichen Hintergrund erreicht. Der Glaube stärke auch sie selbst beim Erziehen ihrer Kinder: „Gottes Liebe gibt mir in schwierigen Momenten Halt und ist eine Kraft, die unser Leben in eine gute Richtung führt.“

Ruth Weinhold-Heße

Logo Kess KurseTräger der hier vorgestellten Kess-Kurse ist der Familienbund der Katholiken in den Bistümern Dresden-Meißen und Görlitz e.V., mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushalts. 

Die Kess-Ausbildung im Bistum Dresden-Meißen läuft unter dem Dach der Abteilung Familienpastoral im Bistum Dresden-Meißen.
Infos und die nächsten Kess-Kurse: www.familienbund-sachsen.de/kess-erziehen