SPD-Konzept für mehr Sozialstaatlichkeit

Allenfalls erste Schritte ...

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Grundrente und Ablösung von Hartz IV: Mit gleich zwei Vorschlägen hat die SPD die sozialpolitische Debatte in Deutschland befeuert. Wie sind diese Initiativen zu bewerten? Fragen an Caritas, Kolping, kfd und KAB.

Stichwort Grundrente: Im Kern sollen kleine Renten per Zuschlag erhöht werden – und zwar automatisch berechnet durch die Rentenversicherung ohne extra Prüfung der Bedürftigkeit. Voraussetzung sind mindestens 35 Jahre Einzahlung in die Rentenkasse. Auch Teilzeit, Kindererziehungs- und Pflegezeiten zählen mit, allein Minijobs reichen aber nicht.

ã Mehr Geld im Portemonnaie – für mehr gesellschaftliche Teilhabe. Das will die SPD mit einem Konzept für mehr Sozialstaatlichkeit erreichen. | Foto: kna
Mehr Geld im Portemonnaie – für mehr gesellschaftliche Teilhabe. Das will die SPD mit einem Konzept für mehr Sozialstaatlichkeit erreichen. | Foto: kna

Generell gilt: Wer nach genau 35 Beitragsjahren weniger als 896 Euro Rente hat, bekommt einen Zuschlag. Beschäftigte, die immer nur Mindestlohn verdienten, sollen die maximale Aufwertung von 447 Euro erhalten. Eine Friseurin mit 40 Jahren Mindestlohn kommt so beispielsweise auf 961 statt 514 Euro Rente. Bei einer alleinerziehenden Krankenschwester in Teilzeit mit zwei Kindern ergibt sich eine Altersversorgung von rund 1000 Euro – statt 860 Euro.

„Die Grundrente hat noch Unwuchten“

Für Diözesancaritasdirektor Achim Eng hat das Konzept zur Grundrente noch erhebliche Unwuchten. Es könne durchaus langjährige Beitragszahler mit geringem Einkommen aus der Sozialhilfe holen: „Aber es schließt all jene kategorisch aus, die weniger als 35 Beitragsjahre gesammelt haben.“ Darüber hinaus brauche es endlich eine Sozialversicherungspflicht für Minijobs und Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit.

Eine Einschätzung, die die Vorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft (kfd) im Bistum Hildesheim, Susanne Kaiser-Eikmeier, teilt, gerade im Hinblick auf die Erwerbsbiografien von Frauen. Zwar ist nach ihrer Einschätzung die Grundrente positiv für Frauen, die in  Frauenberufen wie Verkäuferin oder Friseurin gearbeitet haben und auf 35 Beitragsjahre kommen: „Sie ist im Umkehrschluss aber schlecht für Frauen, die keine durchgängige Erwerbsbiografie haben durch Erziehung und Pflege und nicht auf 35 Jahre kommen.“ Zudem arbeiten Frauen deutlich häufiger in Minijobs – und genau diese geringfügigen Beschäftigungen werden nicht berücksichtigt.

Die Alternative von Susanne Kaiser-Eikmeier: das Rentenmodell der katholischen Verbände. Auf diesen auch als „Cappuccino-Modell“ genannten Vorschlag verweisen zudem das Kolpingwerk und die KAB. „Unser Modell  zielt besonders auf die soziale Sicherheit im Alter und die Stärkung des solidarischen Ausgleichs in der Gesellschaft ab“, sagt Diözesansekretär Mirco Weiß, der derzeit auch für das Handlungsfeld „Arbeit & Soziales“ beim Kolping Diözesanverband zuständig ist.
Das Rentenmodell sieht drei Bestandteile vor: eine staatlich garantierte Sockelrente, die unabhängig von der individuellen Erwerbsbiografie ist. Gewissermaßen der Espresso. Darauf kommt Milchschaum: eine verpflichtende und aufgewertete Erwerbstätigenversicherung nach den Prinzipien der bisherigen Rentenversicherung. Fehlt noch der Kakao: betriebliche und private Altersvorsorge.

Daher ist das von Arbeitsminis­ter Heil vorgelegte Konzept einer Grundrente für die KAB-Diözesanvorsitzende Silvia Scharfenberg zumindest ein erster Schritt. Sie zählt dazu beispielsweise die Finanzierung aus Steuermitteln sowie der Abschied von einer Bedürftigkeitsprüfung. Aber: „Die Messlatte mit 35 Jahre Rentenzeiten schickt weiterhin zu viel ältere Menschen in die Altersarmut.“ Daher braucht es die von den Verbänden vorgeschlagene Erwerbstätigenversicherung, die alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezieht.

Was kommt nach „Hartz IV“?

Zweiter Vorschlag der SPD – die Ablösung des Arbeitslosengeldes II, besser bekannt als Hartz IV. Hauptpunkte des vom Parteivorstandes beschlossenen „Sozialstaatspapiers“ sind ein längerer Anspruch auf Arbeitslosengeld I, die Umwandlung von Hartz IV in ein Bürgergeld und eine Kindergrundsicherung.

Zum einen soll das Arbeitslosengeld I (ALG I) bis zu neun Monate länger an Ältere gezahlt werden und einen Anspruch auf eine gezielte Weiterbildung  verbunden werden. Das Bürgergeld soll zum anderen das ALG II ersetzen: An Regelsätzen und „Mitwirkungspflicht“ der Bezieher wird nach dem Konzept nichts verändert. Allerdings bleibt eventuell bestehendes Vermögen länger unangestastet, die Wohnungsgröße wird nicht mehr umgehend überprüft und Sanktionen gerade für unter 25-Jährige sollen fallen. In einer „Kindergrundsicherung“ sollen Leistungen wie Kindergeld, Kinderfreibetrag und Kinderzuschlag zusammengefasst werden. Das Ziel: Kinder aus dem Hartz-IV-Bezug herausholen. Eine ähnliche Initiative hat das Land Niedersachsen im Bundesrat angestoßen.

Kolping-Sekretär Mirco Weiß kann dieser Initiative wenig abgewinnen: „Wir sehen das skeptisch, denn das gut austarierte System von Fordern und Fördern hat sich bewährt.“ Wichtig bei allen Umbauplänen sei es, laut Weiß, dass eine Teilhabe ärmerer Menschen am gesellschaftlichen Leben weiterhin möglich bleibt und der (Wieder-) Einstieg in den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt fokussiert werde.

Für Diözesancaritasdirektor Achim Eng muss ein anderes Ziel im Mittelpunkt stehen: „Was immer nach Hartz IV kommt, ist daran zu messen, ob es Familien mit Kindern hilft, die echten Bedarfe von Schule und außerschulischer Bildung zu leisten.“ Familien und Alleinerziehende brauchen eine deutliche steuerliche Entlastung und wirksame Unterstützung bei außergewöhnlichen Belastungen. „Der angenehmere Klang des Wortes Bürgergeld hilft nicht beim Kauf von Schulbüchern oder Kleidung für Jugendliche“, findet Eng.

Kritik kommt auch von der KAB – nur in anderer Hinsicht. „Grundsätzlich alles, was Hartz IV ablöst und dessen fatale Wirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt beendet, geht in die richtige Richtung“, betont Silvia Scharfenberg. Unsinnige Sanktionen müssen ebenso der Vergangenheit angehören: „Arbeitslosengeld ist keine Wohltat, sondern ein berechtigter Anspruch.“ Staatliche Hilfe in Notfällen darf nicht an peinliche Auflagen geknüpft werden. Aber: „Wir brauchen weitere Schritte, bis hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen.“

In diese Richtung weist für Silvia Scharfenberg der SPD-Vorschlag für eine eigenständige Kindergrundsicherung: „Der Gedanke ist richtig – die vielen unterschiedlichen Leistungen zusammenfassen, die Bürokratie möglichst gering halten, an alle Kinder auszahlen und dann über die Einkommensteuer bis zu einem Sockelbetrag abschmelzen.“ Dann kommt die Unterstützung auch da an, wo sie hingehört.

Von Rüdiger Wala

 

Stichworte SPD-Konzept

Grundrente: Die Grundrente sollen Geringverdiener erhalten können, die mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben – ausdrücklich ohne eine individuelle Bedürftigkeitsprüfung. Bürgergeld:  Kernelemente wie die Überprüfung der Bedürftigkeit oder die Höhe des Arbeitslosengeldes II sollen bestehen bleiben. Wer aus dem ALG I in den ALG-II-Bezug wechselt, soll zwei Jahre von der Heranziehung seines Vermögens und der Überprüfung der Wohnungsgröße verschont bleiben. An der Höhe der Regelsätze (424 Euro im Monat für Alleinstehende) soll nichts geändert werden.
Kindergrundsicherung: Bislang einzeln ausgezahlte, einzeln zu beantragende und zum Teil aufeinander anzurechnende Leistungen (Kindergeld, Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag, Grundsicherungs-Leistungen) sollen „in einer Hand“ zusammengeführt werden. (wal)