Speziell geschulte Seelsorger im Bistum Mainz
Covid 19: „Kranke nicht alleinlassen“
Die Diagnose Covid 19 macht nicht nur Angst vor schwerem Krankheitsverlauf oder vor dem Tod, sie bringt auch strenge Kontaktsperren mit sich. Speziell geschulte Seelsorgerinnen und Seelsorger können Covid 19-Kranke dennoch zuhause besuchen. Im Bistum Mainz sind 25 Frauen und Männer im Einsatz. Von Maria Weißenberger
Der Mann im Krankenbett ist noch keine 70 Jahre alt. Er kann nicht mehr sprechen, nimmt seine Umgebung scheinbar nicht mehr wahr. Trotz schwerer Symptome nach seiner Infektion mit Covid 19 hat er es abgelehnt, ins Krankenhaus zu gehen. Er will nicht beatmet werden, wünscht sich, zuhause sterben zu dürfen. Sein Hausarzt behandelt ihn, nahe Angehörige kümmern sich um ihn. Ihnen ist es wichtig, noch einmal mit ihm gemeinsam zu beten. Aber allein trauen sie sich das nicht zu, zu sehr nimmt es sie mit, dass er an der schlimmen Krankheit zu sterben droht. Deshalb haben sie die Seelsorgerin Dagmar Böhmer um ihren Besuch gebeten.
Wohltuend auch für die Angehörigen
Auch wenn der Patient nicht mehr sprechen kann: Als das Vaterunser gebetet wird, bewegen sich seine Lippen. Ein Zeichen, dass er hört, dass er spürt, er ist nicht allein. Dies wahrzunehmen, tut auch den Angehörigen gut.
Vor allem zu Beginn der Pandemie, erinnert sich Dagmar Böhmer, wurde oft berichtet und teils heftig kritisiert, dass Menschen mit Covid 19 einsam sterben müssen. „Mir ist es wichtig, dass wir Kranke und Sterbende nicht alleinlassen“, sagt die Gemeindereferentin, die im Dekanat Dreieich als Schulseelsorgerin an drei Grundschulen tätig ist und sich ehrenamtlich in der Mainzer Hospizgesellschaft engagiert. „Wenn ich dazu beitragen kann, dass Menschen mit Covid 19 und ihre Angehörigen begleitet werden, dann will ich das tun.“ Deshalb hat sie sich entschieden, an der Schulung teilzunehmen, die das Bistum hauptberuflichen Seelsorgerinnen und Seelsorgern angeboten hat, die bereit waren, in ihren Dekanaten diesen wichtigen Dienst zu leisten.
Ein Arzt klärt über die Ansteckungswege auf
Dass ihr der Entschluss nicht schwerfiel, hänge nicht zuletzt mit ihrer Erfahrung zusammen, „dass man sich mit entsprechenden Maßnahmen vor Infektionen recht gut schützen kann“. Bevor sie Gemeindereferentin wurde, war sie nämlich als Medizinisch-Technische Radiologieassistentin im St. Vincenz- und Elisabeth-Hospital in Mainz tätig. Etwas aufgeregter als sonst war sie schon, zumal es sich um eine bisher unbekannte Krankheit handelte. „Ich war dankbar für die Schulung, bei der uns ein Arzt umfassend über Covid 19 und die Ansteckungswege aufgeklärt hat und wir den sachgemäßen Umgang mit der Schutzkleidung lernten“, sagt sie. Selbstverständlich war es für sie, sich mit der Schulleitung abzustimmen und sich zu vergewissern, dass ihr Ehemann und ihre jugendlichen Kinder mit ihren Plänen einverstanden waren. Denn hundertprozentig ausschließen lässt sich eine Ansteckung nicht. „Gut, dass es die Tests gibt“, sagt sie. Dadurch konnte sie mit hoher Sicherheit ausschließen, dass sie das Virus „gefangen“ hätte und andere infizieren könnte.
Auch zwei weitere Menschen, die sie begleitet hat, 79 und 86 Jahre alt, sind an Covid 19 gestorben. Auch sie hatten sich bewusst entschieden, nicht ins Krankenhaus zu gehen. Auch bei ihnen waren es die Angehörigen, die nach seelsorglicher Begleitung im Sterbeprozess fragten. „Ich habe mit den Kranken und ihren Angehörigen den Sterbesegen gebetet, und es haben sich gute Gespräche entwickelt.“
Wegen der Infektionsgefahr gibt es bei den Begegnungen allerdings Grenzen, die früher nicht da waren: Berührungen sind ausgeschlossen, und durch die Schutzkleidung kann ein Gespräch „von Angesicht zu Angesicht“ nicht wirklich stattfinden. Trotz aller Einsicht in die Notwendigkeiten stimmt es traurig, wenn ein Patient beim Abschied sagt: „Ich hätte so gern Ihr Gesicht richtig gesehen.“
Besuche auch in der Zeit des Genesens
Nicht immer bleibt es bei einer einzigen Begegnung. Eine Mittfünfzigerin will Dagmar Böhmer demnächst zum zweiten Mal besuchen. Die alleinstehende Frau, die immer sehr aktiv gewesen sei, hatte das Virus so schwer „erwischt“, dass sie Ende vergangenen Jahres Angst hatte, sterben zu müssen. Eine Freundin hatte für sie bei Dagmar Böhmer angerufen und um einen Besuch gebeten. Die Frau gilt zwar als genesen, erholt sich aber sehr langsam von der schweren Krankheit. „Jetzt hat sie gefragt, ob ich noch einmal komme. Natürlich mache ich das.“
Ein Stück des schlechten Gewissens nehmen
Auch die Angehörigen eines Verstorbenen haben noch einmal das Gespräch mit der Seelsorgerin gesucht. Sie waren von Zweifeln geplagt, ob es wirklich richtig war, den Vater nicht ins Krankenhaus zu bringen. „Ich denke, ich konnte ihnen ein Stück schlechtes Gewissen abnehmen“, meint Dagmar Böhmer. „Sie haben ja nicht für ihn entschieden, sondern seinen Willen respektiert.“
Von Maria Weißenberger