Theologenpartnerschaften über die innerdeutsche Grenze hinweg
Konspirative Verkupplung mit West-Theo

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Johannes Meier hat Erinnerungen an seine Treffen mit Reinhold Pfafferodt (im Bild auf einemMotorroller Berlin) im Fotoalbum festgehalten.
Wenn der Kölner Generalvikar Guido Assmann und der Leipziger Pfarrer Christoph Baumgarten aus der DDR-Zeit erzählen, dann blitzt ein wenig jugendliche Abenteuerlust aus den Augen der inzwischen Über-60-Jährigen. Assmann, damals Theologiestudent in Bonn, erinnert sich, wie er versuchte, der Willkür der Kontrolleure zu trotzen und dem Erfurter Studienkollegen Fachbücher zu schicken. Einen Lexikonband hatte ihm die Postkontrolle der DDR bereits mehrfach wieder zurückgesandt. Erfolg hatte er schließlich, als er das druckfrische Buch mit einigen Bleistiftanmerkungen, Lesezeichen und Eselsohren versah und es Baumgarten bei einem Treffen in Ostberlin persönlich übergab. Den Grenzkontrolleuren machte er weis, er lerne damit gerade für eine bevorstehende Prüfung. Auf dem Rückweg fiel ihm ein Stein vom Herzen, als ihn niemand nach dem Verbleib dieses Buches fragte. Christoph Baumgarten berichtet von einem Besuch beider Studenten im Berliner Theatercafé. Dass der redselige Mann, der in dem halb leeren Café ausgerechnet an ihrem Tisch platziert wurde, zur Stasi gehörte, schien ihm sonnenklar – dem weniger DDR-erfahrenen Guido Assmann zunächst offenbar aber nicht. Es dauerte eine Weile, bis der Freund die bemüht unauffälligen Blicke bemerkte, mit denen Baumgarten ihn zu warnen versuchte – eine angespannte Situation, über die heute beide herzlich lachen.
Kennengelernt hatten sie sich 1984. Vier Erfurter Studienanfänger trafen damals in der Wohnung des Ostberliner Pfarrers Johannes Ziesinski auf vier Bonner Seminaristen, die von Westberlin aus mit einem Tagesvisum in den Ostteil der Stadt gereist waren. „Wir saßen zufällig nebeneinander – damit war unsere Partnerschaft besiegelt“, sagt Guido Assmann. Scherzhaft habe man damals von „Theologen-Hochzeit“ gesprochen, die Bonner redeten untereinander von ihrem „Ost-Paul“, sie selbst waren die „West-Theos“ (für West-Theologen).
Ein Ziel dieser vom Erfurter Priesterseminar mit dem Erzbistum Köln und anderen westdeutschen Bistümern eingefädelten Theologenpartnerschaft war es, eine Struktur für die materielle Unterstützung der Ost-Studenten zu schaffen – sofern unter DDR-Verhältnissen überhaupt möglich. „Heute können sich viele kaum mehr vorstellen, dass wir uns damals als Kirche in einem Graubereich bewegten und manches auf andere Weise organisieren mussten als in einem Rechtsstaat üblich“, sagt Prälat Hellmut Puschmann. Das Bildungsheim des Bischöflichen Stuhls in der Berliner Pappelallee, das er einige Jahre lang leitete, war nach dem Mauerbau Schauplatz vieler Begegnungen zwischen Katholiken aus Ost und West, auch international.

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Seit 1973 stellte das Bonifatiuswerk jährlich 200 D-Mark für jeden Theologiestudenten in der DDR zur Verfügung, vor allem für theologische Literatur. Aufgabe der West-Partner war es, Bücher und anderes, was die jungen Männer dringend brauchten, zu den Adressaten zu bringen. Wenn angehende Priester Westverwandtschaft hatten, gaben sie häufig statt eines Partner-Theologen einen Angehörigen als Kontaktperson für das Bonifatiuswerk an. Wichtiger als die Sachspenden war es vielen Studenten in Ost und West aber, sich persönlich mit Christen im anderen Teil Deutschlands auszutauschen. Bei Guido Assmann und Christoph Baumgarten ist daraus eine Freundschaft gewachsen, die sie bis heute pflegen. Ihre Begegnungen fanden entweder in Berlin oder in Leipzig statt. Während andere „Theos“ und „Pauls“ häufig die Leipziger Messe für Begegnungen nutzten, wählten die beiden die familiäre Schiene. Dafür musste Familie Baumgarten in Leipzig dem Gast jedesmal eine Einladung schicken. Die Genehmigung sei oft erst am Tag vor der geplanten Abreise gekommen, erinnert sich der Kölner Generalvikar.
Neben den vom Erfurter Priesterseminar vermittelten Partnerschaften gab es andere Wege, Theologiestudenten über die innerdeutsche Grenze hinweg in Kontakt zu bringen. Elmar Busse, gebürtiger Heiligenstädter, kam in den 1970er Jahren über die Schönstatt-Bewegung mit West-Kommilitonen in Kontakt. Auch er hat manche Anekdoten zur Übergabe von Bücherspenden in petto. Einmal im Jahr wechselte auf der Transitstrecke zwischen Hermsdorfer Kreuz und Jena ein Paket den Besitzer. „Zwei, drei Tage vorher verabredeten wir uns am Telefon mit dem Geheimcode ‚Tante Erna ist gestorben‘“, berichtet der Priester. An der Raststätte Hermsdorfer Kreuz seien dann ein Ost- und ein Westauto zu nächtlicher Stunde zusammengetroffen, jeweils mit zwei Studenten besetzt. Man wechselte kein Wort miteinander. „Die Fenster beider Fahrzeuge waren geöffnet. Ich kniete hinten auf dem Bodenblech und nahm während des Überholvorgangs bei 80 Stundenkilometern das Paket entgegen.“
„In der Kirche wurde Einheit gelebt“
Der nahe Paderborn aufgewachsene Kirchenhistoriker Professor Johannes Meier hat den Eindruck, dass manche Schilderungen die Gefahrenlage, der die Partnertheologen ausgesetzt waren, ein wenig übertreiben. Dabei erinnert auch er sich aus seiner 1971 angebahnten Partnerschaft mit dem kürzlich in den Ruhestand verabschiedeten Magdeburger Dompropst Reinhold Pfafferodt an eine gewisse Anspannung bei Grenzkontrollen und auch er war mitunter kreativ, um Bücher an den Mann zu bringen. Einmal schickte er ein Paket, das bereits aus der DDR zu ihm zurückgekehrt war, zu Freunden nach Polen. Pfafferodt holte die Bücher dort ab und legte sich auf der Rückfahrt im Schlafwagenabteil für alle Fälle darauf, um sie vor Kontrolleuren zu verbergen. Johannes Meier zufolge liefen Grenzübertritte sehr unterschiedlich ab. Er erlebte auch freundliche Grenzbeamte, so wie die Volkspolizistin, die ihn alle Schallplatten und Texte ausbreiten ließ, die er im Gepäck hatte – zu seiner Überraschung durfte er alles wieder einpacken und mitnehmen.

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Bei Elmar Busse lösten seine Schmuggel-Abenteuer ein kleines Triumphgefühl aus, sagt er: „Offensichtlich war die Stasi doch nicht so allwissend, wie es oft den Anschein hatte.“ Vor allem stärkten sie ihn in seinem Glauben. Zu erleben, dass die Kirche Grenzen überwindet, sei für ihn sehr wichtig gewesen, betont der Priester. „Als ich studierte, hatten die meisten Politiker das Ziel einer deutschen Einheit längst aufgegeben oder führten sie allenfalls in Sonntagsreden im Mund. In der Kirche wurde Einheit gelebt“, sagt er.
Johannes Meier und Reinhold Pfafferodt verdanken ihre Bekanntschaft dem heißen Draht, der grenzübergreifende Diözesen verband, besonders stark zwischen dem Paderborner Mutterbistum und der Apostolischen Administratur Magdeburg. Da Familienbande die Genehmigungen für grenzübergreifenden Kontakt erleichterten, verständigten sich die beiden nach ihrer „Theologen-Hochzeit“ 1971 auf eine Verwandtschaft über ihre Großmütter. „Zum Glück hat das nie jemand überprüft“, sagt Johannes Meier mit einem Schmunzeln. Beide Theologen empfinden ihre bis heute lebendige Freundschaft nicht nur menschlich, sondern auch beruflich als Bereicherung. Johannes Meier lernte dadurch eine für die alte Kirchengeschichte äußerst bedeutsame Region kennen, besuchte Orte wie die Wartburg und das ehemalige Kloster Hamersleben und fand hier Anknüpfungspunkte für spätere Forschungen, etwa für seine Habilitation über die Straße der Romanik in Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Reinold Pfafferodt hat über Johannes Meier einen westdeutschen Freundeskreis gefunden, über den unter anderem das „Waldhaus Dubro“ entstand, ein christliches Selbstversorger-Gruppenhaus in der Niederlausitz. „Mit seinen Lateinamerika-Kontakten weitete Johannes Meier meinen Horizont auf die Weltkirche hin“, sagt der Magdeburger Ruhestandspriester. Nach 1989 nutzte er die neue Reisefreiheit für eigene Erkundungen im Süden Amerikas. Unter dem Titel „Zwischen Resignation und Hoffnung“ veröffentlichte er 1992 mit Johannes Meier und Willi Kraning im Leipziger St. Benno Verlag ein Buch über dortige Christen. Etwas von der Anteilnahme und Unterstützung, die er in der DDR erfahren hatte, möchte Reinhold Pfafferodt ihnen weitergeben. Unter anderem hat er einem jungen Brasilianer den Weg für ein Studium in Magdeburg geebnet.

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Auch die Theologenpartnerschaft von Christoph Baumgarten und Guido Assmann wirkt sich weiter aus. Zu gegenseitigen Besuchen nehmen sie seit 1989 oft Jugendgruppen mit. „Christen kennenzulernen, die in ganz anderen Gemeindesituationen leben als sie selbst, ist wertvoll für junge Leute“, sagt Christoph Baumgarten. „Wir haben als Seelsorger viel aus den Begegnungen geschöpft“, ergänzt Guido Assmann.