Kirchen laden zum „Tag des offenen Denkmals" ein

48 Mal, eine Minute lang

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Am „Tag des offenen Denkmals“ öffnen in Niedersachsen hunderte historische Bauten ihre Türen. Auch in unserem Bistum laden viele Kirchen zu einem Besuch ein – zum Beispiel die Kapelle im Nordhorner Ortsteil Hesepe.


Fenna Boermann läutet jeden Tag die Glocke noch von Hand.
Fotos: Petra Diek-Münchow

„Wie spät ist es?“, fragt Fenna Boermann und schaut auf ihre Armbanduhr. „Ein bisschen Zeit hab’ ich noch“, sagt sie und setzt sich noch mal hin. Um kurz vor 12 Uhr wird sie die paar Meter von ihrem Haus in Hesepe zu der kleinen Kapelle hinübergehen und läuten. Von Hand, wie das vor ihr schon der Schwiegervater und ihr Mann jahrzehntelang so gemacht haben. Das hat eine lange Tradition bei den Boermanns – schon seit 1760 liegen das Läuten zu Mittag und bei Todesfällen sowie der Küsterdienst in Händen der alteingesessenen Familie. „Wir sind die Kapellendiener“, sagt die 93-Jährige schlicht, „das ist nun mal so.“ Für die ältere Dame ist der Dienst Ehrensache. Genau 48 Mal, eine Minute lang, zieht sie an dem Läuteseil. Und passt auf, dass die Zeit immer stimmt. „Fenna deelt denn Dag“ (Fenna teilt den Tag), sagt man auf Plattdeutsch in dem 300 Einwohner zählenden Dorf  nahe Nordhorn.

Auch beim „Tag des offenen Denkmals“ am 9. September wird sie mittags läuten. An diesem Sonntag ist die kleine Kirche wieder von 8 bis 18 Uhr geöffnet. Fenna Boermann und mit ihr auch Ludwig Hilderink und Heiko Aarnink sind sicher, dass dutzende Gäste kommen werden. „Man wundert sich manchmal, wieviel Leute man hier trifft“, sagt Hilderink. Das Gebäude liegt an einer Radwanderroute, deshalb steht neben der Kapelle eine Tischgruppe für eine kurze Rast.

Die zwei Männer gehören als Vorsitzender und als Schriftführer der Marken- und Kapellengemeinde an, die mit viel Engagement für das Bauwerk sorgt. Wenn die Heseper von „unserer Kapelle“ und von ihrem Dorf erzählen, machen sie das mit einer Mischung aus Stolz und Selbstbewusstsein. Und sie haben recht: Wenn sich die Einwohner nicht selbst ehrenamtlich um das Gotteshaus kümmern würden, gäbe es das vielleicht gar nicht mehr. Um den Denkmalschutz für das aus dem 14. oder 15. Jahrhundert stammende Bauwerk mussten sie in den achtziger Jahren sogar kämpfen. „Erst hieß es, sie sei wertlos“, erzählt Heiko Aarnink mit einem Kopfschütteln.

Eine Bibel liegt jeden Tag aufgeschlagen auf dem Tisch

Dabei ist das Gebäude etwas Besonderes. Die spätmittelalterliche Kapelle ist eine der letzten kleinen, die einst in der Grafschaft Bentheim standen. Andere sind kurz nach der Reformation oder später verschwunden. Und sie gehört keiner Kirchen-, sondern der Kapellengemeinde. Regelmäßig werden noch Gottesdienste gefeiert: sechs Mal im Jahr zu den Kirchenfesten, zu Totensonntag und Erntedank lädt dazu die reformierte Gemeinde Nordhorn ein. Außerdem finden hier oft kleinere Gottesdienste für Hochzeiten, runde Geburtstage oder Taufen statt. Gut 60 Gäste finden Platz auf den Holzbänken. Die Konfession spielt dabei keine Rolle. „Hier kann jeder Gottesdienst feiern“, sagt Hilderink.

Er hofft, dass sich die Gäste Zeit für einen Blick in die kleinen Faltblätter nehmen, die in der Kapelle ausliegen und von ihrer Geschichte erzählen. Forscher gehen nach Grabungen davon aus, dass sie als katholische Kirche noch vor 1544, als die Reformation in die Grafschaft Bentheim kam, gebaut worden ist. Sie war dem heiligen Johannes geweiht und soll entweder eine Gründung eines rheinländischen Klosters gewesen oder vom nahen Emsbüren aus versorgt worden sein. Genau weiß man das heute nicht, denn die Chronik ist leider verschollen. Dass der Giebel heute die Jahreszahl 1853 trägt, hängt mit der damaligen umfassenden Sanierung zusammen.


Mitten im Nordhorner Ortsteil Hesepe liegt
die kleine Kapelle, sie ist jeden Tag geöffnet.

Im Innern ist die Kapelle schlicht und einfach eingerichtet, aber die Kanzel fällt gleich auf: eine solide Zimmermannsarbeit aus dem Jahr 1776, ohne Falz, Dübel und Leim. In der Chorwand gibt es zwei Nischen, die früher vielleicht den  Tabernakel und Altargeräte beherbergt haben. Aber besonders gern zeigt Fenna Boermann Besuchern die mittelalterliche Altarplatte.

„Schauen Sie mal“, sagt sie und streicht mit den Fingern über die fünf kleinen Weihekreuze, die vor hunderten von Jahren in den Sandstein eingeschlagen worden sind. Die 93-Jährige weiß noch, dass der Block lange draußen vor der Tür gelegen hat und erst bei der Renovierung der Kapelle in den Achzigern wieder eingebaut wurde. Eine Bibel liegt jetzt jeden Tag aufgeschlagen auf dem Tisch,  – und ein Gästebuch, in dem viele Gäste Lob, Dank und Bitte hineinschreiben.

Fenna Boermann könnte noch viel mehr über die Kapelle erzählen – sie liegt ihr sehr am Herzen. „Ich mache das, so lange wie ich kann. Dann müsst ihr weitergucken“, sagt sie und zeigt mit einer kleine Geste auf Ludwig Hilderink und Heiko Aarnink. Und schaut erneut auf ihre Uhr, jetzt ist es Mittag. Sie holt sich das Seil, geht ein paar Schritte weiter in die Kapelle hinein, bis das Tau gerade in ihren Händen liegt. Und zieht: 48 Mal, eine Minute lang.

Petra Diek-Münchow

Besucher erreichen die Kapelle über eine kleine Straße, die vom Tillenberger Weg abgeht (Höhe Gemeindehaus).

 

Zur Sache

Rund 710 historische Bauwerke öffnen am 9. September in Niedersachsen und Bremen ihre Türen. Seit 25 Jahren gibt es den „Tag des offenen Denkmals“. Auch im Bistum Osnabrück sind Gäste eingeladen, zum Beispiel:

Katholische Pfarrkirche St. Vincentius in Haselünne, Führung um 15 Uhr
Mausoleum auf dem alten Friedhof in Lingen, Führungen um 12, 14 und 16 Uhr
Katholische Kirche St. Ludgerus in Norden, Führungen um 14.30, 15.15 und 16 Uhr
Lutherische Marienkirche am Markt in Osnabrück, Führungen um 12, 13, 14 und 16 Uhr