Wenn der Glaube bewegt

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Tänzer in der Kirche St. Georg, Leipzig-Gohlis.
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Foto: Privat

Ein außergewöhnlicher Gottesdienst in Leipzig: Die Balletttänzer Ana Villalba und Julio Miranda bringen mit ihrem Tanz die Gemeinde St. Georg zum Staunen und schaffen eine neue Verbindung zwischen Kunst und Spiritualität. Die beiden Paraguayer sind in der Gohliser Gemeinde heimisch geworden und haben im Pfarrhaus ihre Tanzschule eröffnet.

April. Familiengottesdienst in der Pfarrei St. Georg in Leipzig Gohlis. Diese Messen sind üblicherweise etwas Besonderes. Mal singt der Kinderchor oder Erstkommunionkinder gestalten die Predigt. Etwas in der Art können die Gottesdienstbesucher erwarten. An diesem Sonntag jedoch ist die Predigt bewegt. Wortwörtlich. Nach mehreren Sätzen des Gemeindereferenten Oliver Cabrera über Migration und das Gefühl, fremd zu sein, wird im Altarraum Platz geschaffen. Dann treten Ana und Julio auf und alle sind wie gebannt.

Ana Villalba (33) und Julio Miranda (37) sind professionelle Balletttänzer. Seit einem Jahr haben sie einen Raum in der alten Gohliser Pfarrvilla gemietet und ein Tanzstudio eingerichtet. „Loft 13 Kunst- und Tanzzentrum“ steht in goldener Schrift auf dem schwarzen Schild neben dem Hauseingang. Beide tanzen seit ihrer Kindheit und professionalisierten ihre Leidenschaft in Paraguay. Internationale Wettbewerbe führten sie nach Europa, wo sie sich in Deutschland trafen. Ana studierte in Mannheim, während Julio in Schwerin tanzte. Ein Freund vermittelte den Kontakt, als Ana auf Grund der Sprachbarriere Hilfe bei Bankangelegenheiten benötigte. Julio eilte aus Schwerin zur Hilfe. Der Rest ist Geschichte.

Als Liebespaar zogen die beiden 2014 nach Leipzig, wo Ana an der Oper Leipzig und Julio in Dessau engagiert wurde. „In unserem Beruf ist es oft schwierig, lange an einem Ort zu bleiben“, sagt Ana. „Aber in Leipzig haben wir ein Zuhause gefunden.“ Sie machten ihren Führerschein und heirateten 2020 standesamtlich. Die Planung ihrer kirchlichen Trauung in Paraguay brachte sie zurück zur Religion, die in ihrer Heimat eine große Rolle spielt. Durch ihre Arbeit hatten sie jedoch die Verbindung zur Kirche verloren.

Auftritte statt Gottesdienste

Statt Gemeindefesten und Sonntagsgottesdiensten stehen für Künstler am Wochenende Auftritte auf dem Plan. In Paraguay erlebten sie die katholische Kirche als streng, was zu einer Entfremdung führte, erinnert sich Julio. Als er sich als junger Mann in Paraguay zur Firmung anmeldete, lehnte die Kirche das ab. Er konnte nicht verstehen, warum. Auch wenn ihn seine Arbeit zeitlich vereinnahmte, sein Glaube hätte immer existiert. „Ich hätte mir hier mehr Flexibilität gewünscht und war frustriert“, sagt Julio. „Da habe ich mich von der Institution entfernt.“

Einen ungefirmten Bräutigam kann es in Paraguay jedoch nicht geben. Ana recherchierte und fand in Leipzig die spanische Gemeinde, die Teil der St. Georg-Gemeinde ist. Oliver Cabrera, selbst aus Nicaragua stammend, informierte sie über die Möglichkeiten. Als Julio an dem Tag nach Hause kam, hätte Ana ihn direkt mit allen Infos bombardiert, erinnert er sich. „Wir wollten unseren Glauben nicht so streng leben, wie die Kirche in Paraguay. In der Gemeinde hier in Leipzig habe ich gemerkt, dass sie das anders lebt“, sagt Ana. Julio meldete sich für den Firmunterricht mit den Jugendlichen an und staunte nicht schlecht: „Ich habe dort keinen Druck gespürt. Pater Josef war sehr angenehm.“ Nicht nur das: Bei der Firmfahrt nach Schmochtitz stellte der Pater den Firmlingen eine Aufgabe: „Wie würdet ihr einen Gottesdienst gestalten?“ Julios Antwort war glasklar: „Ich würde gern tanzen.“

Ana Villalba und Julio MirandaDer Tanz, begleitet von Worten eines anderen Firmlings war „Balsam für meine Seele“, sagt Julio. Diese Idee beeindruckte Cabrera und Pater Josef, die beschlossen, Tanz in den Gemeindegottesdienst zu integrieren. Inzwischen hatten sie den beiden Tänzern bereits einen Raum im Pfarrhaus vermietet. Dieser sollte zunächst eher ein Proberaum sein, wurde jedoch schnell zu einem Unterrichtsraum, den inzwischen mehr als 40 Schüler unterschiedlichen Alters nutzen. Julio arbeitet mittlerweile hauptsächlich als Choreograf und Tanzpädagoge, ein Segen, da die Berufsdauer eines Solotänzers kurz ist.

Gottesdienst soll alle Sinne ansprechen

Am zweiten Advent 2023 war es dann so weit: Ana und Julio tanzten in Weiß einen Friedenstanz im Altarraum, begleitet von klassischem Gesang und Klaviermusik. Cabrera erhielt ausschließlich positives Feedback. Er betont, dass ein Gottesdienst alle Sinne ansprechen sollte, um eine tiefere Glaubenserfahrung zu ermöglichen. „Wenn es vorher den richtigen Impuls gibt und alles zu einer Einheit wird, gelingt das“, sagt er. Er sei dankbar, dass die Gohliser Gemeinde so offen und progressiv sei.

Ana und Julio führten auch einen Balletttanz mit ihren kleinen Schülern als Teil des Krippenspiels auf. „Mit den Tanzschülern erreichen wir auch nicht-christliche Familien, die dann Kirche erleben können“, so der Gemeindereferent.

In der Gohliser Gemeinde fühlen sich Ana und Julio frei und dadurch enger verbunden. „Wir können hier wir selbst sein“, sagt Ana. So sehr beide das Ballett auch lieben, so sei es oft auch eine Welt der Egos und Konkurrenzen. Durch die Arbeit und das Leben in der Gemeinde, fanden sie eine neue Balance, Freunde und mehr Tiefgang. Das Tanzen öffnete ihnen Türen zur Gemeinde und half über Sprachbarrieren hinweg. Sie besuchten bereits den Seniorennachmittag und tanzten für Obdachlose im Pfarrsaal. Aktuell planen sie ein großes Projekt zum Thema „Licht“ für alle Leipziger Firmlinge in der Propsteigemeinde.

Die enge Verbindung der Tanzschule zur Kirchgemeinde möchte das Paar gern beibehalten. Derzeit wird an der Gohliser Kirche ein neues Pfarrhaus gebaut. Ana und Julio hoffen, sich auch dort mit ihrer Tanzschule einzumieten. Auch die Gemeinde ist daran interessiert und prüft momentan, ob das räumlich umzusetzen ist.

Beim Tanzen in der Kirche wurde Ana bewusst, dass Tanz und Spiritualität keine neue Erfindung ist. „Zu tanzen war immer die erste Verbindung mit Gott in rituellen, religiösen Situationen“, sagt sie. „Das haben wir irgendwann getrennt und diese Basis vergessen. Wir können das hier ein bisschen zurückbringen.“ Julio nickt, zückt sein Smartphone und sucht online eine Bibelstelle aus den Korintherbriefen heraus. „Der Körper sei Tempel des Heiligen Geistes“, sagt Julio und liest vor, „verherrlicht also Gott in eurem Leib“.

Luise Binder