Kontroverse ums Programm des Katholikentags in Erfurt

Mehr Bühne für die Gastgeber

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Blick von den Erfurter Domstufen auf die Erfurter Altstadt
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Foto: imago

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Martinsfeier 2023 auf dem Erfurter Domplatz. Das Martinsfest ist einer der Anlässe, die Thüringer Christen schon zu DDR-Zeiten nutzten, um öffentlich präsent und wirksam zu sein. 

Ein halbes Jahr vor Beginn des Katholikentags in Erfurt streiten Planer über die Inhalte. Hauptkritik des inzwischen zurückgetretenen Trägervereinsvorsitzenden Manfred Ruge: Ostdeutsche Erfahrungen kommen zu wenig vor.

„Es wird ein Katholikentag für alle werden“, hatte Bischof Ulrich Neymeyr nach dem Stuttgarter Katholikentag in einem Interview angekündigt. Als Gastgeberbistum für den Katholikentag 2024 werde Erfurt besonders die Erfahrung einbringen, in einer mehrheitlich nichtchristlichen Gesellschaft christliche Gemeinschaft zu leben. Seit Jahren erprobe man in Erfurt neue Wege in der Glaubenskommunikation, erläuterte der Bischof. Gesprächsangebote an die Bevölkerungsmehrheit wie die Lebenswendefeiern als Alternative zur Jugendweihe könnten durchaus Vorbildcharakter für andere Bistümer haben, sagte er. 

Das beschlossene, aber noch nicht veröffentlichte Programm des Katholikentags halte nicht, was den Katholiken des Bistums und den Geldgebern in Stadt und Land im Vorfeld in Aussicht gestellt wurde, kritisiert dagegen der ehemalige Erfurter Oberbürgermeister Manfred Ruge, der nach vergeblichen Einigungsversuchen vergangene Woche als Vorsitzender des vor allem mit der  Finanzierung betrauten Katholikentags-Trägervereins zurücktrat.

„Reduziert uns nicht auf Rechtsextremismus!“

Ostdeutsche Erfahrungen bekämen in den großen Podien nicht den angemessenen Raum, bemängelte der Politiker, der auch zur mit Inhaltsfragen befassten  Katholikentagsleitung gehörte. Bei einer Diskussion über die Aktion „Schwerter zu Pflugscharen“ der christlichen DDR-Opposition seien Bodo Ramelow und Friedrich Merz als erste angefragt worden. „Christen, die unter dem System  gelitten haben, waren gar nicht vorgesehen“, bedauert Ruge. In einem Podium zum Thema Sport vermisste er ostdeutsche Sportler – „und das in Thüringen, wo es so viele Weltmeister und Olympiasieger gibt.“

„Wir bekommen hohe Zuschüsse vom Land und von der Stadt. Die Politiker, die für die Bewilligung gestimmt haben, müssen sich dafür rechtfertigen. Das macht ihnen das Zentralkomitee der Katholiken schwer, wenn es Menschen der Region kaum beteiligt und den Themen, die sie bewegen, so wenig Platz gibt“, meint Ruge. Er hatte sich auf einen Katholikentag gefreut, bei dem Ost- und Westdeutsche einander zuhören – und das nicht nur in persönlichen Begegnungen am Rande der Kirchenmeile. „Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass wir offen und auf Augenhöhe darüber diskutieren, warum bis heute selbst im Osten immer und überall Westler bevorzugt werden“, sagt der 78-Jährige.

Mit seiner inhaltlichen Kritik steht der Politiker in Erfurt nicht allein. Nach einigem Protest sei das Konzept der Lebenswendefeiern ins Programm aufgenommen worden, allerdings „als Randnotiz“ in einem Gottesdienst, bemängeln Katholiken, die eigene  Vorschläge eingebracht hatten. Damit erreiche man die 80 Prozent Nichtchristen in der Region nicht, lautet die Kritik. Zu den Erfahrungen, die Thüringer Christen gerne ins Gespräch gebracht hätten, gehören die Martinsfeiern, zu denen die Kirchen seit 1972 tausende Erfurter auf dem Domplatz versammeln.

„Unsere Stadt wird im bisherigen Katholikentagsprogramm im wesentlichen auf den Amoklauf im Gutenberg-Gymnasium reduziert, Thüringen auf Rechtsextremismus. Das ist nicht stimmig und auch nicht fair, wenn man sich zum Beispiel die jüngsten Landtagswahlergebnisse aus Bayern anschaut“, ist von politisch interessierten Erfurtern zu hören. Es gehe ihnen um die Anerkennung der Lebensleistung Ostdeutscher. Wenn weiterhin transportiert werde, dass „Ostdeutsche die „Problembären“ seien und die anderen „die Guten“, spiele das der AfD in die Hände.  

„Vor fünf Jahren hätte ich noch gesagt, wir schaffen die deutsche Einheit, jetzt nehme ich wahr, dass sich Spaltungen sehr verschärfen“, sagt dazu Anne Rademacher, die Leiterin des Erfurter Seelsorgeamtes. Dies sei aber kein katholisches und schon gar kein spezifisches Erfurter Problem, sondern betreffe die gesamte Gesellschaft. Um Katholiken aus der ehemaligen DDR Gesprächsräume für ihre Erfahrungen anzubieten, habe sie schon frühzeitig das katholische Bildungshaus St. Ursula für ein eigenes vom Bistum gestaltetes Programm reserviert. „Ich finde, dass wir geschichtlich und aktuell Schätze zu zeigen haben“, sagt Anne Rademacher. Sie hofft, dass sich auch westdeutsche Besucher dafür interessieren, welche Akzente die Kirche in Ostdeutschland setzt und dass es zu guten Begegnungen kommt. „Unsere Kleinheit darf dabei sichtbar werden, und zugleich können wir zeigen, was wir daraus machen.“ 

„Knirschen“ ist normales Katholikentagsgeräusch

Im aktuellen Streit um das Katholikentagsprogramm sei nicht nur das Ost-West-Thema ein weiteres Mal hochgekocht. Ihm liege auch das „Knirschen“ zugrunde, das zwischen Katholikentagsgremien und gastgebendem Bistum üblich sei. „Der Katholikentag bringt wie eine Art Wanderzirkus  ein fertiges Konzept von einer Stadt zur nächsten“, sagt Rademacher. Das führe unweigerlich zu Konflikten. Hinzu komme, dass der Katholikentag von seiner Geschichte her ein Treffen der katholischen Verbände sei. Die hätten in Ostdeutschland aber allenfalls eine marginale Bedeutung. 

Schon beim Katholikentag 2016 in Leipzig seien ostdeutsche Themen unzureichend berücksichtigt worden, erinnert sich der Leipziger Propst Gregor Giele. „Wir müssen uns selbst natürlich auch die Frage stellen, inwieweit unsere ostdeutschen Erfahrungen so reflektiert sind, dass man sie in einer guten Weise in den Katholikentag einbringen kann“, gibt er zu bedenken.

 

Meinung: Keinen faulen Frieden

Portrait Dorothee Wanzek
Dorothee Wanzek

„Zukunft hat der Mensch des Friedens“, heißt das Motto des bevorstehenden Erfurter Katholikentags. Besonders friedlich ist es nicht zugegangen bei den bisherigen Vorbereitungen. Allem Anschein nach fehlte es an Transparenz, an Wertschätzung und der Bereitschaft zuzuhören.
Verheerend wäre es jetzt, wo sich viele um Schadensbegrenzung mühen, die Kontroversen „um des lieben Friedens willen“ unter den Teppich zu kehren. Frieden kann nur werden, wenn wir über Themen, die es wert sind, streiten. Ein fairer, respektvoller Umgang zwischen Ost- und Westdeutschen ist einen gepflegten Streit auf jeden Fall wert. Das sieht auch der ostdeutsche SPD-Politiker Wolfgang Thierse so. „Dass es Streit vor einem großen Ereignis gibt, schadet dem Ereignis nicht“, sagte er dieser Tage in einem Interview des Kölner Domradios. Er wünsche dem Erfurter Katholikentag, „dass er sehr diskussionsfreudig ist und auch die aktuellen Streitthemen und Differenzpunkte in der Gesellschaft, in der Politik und in der Kirche anspricht.“ Um etwas zu „beschweigen und zu besänftigen“, brauche man keinen Katholikentag. Das könne man auch zu Hause machen

 

Dorothee Wanzek