Die evangelische Kirche beim Wacken Open Air

Achtung, jetzt wird's laut!

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80 000 Heavy-Metal-Fans strömen Anfang August zum Wacken Open Air nach Schleswig-Holstein. Wenn sie vom Trubel des Festivals mal überfordert sind, ist immer ein Seelsorger für sie da. Und an einem Abend öffnet Pastorin Schneider ihre Kirche.

Foto: kna/Michael Althaus
Bereit zum Feiern: Nach einer Andacht gibt es in der Heiligen-Geist-Kirche in Wacken ein Rockkonzert. Foto: kna/Michael Althaus


Einmal im Jahr, zum Wacken Open Air Anfang August, wird aus der Heiligen-Geist-Kirche in Wacken die Metal Church. Dann ist das Gotteshaus bis auf den letzten Platz mit schwarzgekleideten Heavy-Metal-Fans besetzt. Sie feiern eine Andacht und hören ein Rockkonzert. Es kommen aber nicht nur die Festivalbesucher. „Auch Seniorinnen aus meiner Gemeinde sitzen dann in der Kirche“, sagt Pastorin Petra Judith Schneider. „Sie feiern die Andacht mit und anschließend holen sie ihren Ohrenschutz aus der Handtasche.“ 

Für Leute, die nicht aus dem Dorf kommen, sei das vermutlich kaum zu glauben, aber Menschen jeder Altersgruppe, Gemeindemitglieder und die Metal-Fans freuten sich gemeinsam auf das Konzert, sagt Schneider. „Da gibt es keine Berührungsängste.“

Seit sechs Jahren lädt die evangelisch-lutherische Gemeinde die Musikfans in ihr Gotteshaus ein. Da kommt zusammen, was auf den ersten Blick nicht zusammengehört: laute, verschlammte Musikfans in der stillen, sauberen Kirche. Die Texte im Heavy Metal handeln oft von Tod und Gewalt und kritisieren die Religion scharf. Die Anhänger tragen Shirts mit der Teufelszahl 666 oder mit umgedrehten Kreuzen. Das Teufelszeichen, aus kleinem Finger und Zeigefinger geformt, ist das Erkennungszeichen der Musikszene. 

Doch warum engagiert sich die evangelische Kirche trotzdem mit der Metal Church und einer Festival-Seelsorge? „Ich bin nicht immer mit den Texten einverstanden. Auch das Teufelszeichen will ich überhaupt nicht verharmlosen“, sagt Pastorin Schneider. „Aber warum dürfen wir nicht beten, dass diese Menschen ein schönes Festival haben? Dass niemand Schaden nimmt oder verletzt wird?“ Auch für sie gibt es aber Grenzen: „Ich bin überhaupt kein Fan von Rammstein. Die spielen mir zu extrem mit Symbolen, auch mit rechtsradikalen Andeutungen. Die würden bei mir in der Kirche kein Konzert geben.“ Außerdem gibt es Regeln in der Kirche: Es wird nicht geraucht, es darf nichts kaputtgehen und Bier ist nicht erlaubt. Die meisten Musikfans halten sich daran.


Kirchliches Engagement ist eine Chance

Foto: Nordkirche
Bereit zum Helfen: Die Mitarbeiter der Festival-Seelsorge
sind auf dem Konzertgelände unterwegs. Foto: Nordkirche

Natürlich gebe es auch kritische Stimmen zur Metal Church, sagt Schneider. Gerade zu Anfang habe sie aus evangelikalen Kreisen deutschlandweit Zuschriften erhalten. In ihrer Gemeinde ist die Metal Church aber akzeptiert. „Es gibt auch hier einige, die sagen, dass sie die Aktion nicht mögen. Das sind aber keine radikalen Äußerungen, die das Konzert komplett verbieten möchten“, sagt Schneider.

Sie sieht in dem kirchlichen Engagement auf dem Wacken Open Air eine Chance. „Etliche der Besucher sind kirchenaffin. In der Andacht spüre ich eine große Neugierde für die Lieder, die Gebete und die Predigt. Auch das Vaterunser beten alle mit“, sagt die Pastorain. Sie weiß natürlich, dass einige Besucher nur zur Andacht kommen, um für das Konzert anschließend einen Sitzplatz zu haben. Aber das ist für sie kein Problem. „In einem Jahr mussten die Besucher noch warten bis das Konzert beginnen konnte. Da haben sich die Leute die Gesangbücher genommen und spontan ‚Danke für diesen guten Morgen‘ angestimmt.“

Dass die Kirche beim Wacken Open Air dabei ist, zeige ihre Offenheit, sagt Schneider. Nach einer Trauung auf dem Konzertgelände vor einigen Jahren habe ein Fan sie in einer großen Menschenmenge wiedererkannt: „Der sagte: ‚Ey, cool, Sie sind doch die Pastorin, die das Paar getraut hat. Das war stark!‘“, berichtet Schneider. „Die Menschen nehmen etwas wahr. Es ist doch ein Zeichen, dass die Kirche zu den Menschen geht, um für die Menschen da zu sein.“

Das hat auch Björn Hattenbach sofort angesprochen. „Ich finde es spannend, Kirche an einem anderen Ort zu erleben, da zu sein, wo man sie vielleicht nicht vermutet, und dort Hilfsangebote zu machen. Gerade auch für Menschen, die mit der Kirche sonst nichts am Hut haben“, sagt der 40-jährige Diakon, der seit 2011 zum Team der Festival-Seelsorge beim Wacken Open Air gehört. 

Zum zehnten Mal organisiert in diesem Jahr das Landesjugendpfarramt der Nordkirche das Hilfsangebot. Theologen, Sozialpädagogen und Psychologen arbeiten zusammen. Täglich von 13 Uhr bis 5 Uhr in der Früh sind sie auf dem Gelände unterwegs und bieten Gespräche in zwei Zelten in der Nähe der Polizei- und Sanitätsstation an. Auch über ein Notfalltelefon können Besucher die Seelsorger erreichen.

„Wir versuchen, für die Menschen da zu sein, mit ihren Lebensfragen und Ängsten, bei Überforderung, Depressionen oder bei zwischenmenschlichen Konflikten“, sagt Hattenbach. Einige Besucher kommen gezielt zu den Seelsorgern, weil sie die Anonymität des Festivals zu einem Gespräch nutzen wollen. „Häufiger kommt es aber vor, dass auf dem Festival etwas aufbricht, das die Menschen überfordert“, sagt Hattenbach. „Musik ist ein Emotionsträger. Man steht zwischen 80 000 Menschen, feiert und die Alltagslast fällt ab. Da können Dinge zum Vorschein kommen.“ 


Eindrücke ordnen und den Blick weiten

Das können Probleme im Beruf oder in der Familie sein oder  schlechte Nachrichten, die man auf dem Festival erhält. „Viele Menschen fahren allein zum Wacken Open Air. Sie feiern, stehen den ganzen Tag unter Vollspannung und abends geht die Musik aus, jeder geht in sein Zelt und auf einmal sind sie allein. Manche kommen mit dieser Situation nicht klar und möchten darüber sprechen“, sagt Hattenbach. 

Die Seelsorger versuchen die Eindrücke zu ordnen, den Blick zu weiten und Möglichkeiten aufzuzeigen. „Wir möchten den Menschen wieder Hoffnung geben und sie so weit wieder fit machen, dass sie für sich entscheiden können, ob sie auf dem Festival bleiben und es weiter genießen können oder ob sie abbrechen wollen“, sagt Hattenbach. Insgesamt nutzen in den Festivaltagen mehr als hundert Menschen das Angebot. 

Die Kirche auf dem Wacken Open Air, zwischen lauter Musik und wild feiernden Menschen – beide Seelsorger sind sich einig: Das passt gut zusammen. „In einem Jahr sind wir vor lauter Regen völlig abgesoffen. Da haben ein paar kräftige Männer schnell geholfen und Rollstühle aus dem Schlamm gezogen“, erinnert sich Schneider. „Ich sage immer: Die leben hier häufig das, was wir sonntags predigen“, sagt Hattenbach.

Kerstin Ostendorf