Gastbeitrag zum Thema Migration im Bundestagswahlkampf 2025
Willkommenskultur neu denken

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Selten ist ein Thema in einem Bundestagswahlkampf so aggressiv diskutiert worden wie das Thema Migration zu Jahresbeginn 2025. Dass es eine beherrschende Rolle spielen würde, war absehbar. Ohne Erfolg hatten Bundesregierungen jahrelang versucht, illegale Migration nach Deutschland einzudämmen. Länder, Kommunen und Landkreise sehen sich zunehmend überfordert, die Folgekosten einer ungesteuerten Migration zu schultern. Während die CDU/CSU-Opposition unter Friedrich Merz am 29. Januar einen Fünf-Punkte-Antrag „für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration“ mit Hilfe der AfD-Fraktion durchsetzte, scheiterte sie zwei Tage später mit einem „Zustrombegrenzungsgesetz“. In beiden Fällen hatte Merz – gegen alle vorherigen Zusicherungen – die Unterstützung durch die AFD bewusst in Kauf genommen, was als Tabu-Bruch und Desaster für die Demokratie von vielen scharf kritisiert wird.
Das Ziel des Staates, über geeignete Mittel für Sicherheit und Ordnung an den Grenzen sorgen zu können, ist legitim, träfe aber mit den beabsichtigten Regelungen unterschiedslos alle Migranten. So sieht der Fünf-Punkte-Plan die Zurückweisung aller Personen vor, die keine gültigen Einreisedokumente vorweisen können. Das soll auch für Personen gelten, die Asyl beantragen wollen – ein rechtlich inakzeptables Vorgehen. Im Zentrum der Debatte über ein Migrationsgesetz, die jetzt zu führen ist, muss die Frage stehen, wie die Balance zwischen der Sicherheit des Staates und den Sicherheitsbedürfnissen von Menschen auf der Flucht am besten gewährleistet werden kann.
Die aggressive Tonlage in der überhitzten Debatte der letzten Wochen ist gefährlich. Bezeichnend ist, dass nur noch von „Migration“ die Rede ist, nirgends aber von „Integration“ der Geflüchteten in die Gesellschaft. Als im Herbst 2015 das Wort „Willkommenskultur“ die Runde machte, war die große Mehrheit der Deutschen bereit, offen auf die Ankömmlinge zuzugehen und ihnen zu helfen, sich in Deutschland zurechtzufinden. Die Zivilgesellschaft organisierte aus dem Stand eine gigantische Flüchtlingsshilfe. 2025 offenbart das Wort-Monster „Zustrombegrenzungsgesetz“ in entlarvender Offenheit das genaue Gegenteil: Es geht nur noch um Abwehr. Politiker schämen sich nicht, Fluchtmigranten, die es bis Deutschland geschafft haben, mit maximaler Unhöflichkeit schon in der Überschrift darauf hinzuweisen, dass sie eine unerwünschte Erscheinung an den deutschen Grenzen sind.
Deshalb sind die Kirchen in der Frage der Migration gerade jetzt zu erhöhter Wachsamkeit aufgefordert, geht es doch um ein Herzstück ihrer christlichen Identität. In der Erzählung vom Weltgericht lesen wir: „Ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen“ (Matthäusevangelium 25,35) Gegen viele Widerstände sollen wir neu lernen, diesem biblischen Blick auf die Fremden zu folgen. In einer Situation, in der Migranten nur noch unter dem Aspekt betrachtet werden, wie wir sie möglichst schnell wieder loswerden, brauchen wir neue Formen von Willkommenskultur.
// Joachim Garstecki, ehemaliger Generalsekretär von Pax Christi