Heimsterben wächst zur Versorgungskrise

Alarm in der Pflege

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Alarmknopf
Nachweis

Foto: imago/Guido Schiefer

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Alarmknopf in einem Altenheim

Die Pflege in Deutschland leidet unter Personalnot und mangelnder Finanzierung. In den vergangenen Monaten mussten rund 1000 Pflegeeinrichtungen schließen oder ihr Angebot herunterfahren. Vertreter von Diakonie und katholischer Altenhilfe erklären, woran das liegt – und was helfen könnte.

In Deutschland vollzieht sich, unbemerkt von der Öffentlichkeit, ein Heimsterben. Beinahe täglich wurden 2024 Pflegeeinrichtungen geschlossen oder mussten Insolvenz anmelden. Das ist das Ergebnis einer Recherche des Arbeitgeberverbands Pflege. Deutschland schlittere immer tiefer in „eine bundesweite Versorgungskrise“, mahnte Verbandschef Thomas Greiner. 

Während kirchliche Dienste und Einrichtungen, die ihre Angestellten seit jeher besser entlohnen, die Kostensteigerungen im Personalbereich noch einigermaßen gut überstanden haben, trafen die gestiegenen Löhne für Pflegekräfte vor allem private Versorger im Westen und Norden des Landes mit Wucht. Rund 1100 Pflegedienste und Heime mussten in diesem Jahr bereits Insolvenz anmelden, ihr Angebot herunterfahren oder einen Aufnahmestopp verhängen.

Maria Loheide
Maria Loheide. Foto: Diakonie/Hoffotografen

Doch inzwischen schätzen auch immer mehr kirchliche Anbieter nach Angaben von Maria Loheide, der Sozialvorständin der evangelischen Diakonie, ihre Lage als problematisch ein. „Die wirtschaftliche Situation in der Pflege hat sich in den vergangenen Jahren peu à peu verschlechtert“, sagt Loheide. Die Gründe dafür seien oft bürokratischer Natur. So müssen alle Seniorenheime, die einen Versorgungsvertrag mit den Pflegekassen abgeschlossen haben, ihre Ausgaben nach Kostensteigerungen etwa für Personal, Energie, Lebensmittel oder Investitionen in die Gebäudemodernisierung mit den Pflegekassen neu verhandeln. Doch immer häufiger verliefen diese Neuverhandlungen schleppend, sagt Loheide: „Oft dauert es ein halbes Jahr und länger, bis die Kassen alle Kostenbestandteile anerkennen und dann entsprechend zahlen.“ Loheide forderte die Bundesregierung wiederholt auf, „eine schärfere gesetzliche Regelung“ für zeitnahe Zahlungen der Pflegekassen zu schaffen. Bisher blieben ihre Mahnungen ungehört.

„Die Heime werden zu zinslosen Darlehensgebern degradiert“

„Die Pflegesatzverhandlungen der Heimträger mit den Pflegekassen ziehen sich in der Tat oft stark in die Länge“, bestätigt Andreas Wedeking, Geschäftsführer vom Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD). Darüber hinaus müssten viele Einrichtungen sehr lange auf Zahlungen der Sozialämter warten. „Zum Teil dauert das fast ein Jahr“, sagt Wedeking. Hintergrund: Die Sozialämter springen mit der „Hilfe zur Pflege“ immer dann ein, wenn sich ein pflegebedürftiger Mensch den Eigenanteil für seinen stationären Pflegeplatz nicht mehr leisten kann. Da immer mehr Pflegebedürftige auf diese staatlichen Leistungen angewiesen sind, gefährdeten die Zahlungsverzögerungen inzwischen die Liquidität von rund 40 Prozent der katholischen Pflegeheime. „Von keinem Vermieter wird erwartet, dass er monatelang auf die Zahlungen wartet. Doch in der Pflege werden die Heime zu zinslosen Darlehensgebern degradiert“, sagt Wedeking.

Andreas Wedeking
Andreas Wedeking. Foto: Jens Leske

Ein weiteres Problem ist der Personalmangel. Weil viele Heime nicht genügend Mitarbeitende finden, können sie den gesetzlichen Personalschlüssel nicht mehr erfüllen und „müssen dann Betten stilllegen oder ganze Abteilungen schließen“, erklärt Loheide. Und das, obwohl immer mehr alte Menschen einen Pflegeplatz brauchen. Während es zur Jahrtausendwende in Deutschland rund zwei Millionen Pflegebedürftige gab, sind es aktuell bereits 5,4 Millionen. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen auf 7,5 Millionen erhöhen.

Für negative Schlagzeilen haben jüngst zudem die finanziellen Nöte der gesetzlichen Pflegekassen gesorgt. Nach Angaben von Barbara Heidrich, die bei der Caritas in Niedersachsen für die Altenhilfe zuständig ist, hatte der Gesetzgeber die Kassen zuletzt mit immer neuen versicherungsfremden Ausgaben belastet. So koste allein die Finanzierung der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige jährlich zusätzlich rund vier Milliarden Euro. „Außerdem wurden während der Corona-Pandemie zum Beispiel die Tests in Heimen und die Boni für Pflegekräfte aus Versicherungsgeldern bezahlt. Dies hat die DAK in einem Rechtsgutachten prüfen lassen und fordert nun vom Bund die Rückzahlung von circa 5,9 Milliarden Euro“, so Heidrich.

Zwar hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigt, er werde bald eine umfassende Pflegereform vorlegen. Doch Experten trauen dem Minister, vor allem nach der zum Teil vernichtenden Kritik an dessen Klinikreform, offenbar nicht mehr viel Gutes zu. Bisher seien aus dessen Hause in Sachen Pflege immer nur „ein paar kleinere Reparaturarbeiten gekommen, aber das Grundproblem ging er nicht an“, sagt Diakonie-Vorständin Loheide. Auch VKAD-Chef Wedeking befürchtet, dass die Bundesregierung, am Ende wieder nur eine mit „heißer Nadel gestrickte Reform“ vorlegt, „die längst nicht alle Probleme lösen wird, die es aktuell in der Pflege gibt“.l

Das ganze Interview mit Barbara Heidrich von der Caritas Niedersachsen finden Sie im Internet unter: www.aussicht.online/artikel/wer-leistet-kuenftig-die-pflege

Andreas Kaiser

Zu den Personen:
Maria Loheide ist Vorständin für Sozialpolitik bei der Diakonie Deutschland
Andreas Wedeking ist Geschäftsführer des Verbands katholischer Altenhilfe in Deutschland e. V.