Osterbetrachtung von Prälat Rainer Korten

Ans andere Ufer schauen

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Prälat Rainer Korten (79) lebt seit 2003 in der Süd-Türkei in Antalya. Dort hat er mit Genehmigung der türkischen Regierung die katholische Gemeinde St. Nikolaus für rund 12  000 deutschsprachige Dauerresidenten und damals für Millionen von Touristen gegründet. Inzwischen ist sie zu einer internationalen Gemeinde geworden ist.


Die Jünger Petrus und Johannes am Morgen der Auferstehung“ – so hat der Schweizer Maler Eugène Burnand die Szene aus dem Johannesevangelium mit den zum Grab eilenden Jüngern dargestellt. Das Bild hängt in Paris im Musèe d‘Orsay.

Aus dem Orient schreibe ich, nur eine Flugstunde vom historischen Ostergeschehen entfernt, aus Antalya in der Türkei, wo ich umgeben bin von Orten, an denen der Apostel Paulus als einer der Ersten den Osterglauben mit Kraft und ohne Schnörkel verkündet hat, wie  in einem Brief an die Gemeinde in Korinth. Dort schreibt er: „… ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos. (1 Kor. 15,14)“

Auch wenn am Osterdienstag in Deutschland schon fast nichts mehr an Ostern erinnert, feiern Christen Ostern hartnäckig 50 Tage, denn sie wissen zu gut: was innerseelisch zur reifen Frucht wachsen soll, braucht Zeit, braucht ein Hinabsteigen in die Tiefe. Oberflächlichkeit ist der Tod aller heilenden Vorgänge für die seelische Gesundheit und hat keinerlei Nachhaltigkeit.

Wir sprechen immer noch von Kirchenschiffen

Ich erinnere mich einer Geschichte, die man sich in der Osttürkei rund um den  großen Van-See, nahe der Grenze zum Iran, erzählt: Ein Hirt saß bei seiner Herde am Ufer des Sees. Wenn dieser Hirt Zeit hatte, schaute er über den See und spielte auf seiner Flöte. Eines Abends kam der Tod über den See und sagte: „Komm mit mir auf die andere Seite oder hast du Angst?“ „Warum Angst, ich habe immer hinübergeschaut über den See, seit ich hier bin. Die andere Seite ist mir nicht unbekannt.“ Da legte ihm der Tod die Hand auf die Schulter, der Hirt stand auf und fuhr über den See, als wenn nichts wäre. Das Land am anderen Ufer war ihm nicht fremd und die Töne seiner Flöte, die der Wind hinübergetragen hatte, waren noch da.

Interessant: Wir sprechen heute immer noch von Kirchenschiffen oder singen fröhlich: „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“.

In der Tat, in den Kirchenschiffen  dieser Welt, vom kürzlich von Papst Franziskus besuchten  Irak, über die vielen Kirchenschiffe, mal zerbombt, mal pompös, mal ärmlich in Afrika, Nord- und Südamerika, Asien, Ozeanien und teilweise noch in Europa sitzen zu Ostern all jene Menschen, die die Sehnsucht haben oder sie stärken möchten, einmal an das andere Ufer hinüberzufahren. Das andere Ufer ist ihnen nicht fremd, denn auch das Osterfest 2021 lässt sie schon einmal hinüberschauen an das andere Ufer. Die andere Seite ist ihnen nicht fremd, und was ihnen nicht fremd ist, macht ihnen auch keine Angst. Deshalb haben unsere Vorfahren bei den Kirchenschiffen nie gespart, sie mit großer Andacht und  Stille betreten, im Gegensatz zu modernen Vandalen, die durch Kirchenschiffe pflügen, hier und da alles fotografieren, aber unsensibel bleiben für die österliche Botschaft von der Herrlichkeit des Lebens, das Gott bereithält.

In den Kirchenschiffen dieser Welt sammeln sich zu Ostern jene, die sich die Sehnsucht bewahrt haben oder sich wünschen, einmal „hinüberzufahren“, wenn der Tod die Hand auf die Schultern legt. Wir Deutsche sprechen von „die letzte Reise antreten“ die Angelsachsen von“ depart – abreisen“. 

Der Christ weiß, wohin er reist, denn er hat mit jedem Osterfest, das er in seiner Erdenzeit gefeiert hat, schon einmal hinübergeschaut an das andere Ufer, wohin Jesus Christus vorausgegangen ist, so dass ihm diese Reise keine Angst macht, weil ihm das Ziel nicht fremd ist, selbst wenn der Tod in Corona-Zeiten ihm manchmal sehr nahe kommt. Und die Ostermelodien, die der Wind schon hinübergetragen hat, wird er wiedererkennen.

Mit Ostern im Rücken durchs Leben eilen


Prälat Rainer Korten ist von Orten umgeben,
an denen der Apostel Paulus gewirkt hat.

Was kann von Ostern 2021 nachhaltig bleiben? Das Bild, angelehnt an das Johannesevangelium, zeigt die beiden Jünger, die am Ostermorgen zum leeren Grab eilen mit dem Wind der unglaublichen Osterbotschaft vom Leben im Rücken.
Viele Zeitgenossen haben sich den täglichen Lauf zur liebenswerten Gewohnheit gemacht, meistens zur Förderung der Gesundheit, es gibt aber in unserer deutschen Sprache für diese Form der Bewegung noch das Wort „eilen“, sozusagen für ein inneres Laufen, wenn wir von jemandem oder von etwas fast magisch angezogen und begeistert sind. Schauen Sie in die erwartenden Gesichter und auf die vorwärts drängende Körperhaltung der beiden, die von der Nachricht des leeren Grabes so angezogen sind, dass sie nicht nur laufen, sondern eilen müssen. Die gesunde Mischung von „durch´s Leben laufen“ und durch´s Leben eilen“ dient dem Wohlbefinden des ganzen Menschen. Mit der Botschaft im Rücken: Christus ist auferstanden, der Tod hat keinen Stachel mehr, lässt sich erfüllt leben, trotz, trotz, trotz …! Und gerade deshalb:

Frohe Ostern!

Von Prälat Rainer Korten

 

Der Bibeltext

Sie liefen zum Grab

Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem anderen Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben. Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus und kamen zum Grab; sie liefen beide zusammen, aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus, kam er als Erster ans Grab. Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen, ging jedoch nicht hinein. Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Haupt Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle. Da ging auch der andere Jünger, der als Erster an das Grab gekommen war, hinein; er sah und glaubte.
Johannes 20, 1-8