Orgelbaufirma Alexander Schuke
Orgeln für West und Ost

Fotos: Michael Burkner
In der Montagehalle wird jede Orgel einmal auf- und wieder abgebaut.
Zigarettenrauch und der scharfe Abgang von Wodka im Rachen begleiteten den deutsch-russischen Handschlag: „Den Vertrag habe ich in einer Kneipe unterschrieben. Alles war auf Russisch, ich musste mich vollkommen auf die Übersetzerin verlassen. Eine Woche später hatten wir das ganze Geld auf dem Konto. Solch ein großes Vertrauen hatte ich so noch nie erlebt“, erzählt Matthias Schuke. Der Orgelbaumeister lacht bei der Erinnerung verschmitzt in seinen weißen Vollbart hinein und berichtet weiter: „Die Arbeit am Königsberger Dom hat großen Spaß gemacht, wir hatten ein sehr gutes Verhältnis zu Dombaumeister Igor Odinzow. Das war ein einmaliger Mann – unglaublich streitsüchtig, aber nur, weil er immer das Beste für seinen Dom wollte.“

Odinzows Dom steht in Kaliningrad und wurde in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs zur Ruine. Der Dombaumeister baute das gotische Gebäude ab 1992 als Gottesdienst- und Veranstaltungsraum wieder auf. Was ihm Anfang des Jahrtausends noch fehlte: eine Orgel oder besser: zwei Orgeln. 2006 baute Matthias Schuke eine Chororgel, zwei Jahre später folgte die Vertragsunterschrift in der Kneipe und der Bau einer Hauptorgel, wohl nur dank der finanziellen Zuwendung eines einflussreichen Unterstützers: Wladimir Wladimirowitsch Putin. 90 Register, also Stimmfarben, und mehr als 6000 Pfeifen fanden auf der Empore in einem Gehäuse usbekischer Produktion Platz, das sich an der barocken Vorgängerorgel des 18. Jahrhunderts orientierte. Diese stammte vom Orgelbauer Mosengel aus Eisenach. Deutsche Orgelbaukunst hatte also schon Tradition am Frischen Haff, als Matthias Schuke und sein Team zu Werke gingen.
Sowjetfreundschaften und Westgeld in der Vergangenheit
Die Orgelbaufirma, die heute den Namen „Alexander Schuke“ trägt, wurde 1820 von Gottlieb Heise in Potsdam gegründet. Seit 1894 befindet sie sich mit einer kurzen Unterbrechung im Besitz der Familie Schuke. Damals übernahm Namensgeber Alexander Schuke die Werkstatt. Später führten seine Söhne Hans-Joachim und Karl die Arbeit fort und entschlossen sich 1950 zur Trennung: Karl gründete eine Firma in West-Berlin, Hans-Joachim blieb vor Ort in Potsdam. Bald lag eine Mauer zwischen den beiden Brüdern – und ein tiefer Graben verschiedener politischer Systeme. Während Karl Schuke von der Marktwirtschaft profitierte, musste Hans-Joachim Schuke seine Firma in der sozialistischen Planwirtschaft etablieren. „Die DDR-Führung wollte ein Kombinat aus den vier ostdeutschen Orgelbaufirmen machen. Da haben die Orgelbauer gesagt: Das könnt ihr knicken, das funktioniert nicht“, erinnert sich sein Sohn Matthias heute. Die väterliche Firma habe über die gesamte DDR-Zeit hinweg Orgeln gebaut, dank zwei besonderer Umstände: „Wir konnten Orgeln in den Westen exportieren. Das war für die Regierung hochinteressant, die war richtig scharf auf die Devisen“, erklärt Matthias Schuke. Außerdem profitierte die Firma von der Unterscheidung zwischen Industrie- und Bevölkerungspreis. Die Kirchen galten als vom Staat getrennt, folglich stand ihnen und dem Orgelbau der niedrigere Privatpreis zu. In der DDR-Zeit entstanden herausragende Instrumente, darunter die Chororgel des Erfurter Doms, die Hauptorgel der evangelischen Marktkirche in Halle und die Konzertorgel im Gewandhaus zu Leipzig.

Gleich zwei Orgeln der Firma Alexander Schuke erklingen im Erfurter Dom: Die Hauptorgel mit 63 Registern und die Chororgel mit 29 Registern. An einem Generalspieltisch können beide Orgeln sowie ein kleines Orgelpositiv der Firma Kutter gemeinsam gespielt werden. So werden die Orgeln verbunden und ergänzen sich: Die Hauptorgel hinten auf der Empore ist symphonisch und hat ein großes, voluminöses Klangvolumen. Die Chororgel vorne ist demgegenüber schlanker im Klang. Dabei sind beide Orgeln in ihrem jeweiligen Raum – die Hauptorgel im Langhaus, die Chororgel im Chor – vorherrschend und füllen diesen gut aus. Gerade im Langhaus ist die Akustik mit einer mittleren Nachhallzeit von fünf bis sechs Sekunden orgelfreundlich. Durch die niedrige Orgelempore und die Nähe des Instruments zu den Bänken ist das Musikerlebnis sehr unmittelbar. Die Schuke-Orgeln ermöglichen eine Vielfalt an Klängen und können Musik aus allen Epochen darstellen. Ihr Klang ist charakterstark und berührt emotional.
(Silvius von Kessel, Erfurter Domorganist)
Doch die großen Aufträge können nicht darüber hinwegtäuschen, dass insbesondere die Jahre unter Erich Honecker alles andere als rosig waren. 1972 wurde die Firma zum „Volkseigenen Betrieb“ (VEB) verstaatlicht und Hans-Joachim Schuke zum Angestellten im eigenen Haus. „Das hat meinen Vater gebrochen“, sagt Sohn Matthias heute. 1979 starb Hans-Joachim Schuke. Sein Mitarbeiter Max Thiel übernahm für einige Jahre, ehe er die Firma zurück in Familienhände gab, an Matthias Schuke. Dieser machte mit der Wende von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch und reprivatisierte den Betrieb. Neben dem Personal konnten auch die Aufträge des VEB übernommen werden, darunter der Bau der Hauptorgel im Erfurter Dom und die Rekonstruktion der 370 Jahre alten Orgel von St. Stephan in Tangermünde. Auch die guten Kontakte in die Sowjetunion, wo seit dem zweiten Weltkrieg 14 Instrumente entstanden waren, überdauerten die politischen Umbrüche. Schon 1991 baute Matthias Schuke eine Orgel für einen Konzertsaal am Eismeer von Archangelsk, die Projekte in Kaliningrad folgten. „Über Jahrzehnte hinweg waren wir in Osteuropa mit Menschen aus Kultur, Kirche und Handwerk in engem Austausch. Es entstanden persönliche Verbindungen, die stets von gegenseitigem Respekt, Vertrauen und einem gemeinsamen Interesse an der Musik geprägt waren“, blickt die Familie heute zurück.
Eine Doppelspitze in der Gegenwart
Doch die Zeiten änderten sich, in der Weltpolitik ebenso wie in der Orgelbaufirma. 2004 verließen Matthias Schuke und sein Team Potsdam und bezogen größere Werkstatträume in Werder an der Havel. 2008 bauten sie auf der seit dem zweiten Weltkrieg verwaisten Empore des Magdeburger Doms eine neue Hauptorgel, ein weiterer Höhepunkt im Werkverzeichnis der Firma. 2014 führten die engen Beziehungen nach Osten zur zwischenzeitlichen Insolvenz der Firma. Westliche Sanktionen als Reaktion auf die Annexion der Krim ließen Auftraggeber in Russland und der Ukraine selbst zahlungsunfähig werden und zwei fertige Instrumente blieben in Werder liegen. Ein chinesischer Kunstliebhaber sprang ein, kaufte eine der Orgeln und das Insolvenzverfahren konnte eingestellt werden. Zwei Jahr später wurde das andere Instrument dann doch in die Philharmonie von Charkiw in die Ukraine geliefert, es war die vorerst letzte Schuke-Orgel in einem postsowjetischen Staat.
2018 trat erneut ein Zweigespann an die Spitze der Firma: Matthias Schuke verabschiedete sich in den Ruhestand, seine Söhne Michael und Johannes übernahmen. „Wir nehmen uns selbst nicht zu ernst. Und wir haben eine klare Aufgabenverteilung“, erklärt Johannes Schuke, wie die brüderliche Zusammenarbeit funktioniert. Er selbst ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und für die bürokratische und wirtschaftliche Seite des Unternehmens verantwortlich. Sein Bruder Michael übernimmt als Orgelbaumeister die fachlichen Aufgaben.
Arbeit gibt es für die beiden Geschäftsführer und ihre rund 25 Mitarbeiter genug, denn ein Orgelneubau erfordert viele Schritte: Am Beginn stehen Vor-Ort-Besuche, auf die ein erster Computerentwurf folgt. Wenn dieser angenommen und der Vertrag unterzeichnet ist, beginnt das Sägen und Schleifen in der Firma. In der Holzwerkstatt werden neben den Holzpfeifen die technischen Vorrichtungen des Instruments und zumeist auch das Gehäuse gebaut und in der Zinnwerkstatt entstehen Metallpfeifen, ehe die Intonateure die Tonhöhe der Pfeifen grob einstellen. Anschließend wird die gesamte Orgel im Montagesaal der Firma komplett auf- und wieder abgebaut, verpackt und an den Ort ihrer Bestimmung geliefert. Dort arbeitet das Montageteam oft wochenlang, bis die Intonateure das fertige Instrument stimmen können. Es ist ein Prozess, der bis zu zwei Jahre dauern kann und im feierlichen Einweihungskonzert gipfelt. Orgelbau ist Teamwork, Teil der Mannschaft sind dabei auch zwei Orgelbau-Azubis. Michael Schuke kann die Motivation seiner jungen Kollegen nachvollziehen: „Orgelbau ist noch echtes Handwerk. Wir arbeiten mit verschiedenen und tollen Materialien, zum Beispiel mit richtigem Massivholz. Außerdem entsteht dabei ein Unikat – jede Orgel ist einmalig.“
Die Arbeit führt das Team in evangelische und katholische Kirchen. „Bei den Menschen erleben wir da keine großen Unterschiede. Die Gemeinden sind oft sehr freundlich und es wachsen langfristige Beziehungen“, sagt Matthias Schuke und erklärt: „Im katholischen Gottesdienst ist der Wechselgesang zwischen Kantor und Gemeinde wichtiger. Darauf müssen wir beim Instrument achten.“ Mit Blick auf ihre Projekte in Konzertsälen sind sich Vater und Söhne einig: „Irgendwie ist es schöner, in Kirchen zu arbeiten.“ Akustik und Atmosphäre der Sakralräume und der besondere Stellenwert der Orgel seien immer etwas Besonderes.
Innovation und Völkerverständigung in der Zukunft
Die Zusammenarbeit mit Kirchengemeinden zaubert den Orgelbauern ein Lächeln ins Gesicht, aber auch Sorgenfalten: „Der Mitgliederschwund der Kirchen und der Rückgang öffentlicher Fördermittel besorgen uns schon. Die Zahl der Orgelneubauten lässt etwas nach“, sagt Johannes Schuke und betont: „Wir sind aber immer wieder erstaunt, wie sich auch kleine Gemeinden und ihre Mitglieder für eine neue Orgel engagieren und dabei fast Unmögliches schaffen.“ Außerdem gehe im Gleichschritt mit der Nachfrage auch das Angebot zurück, Orgelbaufirmen müssten schließen, weil sie kein Personal für leitende Positionen mehr fänden. „Wir Orgelbauer sind Handwerker. Die wachsende Bürokratie macht den Job immer unattraktiver“, stellt Michael Schuke fest, dankbar für seinen Bruder, der den ihm lästigen Papierkram übernimmt. Die beiden möchten sich den Herausforderungen der Zukunft stellen und haben in den vergangenen Jahren vermehrt historische Instrumente restauriert und rekonstruiert, etwa in der Marienkirche in Mühlhausen. Dabei setzen sie auf innovative technische Möglichkeiten, die sie gemeinsam mit der Universität Potsdam erforschen.
Auch die Beziehungen nach Russland stellen die Brüder aktuell auf eine harte Probe: „Der Angriff auf die Ukraine hat uns sehr betroffen gemacht. Wir waren in beiden Ländern tätig, sodass wir die aktuelle Situation sehr aufmerksam und nachdenklich verfolgen.“ Sie sind solidarisch mit den Menschen in der Ukraine und betonen: „Wir würden uns sehr wünschen, eines Tages wieder an die Kontakte in beide Länder anknüpfen zu können. Aber dazu braucht es Frieden, Stabilität und gegenseitigen Respekt.“ Bis dahin wollen sie ihren internationalen Fokus ausweiten, besonders auf Nordeuropa und osteuropäische EU-Länder.
Denn Orgelbau über Grenzen hinweg hat Tradition in der Firma und motiviert Vater und Söhne auch für die Zukunft: „In den letzten Jahren haben wir in Mexiko, Taiwan und Finnland gearbeitet. Es ist ein schönes Gefühl, Orgeln so weit weg zu bauen, weil es zeigt: Die Menschen dort empfinden so, wie wir. Auch sie lassen sich von der Orgelmusik berühren. Wir haben mehr Gemeinsamkeiten als wir manchmal denken.“
