Bischof Ipolt spricht im Interview über die Zeit des Mauerfalls

„Alles wurde plötzlich neu“

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Im Interview schildert Bischof Wolfgang Ipolt, wie er die Zeit vom Mauerfall 1989 bis ins vereinte Deutschland erlebt hat. Er sagt: „Ich habe nicht an einen Fortbestand (der DDR) geglaubt.“

Bischof Ipolt sprach im vorigen Jahr in Neuzelle mit einer Journalistin von Radio Berlin-Brandenburg (rbb).    Foto: Raphael Schmidt

 

Heute ist Wolfgang Ipolt Bischof des Bistums Görlitz, der östlichsten Diözese Deutschlands. Vor 30 Jahren hatte er es vom Erfurter Priesterseminar aus viel näher zur damaligen innerdeutschen Grenze. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) schildert Bischof Ipolt, wie er den Mauerfall und dessen Folgen erlebte.
 

Herr Bischof, wie haben Sie den Abend des Mauerfalls erlebt?

Daran kann ich mich gut erinnern. Ich war im Herbst 1989 Subregens im Erfurter Priesterseminar. Damals haben wir sehr häufig vor dem Fernsehgerät gesessen. Ob ich die berühmte Szene mit Herrn Schabowski gesehen habe, als er die Öffnung der Mauer bekannt gab, da bin ich nicht sicher. Aber meine Studenten haben mir das sofort mitgeteilt. Am nächsten Tag sagten sie: Wir müssen auf jeden Fall nachschauen, ob das stimmt. Es gab dann ein freies Wochenende für das ganze Haus, und alle konnten zum ersten Mal über die innerdeutsche Grenze fahren. Von Erfurt waren es nur 60 Kilometer bis zum damaligen Grenzübergang Herleshausen.
 

Haben Sie die Grenze dann auch überschritten?
 

Ja, mit dem Auto. Uns wurde plötzlich klar, dass wir uns im anderen Teil Deutschlands gar nicht auskennen. Es gab ja in der DDR keine Landkarten, die das Gebiet der Bundesrepublik zeigten. Aber die Menschen aus Westdeutschland müssen das wohl geahnt haben: Auf den letzten Kilometern vor der Grenze - das vergesse ich nie - da standen Leute an der Autobahn und haben uns kleine Karten von Hessen in die Hand gedrückt. So konnten wir uns fürs Erste orientieren. Wir fuhren dann hinter der Grenze ein wenig ins Land hinein und dann wieder nach Erfurt zurück.

Haben Sie damit gerechnet, dass die Mauer so plötzlich offen stehen könnte?

Ich habe immer gesagt: Ein Staat, der so denkt und handelt wie die DDR, der hat keinen ewigen Bestand. Ich habe vor allem den Jugendlichen - ich habe natürlich in meinen ersten Priesterjahren viel Jugendseelsorge damals gemacht - immer gesagt: Wir müssen an die Einheit Deutschlands glauben, es kann nicht sein, dass ein Staat, der seine Leute einsperrt und dazu für alle eine Welt-
anschauung verordnet, für immer bleibt.
 

Mauerfall hieß nicht automatisch Wiedervereinigung. Es gab Bestrebungen, die DDR als eine wirkliche Demokratie zu erhalten. Sahen auch Sie eine solche Möglichkeit?
 

Die DDR war schon in der zweiten Hälfte der 80er Jahre wirtschaftlich am Ende. Das wussten wir alle, und es gab immer mehr Ausreiseanträge. Von daher habe ich nicht an einen Fortbestand geglaubt. Es gab Leute, die es für möglich hielten, diesen Sozialismus zu reformieren. Aber für mich persönlich war klar: Die Grenze ist offen, damit ist dieser Staat hinfällig geworden.

Welche Erwartungen hatten Sie an das wiedervereinigte Deutschland?
 

Erwartungen hatten wir keine, es war für uns zunächst eine Überraschung, so etwas hatten wir nicht geübt. Bei aller Freude über die Wiedervereinigung - im Jahre 1990 haben wir noch nicht geahnt, was dies letztlich für uns bedeutet. Alles wurde plötzlich neu, vom einfachsten Formular angefangen bis hin zu Versicherungen und Bankkonten und nicht zuletzt die Umgangsweisen mit staatlichen Stellen. Es war eine unruhige Zeit, und wir haben gerade in den 90er Jahren viel lernen müssen. Es war dies eine große Leistung der DDR-Bürger, das irgendwie zu stemmen.
Das gilt es auch heute zu würdigen. Wir sind dankbar, dass damals viele aus dem Westen gekommen sind und uns geholfen haben. Wenn auch nicht verschwiegen werden darf, dass es auch die Erfahrung von westlichem Hochmut und Unverständnis gegenüber den Ostdeutschen gab.
 

Was ist Ihnen im Rückblick das Wichtigste, das Sie sich persönlich nun gönnen konnten?
 

Ich habe mir zum ersten Mal ein eigenes Auto gekauft, vorher hatten wir Priester einen Dienstwagen, der durch das Bonifatiuswerk finanziert war. Richtig gegönnt habe ich mir aber verschiedene Reisen, zunächst natürlich in den anderen Teil Deutschlands. Ich war in den ersten Jahren oft in den Alpen, aber dann auch vor allem in Frankreich, um mein in der Schule erlerntes Französisch aufzufrischen und zu vertiefen. Ich habe einfach das Geschenk der neuen Freiheit wirklich dankbar genossen.
 

Haben Sie erwartet, dass es eine große Rückwendung zur Kirche gibt nach dem Ende der DDR?
 

Die vollen Kirchen während der Friedlichen Revolution haben vielleicht bei manchem die Hoffnung geweckt, dass Menschen wieder zu uns finden. Ich selbst war nicht enttäuscht, dass das nicht so geworden ist. Eine freiheitliche Gesellschaft macht den Glauben nicht unbedingt leichter. Eine Bekehrung zu Christus ist eben etwas anderes, als in einer politischen Situation die Kirche zu nutzen. Dass wir als Kirche, vor allem im Jahr 1989, die Friedliche Revolution ermöglicht haben, indem wir unsere Kirchen zur Verfügung gestellt haben, war ein wichtiger Dienst für die damalige Gesellschaft. Und immerhin: Wir haben die Menschen eingeladen zum Gebet und zu friedlichen Demonstrationen mit Kerzen in den Händen.

Von Gregor Krumpholz