Surfexerzitien „Surf & Soul“ auf Usedom

Aloha und Gott

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Windsurfer auf der Ostsee
Nachweis

Fotos: Michael Burkner

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Windsurfen auf Usedom: Auch Pastoralreferentin und Exerzitienleiterin Esther Göbel steigt bei „Surf & Soul“ aufs Brett (ganz rechts).

Die Pastoralreferentin Esther Göbel verbindet bei „Surf & Soul“ einen Surfkurs mit ignatianischen Exerzitien. Was Gott mit dem Sport auf den Wellen zu tun hat und wie Aloha-Spirit die Kirche bereichern kann.

„Aloha“ – die hawaiianische Begrüßung – ist auf ihren Unterarm tätowiert. Aber Esther Göbel sagt freundlich „Guten Morgen“ und nicht „Aloha“, als sie mich an der Rezeption im St.-Otto-Haus in Zinnowitz abholt. Dabei gibt sie mir die Hand und hängt mir keinen Blumenkranz um den Hals, wie es auf Hawaii bei Besuchern üblich wäre. Wir sind ja schließlich auf Usedom und hinter dem tiefen Wald rauscht die Ostsee und nicht der Pazifische Ozean. Trotzdem merkt man der Berliner Pastoralreferentin mit den kurzen, hochgegelten Haaren an, dass sie den berühmten „Aloha-Spirit“ der Hawaiianer nicht nur auf der Haut stehen hat. Auch ihre Seelsorge ist von Respekt, Rücksicht und positiver Energie geprägt. Besonders, wenn sie den Nationalsport Hawaiis nach Usedom bringt und ihn dort mit ignatianischen Exerzitien, also einem typisch katholischen Auszeitprogramm, verbindet – bei „Surf & Soul“, dem „Surfkurs mit Tiefgang“.

Kein innovatives Projekt mehr

Als „Wellness für die Seele“ beschreibt Ines „Surf & Soul“, als wir zu viert auf der Terrasse der Begegnungsstätte St. Otto in der Sonne sitzen und salzige Meeresluft atmen. Die Freiburgerin ist zum zweiten Mal hier, Ada stand dagegen zuvor noch nie auf einem Surfbrett. „Ankommen, ausrichten, atmen und sein“, beschreibt sie die gemeinsame Woche. Esther Göbel, die Kursleiterin, setzt dem die theologische Sachlichkeit entgegen: „Exerzitien im Erfahrungsraum Wassersport“, sagt sie und ergänzt grinsend, dass ihr Kurs oft als „innovatives Projekt“ bezeichnet werde. „Aber so innovativ ist das gar nicht, die geistlichen Inhalte sind sehr, sehr klassische Exerzitien von Ignatius von Loyola. Und von einem ‚Projekt‘ kann man nach acht Jahren irgendwie auch nicht mehr sprechen“, erklärt sie.

Schon seit Jahren also greifen auf Usedom Exerzitien und Surfen ineinander: Am Vormittag richtet die Gruppe ihren Blick auf das Leben des heiligen Ignatius, auf Bibelstellen und geistliche Impulse. Nachmittags geht es auf die Wellen des Achterwassers, jener flachen Lagune zwischen der Insel Usedom und dem Festland, die optimale Bedingungen für Windsurf-Anfänger bietet. Danach schließen sie den Tag mit einem Abendimpuls ab. Dabei erfahren die Teilnehmer erstaunlich viele Parallelen zwischen dem Windsurfen und ihrem Leben: „Der Ablauf des Surfens ist gut übertragbar. Es ist ein Balanceakt und man darf die Macht des Windes nicht unterschätzen“, erklärt Ines. Ada hat bei der Konfrontation mit Wellen und Wind Vertrauen in sich selbst und auf Gott gelernt. Und beide betonen den Zusammenhalt der Gruppe und die motivierende Teamarbeit – auf und neben dem Wasser.

zwei Frauen mit einem Windsegel-Surfbrett
Gegenseitige Unterstützung auf und neben dem Wasser: Esther Göbel (rechts) hilft Teilnehmerin Ines, das Segel am Surfbrett zu befestigen.

Daran hat Esther Göbel großen Anteil und ihre Art, Kirche und Glaube zu denken. Ihr Kirchenbild beschreibt sie als „nicht klassisch-katholisch“ und sie bevorzugt „weniger ritualisierte und freier formulierte Gebete“. Sie hofft und glaubt, so nah am normalen Leben der Teilnehmer sein zu können. Die hohe Nachfrage gibt ihren „innovativen“ Ideen recht, unumstritten sind sie trotzdem nicht: „Wir erleben aktuell, dass die Kirche, wie wir sie kennen, so nicht mehr funktioniert. Manche stellen sich als Reaktion darauf schützend vor das Ursprüngliche, während andere die Kirche verändern wollen“, beobachtet Esther Göbel.

Aloha-Spirit im Achterwasser

Nach der Mittagspause fahren wir mit zwei Bonibussen in den kleinen Ort Ückeritz. Das Wetter meint es gut mit den Surfern, denen der Wind am Vortag ganz schön zusetzte. „Manche waren gestern so schlau, draußen am Ufer zu bleiben und die Mutigen anzufeuern, die sich auf die Wellen gewagt haben“, erzählt Esther Göbel lachend und blickt auf die sanften Wogen des Meeres. „Heute ist es fast zu wenig Wind“, sagt sie und betont, dass man mit allen Wetterbedingungen umgehen könne und müsse: „Manchmal ist es leichter, zu surfen, manchmal schwerer. Nur wenn es richtig stürmt oder absolute Flaute ist, kann man nicht surfen.“ Währenddessen haben sich die Teilnehmer, acht Frauen und zwei Männer, Neoprenanzüge angezogen und gehen mit den Surfbrettern zum Wasser. Esther Göbel hilft dabei, die Segel zu befestigen. Dann stapfen die Ersten gegen den Widerstand des Wassers in die Bucht und klettern auf ihre Bretter. Schon bald sind sie so weit entfernt, dass man sie nur noch anhand der verschiedenfarbigen Segel unterscheiden kann.

Was sind das für Menschen, die sich für eine Woche anmelden, die ausgerechnet Surfen und Glaube verbindet? „Die Gruppen sind eher weiblich und viele haben kirchliche oder soziale Berufe“, sagt Esther Göbel. Ein Großteil – aber nicht alle – seien gläubig oder spirituell, hätten aber eine Distanz zur Institution der Kirche. Wahrscheinlich sind nicht wenige auch einfach neugierig, wie sich Surfen und Glaube verbinden lässt und finden Gefallen am „Aloha-Spirit“, den Esther Göbel verbreitet. Als alle ihre Schützlinge sicher in See gestochen sind, klemmt sich die Kursleiterin selbst ein Surfbrett unter die Arme. „Gute Heimfahrt“, sagt sie zum Abschied, schüttelt mir die Hand und läuft ins kühle Wasser – wieder kein „Aloha“, das auch eine Verabschiedung sein kann. Dann treibt das Windsegel sie hinaus zu den anderen.

Michael Burkner