Teil 3 unserer Adventsserie

Am Wegesrand

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Dritter Advent. Wir gehen auf Weihnachten zu. Mancherorts wird der Stall von Betlehem bereits aufgebaut. Noch leer. Nach und nach werden Figuren hinzugestellt. Diesmal: Hirt und Herde.

Ein Hirte steht mit seiner Herde auf einem sandigen Weg. Neben ihm sitzt Maria auf einem Esel.
Oft unbeachtet: Menschen am Wegesrand wie dieser Hirte. 

Von Sandra Röseler 

Auf unserem Weg zur Krippe stehen die Hirten ein wenig verloren herum. Mit dem, auf das wir da zugehen, haben sie schließlich nichts zu tun: Maria bringt im Stall von Betlehem Jesus, den Heiland, zur Welt. Sie steht im Mittelpunkt. Aber die Hirten sind doch eher Randfiguren, Zaungäste. An ihnen können wir getrost vorübergehen.

Auch auf meinem Lebensweg lasse ich regelmäßig Menschen links liegen. Weil ich denke, dass sie mit meinem Leben nichts zu tun haben, oder weil ich gar nicht bemerke, dass sie da am Wegesrand stehen. Ich blicke lieber nach vorne und konzentriere mich darauf, wo mein Weg mal hinführen soll. 

Manchmal schaue ich auch zurück, und dann stelle ich fest, dass dieser Weg bislang ziemlich angenehm verlaufen ist. Klar, an einigen Stellen war er etwas ruckelig und es gab auch mal ein paar steile und anstrengende Stücke. Aber alles in allem habe ich ein gutes Leben. Ich habe eine schöne Wohnung, einen vollen Kühlschrank, kann in den Urlaub fahren. 

So ein Hirtenleben ist alles andere als idyllisch 

Dass andere hart dafür arbeiten, dass es mir so gut geht, übersehe ich oft. Im Supermarkt sehe ich nur die glänzenden Tomaten und Paprika – und denke viel zu selten darüber nach, dass es höchstwahrscheinlich Arbeiter aus Süd- oder Osteuropa waren, die alles für Niedriglöhne geerntet haben. 

Mein Bild von der Realität ist so gesehen ähnlich verklärt wie mein Bild von den Hirten in der Weihnachtsgeschichte. Die müssen doch ein idyllisches Leben gehabt haben, denke ich und stelle mir vor, wie sie da bei ihren Schafen auf der Weide liegen: den Kopf im Nacken, Blick Richtung Sterne, im Hintergrund spielt jemand Harfe. Schön! Aber leider liege ich da komplett daneben.  

Tatsächlich war so ein Hirtenleben alles andere als idyllisch. Die Hirten in biblischer Zeit zogen als Halbnomaden von Dorf zu Dorf und schlugen sich als Tagelöhner durch. Im sozialen Gefüge standen sie ganz unten. Die Dorfbewohner misstrauten ihnen, warfen ihnen zum Beispiel vor, Tiere zu stehlen. Und bei den Schafen und Ziegen schliefen sie nicht, weil der Sternenhimmel so hübsch anzuschauen ist, sondern, um sie unter Einsatz ihres Lebens vor Räubern und Raubtieren zu schützen. 

Bei den Hirten meiner Zeit ist das ähnlich. Auch sie zählen zu den sozialen Underdogs, auch ihnen wird misstraut. Sie werden etwa verdächtigt, als Wirtschaftsmigranten unseren Sozialstaat ausbeuten zu wollen. Dabei sind sie es, die ausgenutzt werden. 

Jesus ist für die Armen und Ausgestoßenen da 

Denn sind wir mal ehrlich: Die Hirten von heute machen die Jobs, die sonst niemand machen will. Weil das immer noch besser ist als die Perspektivlosigkeit in ihren Heimatländern. Sie stehen bei sieben Grad im Schlachthof, damit bei dem Grillfest, zu dem ich gehe, etwas auf den Teller kommt. Sie machen sich den Rücken beim Spargelstechen oder Blaubeerpflücken kaputt und putzen die Toiletten an den Raststätten, an denen ich auf dem Weg in den Urlaub Pause mache. Sie arbeiten oft unter unwürdigen Bedingungen und bekommen dafür meistens viel zu wenig Geld. 

Eigentlich weiß ich das – genauso wie ich weiß, dass mein Bild von den Hirten in der Bibel absolut unrealistisch ist. Aber ich verdränge es. Weil eine Traumvorstellung nun mal viel schöner ist als die harte, ungerechte Realität. 

Aber die Welt ist nun einmal hart – schon zu Jesu Zeiten. Und deshalb haben die Hirten auf dem Weg zur Krippe sehr wohl etwas verloren. Zwar haben sie mit der Geburt Jesu direkt nichts zu tun – für alles, was danach kommt, sind sie aber entscheidend. Sie sind es, denen der Engel des Herrn die frohe Botschaft zuerst verkündet. Ausgerechnet sie! Nicht, weil sie gerade zufällig am Wegesrand rumstehen. Sondern, weil sie selbst für eine wichtige Botschaft stehen: Jesus ist für alle Menschen da, vor allem für die Armen und Ausgestoßenen. Ein riesiges Zeichen von Respekt! 

Und was bedeutet das für meinen Lebensweg? Eigentlich will ich die Hirten auf diesem Weg ja gar nicht links liegen lassen. Es macht mich betroffen, wenn ich von den Arbeitsbedingungen der Erntehelfer höre oder von der Verzweiflung der Minijobber. Und ich wünsche mir ja ehrlich, dass alle Menschen gut für ihre Arbeit bezahlt werden und niemand ausgebeutet wird. Ach, welch schöne Sozialutopie, seufze ich dann und denke: Da müsste die Politik mal ran. Muss sie auch. Definitiv. 

Aber ich selbst habe auch eine Verantwortung gegenüber den sozial Schwachen – das zeigt mir die Weihnachtsgeschichte. Und diese Verantwortung fängt mit Respekt an. Hier mal ein Beispiel: An der Raststätte lege ich der Reinigungskraft ihre 50 Cent meistens im Vorbeigehen auf den Teller und vermeide es, sie dabei anzuschauen – weil es mir unangenehm ist, dass sie hinter mir herputzen muss. Ihre Arbeitsbedingungen kann ich allein nicht ändern – aber ich könnte mich ja mal ehrlich bei ihr bedanken.