Ein Denkmal erinnert an das Abschotten vor Flüchtlingen und Migranten

Schlechtes Gewissen in Beton

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In Frankfurt (Oder) sind Grenzmauern aufgestellt.
Nachweis

Fotos: René Pachmann

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Die Rückkehr der Grenzmauern nach Europa? Nur vorübergehend, bis zum 3. Oktober.

Beinahe zwei Jahre ist es her, dass Migranten und Flüchtlinge in den Wäldern an der Grenze zwischen Polen und Belarus ausharren mussten. Ein Denkmal, das gerade in Frankfurt (Oder) steht, erinnert an das harte Abschotten der EU.

Wer derzeit auf der Oder-Promenade in Frankfurt, auf Höhe der Stadtbrücke spazieren geht, der könnte einen kurzen Moment glauben, die Zeit der hohen Mauern an der deutsch-polnischen Grenze sei wieder zurück. Drei Meter hoch, rund 35 Tonnen schwer und oben mit Glas bespickt – so steht sie fast einschüchternd da, die „monumentale Skulptur“, deren Name klar wird, wenn man von oben auf sie schaut: „SORRY“, steht da mit insgesamt 48 Betonelementen geschrieben. Bis zum 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, steht der Schrift-Klotz noch da.

Ein Mahnmal, das Passanten stoßen ...

„Es ist eigentlich ein Anti-Denmal, ein Mahnmal“, sagt René Pachmann, katholischer Hochschulseelsorger in Frankfurt. „Wer man darauf zugeht, könnte man sich daran stören.“ Das ist durchaus beabsichtigt, wie die Erklärung auf der Website der Stadt Frankfurt verrät. „Die polnische Künstlerin Joanna Rajkowska war fassungslos, als 2021 an der Grenze zwischen Polen und Belarus Geflüchtete aus dem Nahen Osten monatelang im Wald hausen mussten“, schreibt Constanze Krüger über das unbequeme Kunstwerk. Krüger ist Kulturkoordinatorin an der Europa-Universität Viadrina – und René Pachmanns Ehefrau. Beide holten das Werk gemeinsam nach Frankfurt. Weiter heißt es in dem Text: „Die Europäische Union, die sich der Verteidigung humanitärer Werte verschrieben hat, verharrte derweil.“

Erst der Blick von weiter her lässt erahnen, was dort in Beton gegossen steht: „Sorry“.
Erst der Blick von weiter her lässt erahnen, was dort in Beton gegossen steht: „Sorry“.


Der belarusische Autokrat A-    lexander Lukaschenko hatte die Menschen aus dem Nahen Osten damals in sein Land gelockt, um die Europäische Union (EU) zu destabilisieren und zur Aufgabe seiner Sanktionen gegen ihn zu zwingen. Die EU blieb hart, machte die Grenze nicht auf, manche Menschen in den Wäldern erfroren in der Folge.
„Sorry“, klingt das nicht schrecklich beiläufig? „Stimmt“, sagt Hochschulseelsorger René Pachmann. „Wir sagen es meist einfach so daher. Und im englischen Sprachraum verwendet man es dann, wenn man im Grunde weitermachen will bisher.“

 

... und gleichzeitig anstoßen soll

Für ihn gibt es noch weitere Beispiele dafür, wie Europa, die westliche Welt das eigene Verhalten und ihre Denkstrukturen hinterfragen müsste, es aber meistens beim bloßen „Sorry“ bleibt: „Wir schaden dem Klima, beuten die Erde aus, leben auf Kosten der Dritten Welt.“ Anspruch und Wirklichkeit, so Pachmann, klafften weit auseinander. Welche Auswirkungen der Mensch auf die Natur hervorrufe, habe er mit vielen Frankfurtern im Sommer letzten Jahres feststellen müssen, als die Oder für ihre Fische schlagartig zum Massengrab wurde. Das eigene falsche Verhalten erkennen, es bereuen und um Vergebung bitten – mit der ernstgemeinten Absicht, es zukünftig besser zu machen. Für Pachmann, der auch mal Gefängnisseelsorger war, sind das „letztlich klassische, christliche Themen“. Er hofft, die Beton-Skulptur könne „helfen zu zeigen, dass es mit dem bloßen Sorry nicht mehr getan ist.“

 

Reaktionen

Was Frankfurter und ihre Gäste zu „Sorry“ sagen

Besucher diskutieren über das Kunstwerk.
Besucher diskutieren über das Kunstwerk.   

Bei einem Symposium am Kunstwerk, bei Führungen, politischen Kundgebungen oder beim zufälligen Vorbeiflanieren haben Bürger der Stadt Frankfurt (Oder), Studenten, Flüchtlinge, Touristen und Kunstinteressierte ganz unterschiedlich auf das Kunstwerk von  Joanna Rajkowska (rechts im Bild) reagiert, unmittelbar oder über die sozialen Medien. Vielen fällt auf, dass diese Skulptur nicht gefällig ist, dass sie komplexe Probleme anspricht. „Endlich wurde mal etwas nicht Provinzielles in die ,Provinz‘ geholt“, lautete eine positive Kritik. „Tolle Botschaft, aber schön ist es nicht“, lautete ein Echo aus der Katholischen Studierendengemeinde. Was die einen freut, ärgert andere. Zu politisch, zu unverständlich zu freundlich gegenüber Geflüchteten, zu viel Beton, zu viel Erinnerung an die Berliner Mauer, zu wenig ,schön‘, sagen einige. Und das soll es auch gar nicht sein, ruft Initiator René Pachmann in Erinnerung, die Künstlerin selbst spreche von einem „Beton-Monster“, das nun freigelassen sei. Das Kunstwerk habe in der Stadt durchaus eine kleine Debatte darüber ausgelöst, was denn die Funktion von Kunst im öffentlichen Raum ist, schätzt der Seelsorger ein. (tdh)

Stefan Schilde