Propst Gregor Giele verlässt Leipzig
Umarme die Wirklichkeit
Fotos: Luise Binder
Geh nach Leipzig und bau eine neue Kirche. So in etwa lautete der Auftrag, den Bischof Joachim Reinelt 2008 Gregor Giele gab. Danach könne er weiterziehen. Doch es kam alles ganz anders und erst jetzt, 16 Jahre später, verlässt er Leipzig.
Giele (58), ein Mann ohne Bau-erfahrung, aber mit Talent für Fundraising und Kommunikation, nahm die Herausforderung an. Er baute nicht nur eine Kirche, er baute Brücken. In einer Stadt, in der nur vier Prozent der Bevölkerung katholisch ist, war das keine leichte Aufgabe. Doch der Priester liebt Herausforderungen.
„Er schaut sich die Realität an und zeigt uns, was jetzt ansteht“, sagt Monika Lesch (39), Gemeindereferentin und langjährige Weggefährtin. „Er ist wachsam, nimmt Dinge gut wahr und schreckt nicht vor Komplexität zurück.“ Mit diesem Tempo fordere er sein Team heraus, „aber er zwingt dich nicht, deine Grenzen zu überschreiten“, sagt Lesch.
Taizélieder vom Baustellendach
Giele ist ein Mann der Tat. Als 2015 die Legida-Proteste die Stadt erschütterten, organisierte er innerhalb von 24 Stunden nach Anfrage der Stadt eine Mahnwache auf der Baustelle der neuen Kirche. „Mit Gregor können wir in kurzer Zeit Besonderes auf die Beine stellen“, sagt Lesch. Vom Dach des Rohbaus haben sie den Legida-Demonstraten Taizélieder entgegen gesungen.
Als die Kirche fertig war, wurde Giele zum Leipziger Propst befördert und blieb. Mit dem neuen Amt kam eine neue Herausforderung: Die Kirche musste sich neu positionieren. „Wir als Kirche sind ein Player unter vielen in so einer Stadt und das müssen wir, glaube ich, wieder vollkommen neu lernen“, sagt er.
Giele ist ein Mann des Dialogs. Er sitzt am Runden Tisch Gemeinwohl Leipzig, bringt seine Perspektive ein und löst Probleme mit wenigen Anrufen. Seine gute Vernetzung habe beim Kirchentag 2016 viele Menschen beeindruckt, sagt Lesch.
Sein Konzept ist es, sich die Wirklichkeit, wie sie ist, anzuschauen und dann zu fragen: Wie kann ich darauf reagieren, antworten, was braucht es? Darin übt er sich jeden Morgen, wenn er meditiert. „Das Konzept finde ich so klasse“, sagt Lesch, „denn es gibt in der Kirche so viele Menschen, die Angst vor dem haben, was da draußen passiert.“ Er ist ein Seelsorger, der versucht, den Herausforderungen der Zeit nachzukommen. Er hat versucht, Angebote zu schaffen für diejenigen, die ausgetreten sind, aber immer noch glauben. „Was wir inzwischen für eine Riesengruppe von Glaubenden haben, die keine Heimat haben. Das sind hunderttausend. Und da mal zu sagen, wie nehmen wir die in den Blick?“
Mit mancher Idee macht er sich angreifbar, tritt dem einen oder anderen auf die Füße – das nimmt er in Kauf. Er streitet gern und ist vorbereitet: „Wer neue Wege geht, ist auch verpflichtet, diese wasserdicht zu machen und sich zu fragen: Ist das theologisch und kirchenrechtlich zu vertreten“, sagt Giele. Als loyal und gehorsam, zugleich aber auch mutig und bereit, beschreiben ihn Menschen, die mit ihm gearbeitet haben.
Giele ist ein Mann der Worte. „Er hat irgendwann ein geistliches Wort zu Anfang der Kirchenvorstandssitzung eingeführt“, sagt Carl-Hans Uhle (65), der dort 16 Jahre mit Giele gearbeitet hat. „Das war eine wahre Freude.“ Zu spät zur Sitzung kommen, sei keine Option mehr gewesen. Man wollte den Impuls nicht verpassen, sagt Uhle. Er habe ihn als einen gläubigen und intelligenten Menschen kennengelernt, der ein tiefes Interesse an religiösen Dingen hat. „Aber es hat auch immer Spaß gemacht.“
Langsamer Kampf mit dem „Privat-Dämon“
Woran sich viele Menschen jedoch gewöhnen müssten, sei die spitze Zunge. „Er nimmt einen gern auf den Arm“, sagt Uhle. „Aber man dürfe auch zurückschießen.“ Giele ist sich dessen durchaus bewusst. An seinem ironischen Ton arbeite er seit Jahrzehnten „mit minimalen Fortschritten“, schmunzelt der Priester. „Das ist mein Privat-Dämon.“
Giele ist ein Mann der Disziplin. Ein Pfarrer zum Anfassen oder der Kumpel-Kuscheltyp sei er nicht, sagt Gemeindereferentin Lesch. Er verlässt Gemeindefeste zu festen Zeiten, um morgens um 6 wieder arbeitsfähig zu sein. Das missfällt dem einen oder anderen Gemeindemitglied. Er habe aber eine große Begabung dafür, neue Leute zu erkennen und sie abzuholen, damit sie sich gesehen und angesprochen fühlen.
Lesch schätzt ihn für seine Bereitschaft, unkonventionelle Wege zu gehen. „Wenn wir als Kirche in unseren Mauern bleiben, dann wird nicht mehr lange was los sein“, sagt Lesch. Giele habe das erkannt. „Er lehrt uns: Gott ist in der Wirklichkeit und deshalb müssen wir raus gehen und die Wirklichkeit umarmen.“
Diese erschreckt Giele jedoch auch manchmal. Die Zunahme psychisch belasteter Menschen, die zur Innenstadtkirche kommen, geht ihm an die Substanz. „Das ist eine sehr komplexe, aber in allen Aspekten unangenehme Situation“, sagt er. Darüber werde gesellschaftlich viel zu wenig geredet. „Und ich frage mich, was los ist, dass das so zunimmt? Aber null Antworten.“
Ab August wird er in Zwickau ganz andere Antworten suchen, zum Beispiel auf die Frage, wie die weniger werdenden Katholiken die vielen Kirchengebäude in der Region unterhalten sollen. Da möchte er sich in die Reihe der Experimentierer eingliedern. Mit den für ihn typisch hochgezogenen Augenbrauen sagt er: „Das reizt mich, mal was zu probieren.“