Kontroverse über die Berliner Sankt Hedwigs-Kathedrale

Respektvoll über den Umbau streiten

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Winfried Kliche und Jan Krieger an der Baustellenabsperrung der Sankt Hedwigs-Kathedrale
Nachweis

Fotos: Dorothee Wanzek

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Wie könnte die Kathedrale am Christkönig-Sonntag aussehen? Winfried Kliche (links) und Jan Krieger schauen sich auf Darstellungen an der Baustellenabsperrung an, was sich in Realität zurzeit erst erahnen lässt.

Der gebürtige Lausitzer Winfried Kliche (70) steht der Umgestaltung der Sankt Hedwigs-Kathedrale skeptisch gegenüber. Der im Rheinland aufgewachsene Architekt Jan Krieger (71) freut sich über die Umgestaltung und war als Berater daran beteiligt. Die beiden Männer waren sich nie zuvor begegnet. Zwei Monate vor der Einweihungsfeier haben sie auf Tag des Herrn-Einladung gemeinsam die Kathedral-Baustelle besichtigt und sich dabei über ihre Eindrücke ausgetauscht.

 

Vor der Kirche

Kliche: Beim Betreten der Hedwigs-Kathedrale fiel mein Blick immer zuerst auf den Altar. Aus der Tiefe kommend ragte er empor – ein gutes Bild dafür, dass wir Lebenden in der Kirche mit den Toten verbunden bleiben. Einige Repräsentanten unseres Erzbistums sind ja in der Unterkirche begraben.

Krieger: Mir kam die Kathedrale immer sehr besonders vor, ich fand sie merkwürdig. Die Baugeschichte interessiert mich sehr. Die Hedwigskirche gilt ja als der erste klassizistische Bau in Berlin – ein Rundbau mit Kuppel, Portikus und einer Annexrotunde, wie sie sonst nirgends vorkommt. Auch städtebaulich ist sie interessant, als einziges schräg gestelltes Gebäude in der Friedrichstadt. Mich beeindruckt der raffinierte Effekt: Weil die Kathedrale in einem anderen Winkel steht als alle anderen Gebäude, ist sie von Weitem zu sehen.

Kliche: Die Geschichte bewegt mich auch. Dass die Kathedrale in der DDR der sichtbare Sitz des Bischofs von ganz Berlin war. Bemerkenswert! Viele in meiner Gemeinde in Karlshorst hatten sich gewünscht, dass mehr von dem Bisherigen erhalten bliebe. Sie sehen kritisch, dass man sich in Zeiten knappen Geldes, in der viele Kirchengebäude geschlossen werden müssen, solch einen monströsen Umbau leistet. Ich teile das, sehe aber durchaus auch die Nachteile der bisherigen Gestaltung. Vor allem: Durch die Öffnung in der Mitte ging viel Platz verloren.

Alte Innenansicht Sankt Hedwigs-Kathedrale Berlin
Diese Ansicht verbindet Winfried Kliche mit der „alten“ Hedwigs-Kathedrale. Foto: Erzbistum Berlin

Krieger: Man sollte bedenken, dass bei der Umbau-Entscheidung der hohe Sanierungsbedarf eine große Rolle spielte. Wir rechnen damit, dass wir nachher nur noch ein Viertel der laufenden Kosten haben, besonders bei den Heizkosten. Aber natürlich ist die komplette Umgestaltung teurer als eine reine Sanierung.

Kliche: Stimmt es eigentlich, dass man den Denkmalschutz bei der Umgestaltung komplett ignoriert hat? Wenn es so wäre, fände ich das sehr traurig.

Krieger: Der Denkmalschutz hatte sich sehr eingebracht. Nichts sollte sich ändern. Das Recht mitzuentscheiden, hat er aber nur für das Äußere der Kirche. Die Frage ist ja immer: Nach welcher Fassung richtet man sich? Für St. Hedwig lag nach 110 Jahren ja schon die vierte vor.

Kliche: Was der Denkmalschutz wollte, war doch aber ziemlich klar. Er hat sich an Schwippert orientiert, weil das etwas weltweit Einmaliges war.

Krieger: Nach der Renovierung von 1978/79 war aber längst nicht mehr alles von Schwippert. Hinzu kamen die Nachteile der Raumorganisation: die Zelebranten mussten vor der großen Öffnung predigen, auch die Zelebration in der Unterkirche war schwierig.


Im Eingangsbereich, zwischen Gerüsten und Staubschutztüren

Krieger: Bisher war hier eine banale Vorhalle...

Kliche: Das war doch gut so. Angesichts des knappen Geldes finde ich den Ausdruck einer gewissen Schlichtheit durchaus sinnvoll.

Krieger: Schlicht finde ich auch okay, aber banal nicht. Mir fehlte die Sakralität. Die Außenportale, die hier eingebaut werden, sind transparent. Die bronzenen Innentüren sind geschlossen. Vorher war es umgekehrt. Jetzt sollen Besucher sich hereingebeten fühlen. Der heilige Raum innen behält dagegen seinen geheimnisvollen Charakter. Früher gab es hier drei Eingänge ins Kircheninnere, jetzt sind es nur noch zwei. Der mittlere führt in die Unterkirche.

Kliche: Sie wollen auf etwas Erhebendes hinweisen, doch der Hauptblick geht in den Keller?

Krieger: Die Eingänge sind durchaus gleichberechtigt. In einer Rundkirche kann man von überall her kommen. Informationen finden die Besucher übrigens auch in Projektionen an der Wand. Links blieb die Wendeltreppe erhalten, rechts wurde ein Aufzug eingebaut.

Im Innenraum wird gerade die Orgel zusammengesetzt. Der Altar ist eingehaust.

Kliche: Schade. Ich hätte gerne gesehen, wie der Altar und die Stühle angeordnet sind.

Krieger: Es gibt nur sieben Stuhlreihen. Man versammelt sich um den Altar, ist dem Wichtigsten und den Mitfeiernden also viel näher als früher. Das stelle ich mir schön vor. Bisher war es ja schwierig mit der Zelebration zum Volk. Die Zelebranten stießen auf eine 15 Meter breite Zone, in der gar kein Volk war.

Kliche: Das kann man durchaus so sehen. Aber jetzt wird das Volk teilweise im Rücken des Zelebranten sitzen. Zudem ist der Abstand zwischen Altar und Volk immer noch sehr groß.

Jan Krieger (links) und Winfried Kliche

Krieger: Wenn alle sich um den Altar versammeln, hat der Zelebrant maximal drei Viertel im Blick. Hinter dem Bischof sitzt aber in der Regel das Domkapitel. Konzelebration wird hier sehr eindrücklich sein.

Kliche: Und das Volk sieht noch weniger. Ich bin kein Freund großer Konzelebrationen. Dem Gedanken der Volkskirche entsprechen die nicht so sehr. Wäre es nicht gut gewesen, den Altar etwas zu erhöhen? Der Sichtbarkeit wegen?

Krieger: Man wollte die Originalität des Rundraums nicht stören. Es gab darüber aber lange Diskussionen. Entscheidend war der Wunsch, den Communio-Gedanken sehr hervorzuheben.

Kliche: Mir gefällt, dass es hier so schön hell ist. Aber: musste man die Kuppel unbedingt komplett erneuern? Hätte die alte ihren Dienst nicht noch getan?

Krieger: Bei Schwippert waren Dach und Decke ja gleich. Die Innenkuppel, die jetzt eingebaut wurde, mit einer zweischaligen Zimmermannskonstruktion, entspricht den ursprünglichen Fassungen bis zur Kriegszerstörung. Wenn man sich die Innenkuppel als Teil einer Kugel denkt, wäre deren Fußpunkt direkt unter dem Altar. Der Pantheongedanke wird jetzt viel deutlicher. Gerade an der Kuppel zeigten sich während der Bauarbeiten erhebliche Schäden. Deshalb musste sie neu gedeckt werden. Die Dämmung war abgesackt, etliche Sparren und Lagerhölzer waren verfault. Außerdem mussten Heizung, Lüftung und Elektrik erneuert werden. Die Lüftungsschächte waren mit Glaswolle ausgekleidet – ein Unding nach heutigem Kenntnisstand.

Kliche: Wir müssen abwarten, bis alles fertig ist, aber ich fürchte, dass es zu kahl und nüchtern wird. Führen Sie Fremde mal in den Berliner Dom und in die Hedwigs-Kathedrale und fragen Sie, welche von beiden katholisch ist. Ich möchte es auf keinen Fall pompös, aber ein bisschen mehr Schmuck sollte dem Haus Gottes gut tun. In die Zeit der Bilderstürmerei will ich nicht zurück.

Krieger: Der Tabernakel wird sichtbar sein, es wird Kniebänke geben. Der Raum wird durchaus nicht schmucklos sein: ein Altarkreuz, ein Marienaltar mit einem Kerzenkranz ... Vereinzelt soll hier auch Altes wieder einen Platz finden, zum Beispiel der als Petrus getarnte Urban. Ich kann Sie verstehen und achte Ihr persönliches Empfinden. Ich gebe aber zu bedenken: die Kirche muss sich erneuern. Der Missbrauch, die vielen Austritte. Vielleicht gehen wir mit diesem Kirchenbau einen Schritt nach vorn. Der Dom steht für die Kaiserzeit, für überbordenden Historismus. Das kann nicht die Zukunft sein! Und ich hoffe doch, dass die Kathedrale keine Krankenhausatmosphäre haben wird, sondern dass sie hell, einladend und frisch wirkt.

In der Kuppel der Sankt Hedwigs-Kathedrale Berlin

Kliche: Sicher entspricht diese Kirche mehr den Gedanken des Konzils. Und dennoch: ich vermisse manches. Zum Beispiel eine Sakramentskapelle. Der Tabernakel im großen Kirchenraum – das ist, als sei die Anwesenheit Gottes gesplittet.

Krieger: Lange war in der Annexrotunde eine Sakramentskapelle geplant, wie es auch vor dem Krieg war. Es schien aber unpassend, dass sich Zelebranten und Ministranten direkt neben dem Allerheiligsten versammeln, deshalb wird der Tabernakel doch im Hauptraum sein. Der Zentralraum der Rotunde bleibt leer. Seine künftige Funktion ist noch nicht genau definiert. Die Idee ist derzeit, ihn offen zu halten für das Gebet zu besonderen Gelegenheiten, zu freudigen oder traurigen Ereignissen.

Kliche: Hier einen Versammlungsraum zu errichten gefällt mir gar nicht. Das alles kann doch ebenso gut in der großen Kirche stattfinden. Warum hat man hier kein Baptisterium eingerichtet?

Krieger: Die Rotunde gehört ja durchaus noch zur Kirche. Ein Baptisterium wird es in der Unterkirche geben.


In der Unterkirche, Bauarbeiten laufen auch hier noch auf Hochtouren.

Krieger: Hier wird es einen Kranz von Kapellen geben, darunter zwei Beichtkapellen, die Gräber der Bischöfe, Gedenk-Kapellen für Bernhard Lichtenberg, Hedwig und Otto. In der Mitte dann der Gottesdienstraum mit dem Baptisterium, in dem auch Ganzkörpertaufen stattfinden können. Das Taufbecken steht in einer vertikalen Achse mit dem Altar. Direkt darüber ist die runde Kuppelöffnung. So wird deutlich: Ursprung unseres Lebens ist die Taufe. Gestärkt werden wir durch die Sakramente. Vollendung finden wir in der Ewigkeit.

Kliche: Gut. Obwohl ich es gewöhnungsbedürftig finde, so nahe bei den Toten zu taufen. Für viele, die diese Kirche bisher als ihre Heimat empfanden, die Kindheits- und Jugenderinnerungen mit ihr verbinden, werden all diese Veränderung erst einmal schmerzlich sein. Es wird Zeit brauchen und Behutsamkeit, bis sie sich mit der neuen Kathedrale anfreunden. Da sind viele Verletzungen entstanden. Ich würde denen aber sagen: Behaltet eure guten Erinnerungen und lasst euch ein auf das Neue!

Krieger: Ich habe Verständnis für jeden, der sich damit schwer tut. Viele hat es ja sehr geprägt, sich hier als starke christliche Gemeinschaft zu erleben, die einem kirchenfeindlichen Staat standhält. Und doch sehe ich die Kathedrale als Chance für die Kirche, neue Wege zu gehen. Vielleicht gibt es einige Skeptiker, die irgendwann sagen: Es ist doch nicht so schlecht. Kein Verständnis habe ich für den Stil mancher Auseinandersetzung. Ich bin auch persönlich beschimpft worden, jemand hat mich zum Beispiel als „Mann ohne Gewissen“ bezeichnet, weil ich den Umbau unterstütze. Manche haben angedroht: Wenn die Baupläne umgesetzt werden, trete ich aus der Kirche aus.

Kliche: Mit Christentum hat solches Verhalten gar nichts zu tun. Manche, die den Umbau derart kritisieren, würde ich gerne fragen, ob sie nach dem Konzil nicht selbst an der Bilderstürmerei und Altarzertrümmerung bei der Neugestaltung der Kirchen beteiligt waren. Ich selbst kann mir eine abschließende Meinung über die umgestaltete Kathedrale sicher erst bilden, wenn alles fertig ist.

Krieger: Wir sollten uns in einem halben Jahr noch einmal treffen.


Zustimmung, Austausch von Adressen

Kunstwerk mit vielen Christus-Korpussen
Schon zu sehen ist die Wandgestaltung in der Monstranz-Kapelle der Unterkirche.


// Protokolliert von Dorothee Wanzek