Dechant Weber über die Morde in Hanau
"Bei uns herrschte Schockstarre"
Menschen mit Migrationshintergrund gibt es viele in den Kirchengemeinden Hanaus. Die Betroffenheit über die Bluttat an Nachbarn und Bekannten ist unter den Katholiken groß. Hans-Joachim Stoehr sprach mit Dechant Andreas Weber.
Dechant Andreas Weber ist Seelsorger in der Kirchengemeinde St. Elisabeth in Hanau-Kesselstadt. Dort liegt einer der Tatorte – der Kurt-Schumacher-Platz. Hier hatte ein rassistischer Täter am Abend des Donnerstags wahllos Menschen ins Visier genommen und acht Personen ermordet. „Wir sind da mittendrin. Gemeindemitglieder kennen die Opfer, lebten in der Nachbarschaft mit ihnen zusammen.“ Entsprechend großer Gesprächsbedarf bestehe da. Nicht nur in der Pfarrei St. Elisabeth. Auch in der Innenstadtpfarrei Mariae Namen. Dort liegt der Heumarkt, der erste Tatort.
Täter ist in Kesselstadt bekannt
Nicht nur Nähe zu den Opfern besteht. Auch der Täter ist in Kesselstadt bekannt. Es gibt Gemeindemitglieder, die mit dem Todesschützen in die Schule gegangen sind. „In der Reihenhaussiedlung, in der die Familie des Täters wohnte, leben viele Gemeindemitglieder.“ Die Familie habe sich sozial abgeschottet, kaum Kontakt zu anderen Leuten aus der Umgebung gehabt.
Viele Zeichen der Solidarität
Die Kirchen sind den ganzen Tag offen für Menschen. Am Tag nach der Bluttat lud die Pfarrei in Kesselstadt zur Eucharistischen Anbetung in die Kirche ein. Aber auch bei der Mahnwache der Stadt am Donnerstagabend mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Ministerpräsident Volker Bouffier sind viele katholische Gemeindemitglieder dabei.
„Diese Stadt ist seit langem geprägt von einer Offenheit gegenüber Menschen anderer Herkunft und Religion. Wir arbeiten hier gut zusammen – etwa am Runden Tisch der Religionen oder in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen“, bekräftigt Dechant Weber. „Wir als Gemeinde profitieren auch von diesem offenen Klima. Denn zahlreiche Mitglieder unserer Gemeinden haben selbst einen Migrationshintergrund, kommen aus vielen Nationen. Sie spüren deshalb eine besondere Betroffenheit – auch jetzt mit den Familien der Opfer.“
Dankbar ist Dechant Weber für die vielen Zeichen der Solidarität. Er nennt Bischof Michael Gerber. Dieser drückt in einem Brief an den Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky seine Anteilnahme aus. Und er dankt „allen Ersthelfern und Einsatzkräften, die an der Aufarbeitung und Aufklärung der Tat beteiligt sind wünsche ich Kraft und Segen". Gerber dankt den Seelsorgern und Gemeindemitgliedern für ihren Einsatz.
Was kann die Kirche tun?
Gegenüber Radio vatican sagte Gerber auf die Frage, was die katholische Kirche tun könne, um der Gewalt Einhalt zu gebieten: "In Hanau in unserem Bistum haben wir einen sehr hohen Migrantenanteil. Für uns als katholische Kirche ist es wichtig, hier Erfahrungsräume der Begegnung zu schaffen. Ich war am letzten Sonntag der Weltmission im Oktober in Hanau zu einer größeren Gottesdienstveranstaltung, wo Menschen mit ganz unterschiedlichem Migrationshintergrund eingebunden waren. Hier haben wir als katholische Kirche eine Chance, exemplarisch etwas zu leben, was dann hoffentlich in die Gesellschaft ausstrahlt und andere Menschen auch motiviert. Ich denke auch an die Aufgaben, die unsere Kindergärten haben. In vielen haben wir einen hohen muslimischen Anteil von Kindern, einen hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund. Und ich glaube, es ist nicht zu unterschätzen, was gerade junge Menschen hier an Schlüsselerfahrungen für ihr Leben mitnehmen. Es ist ganz positiv, wenn sie in jungen Jahren wertvollen Erfahrungen machen und Freundschaften schließen, und das auch später ihren Umgang mit Menschen anderer Herkunft prägt."
Auch Bischof emeritus Heinz Josef Algermissen hat sich bei Dechant Weber gemeldet und sein Entsetzen, aber auch seine Anteilnahme bekundet. „Er ist tief berührt und leidet mit.“ Für den Seelsorger sind solche Zeichen der Anteilnahme eine Hilfe. Aber nicht nur für ihn. „Unsere Leute nehmen das wahr und sind dankbar dafür.“
Dankbar sind Menschen auch für weitere Äußerungen der Anteilnahme. Die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann, schreibt: „Wir trauern mit den Angehörigen der Toten und sprechen Ihnen unser Beileid aus. Wir beten für die Trauernden. Wir beten für die an Leib und Seele Verletzten, dass sie wieder gesund werden. Wir wissen uns verbunden mit allen Einsatzkräften und mit den Notfallseelsorgern, die im Einsatz waren und sind. Die vergangene Nacht hat das Leben in Hanau verändert. Wir werden uns als Evangelische Kirche weiter für ein friedliches Zusammenleben in der Stadt einsetzen.“