Radioandachten sind abwechslungsreich
Das Wort geht auf Sendung
Zwischen 90 Sekunden und 5 Minuten, mal eher klassisch verkündigend, mal Geschichten aus dem (Glaubens-)Leben, mal Reaktion auf aktuelle Ereignisse in Kirche und Gesellschaft. Radioandachten sind abwechslungsreich. Aber wie gehen sie auf Sendung?
Radioandachten: Worte über Glauben und Kirche, über Religion und Werte im Radio – da hört doch keiner zu! Mag man denken. „Ein Vorurteil“, entgegnet Andreas Brauns. Der Theologe ist Redakteur im katholischen Rundfunkreferat für den Norddeutschen Rundfunk, abgekürzt: NDR. Ein etwas sperriger Titel. Seine evangelischen Kollegen haben es da etwas leichter: Sie laufen unter der Bezeichnung „Radiopastoren“. Ordiniert, also Priester, ist Brauns nicht. Auch wenn ihn nach 25 Jahren im Dienst der Verkündigung im Radio immer noch Schreiben mit „Pastor Brauns“ erreichen: „Das bin ich aber nicht“ – und das macht durchaus einen Unterschied.
Der Rundfunk-Staatsvertrag regelt die Vereinbarung, dass Kirchen die Möglichkeit haben, Inhalte im Radio zu senden. Die Ausstrahlung von Gottesdiensten gehört dazu, redaktionelle Beiträge – aber überwiegend sind es Andachten, die im Rahmen des „Verkündigungsfensters“ der Kirchen im Rundfunk „on air“, also auf Sendung gehen.
Das führt zurück zum Vorurteil: Die Andachten, die im Auftrag der Kirche und in Abstimmung mit den öffentlich-rechtlichen Sendern ausgestrahlt werden, finden durchaus Anklang. Allein mit den von Brauns betreuten Andachten werden über eine Million Radiohörer erreicht. Er listet auf: Etwa 50 000 Zuhörer täglich im Programm von NDR Info. Das mag auch etwas mit dem Sendezeitpunkt zu tun haben – um 5.55 Uhr. Die gleiche Andacht erreicht um 7.50 Uhr im Programm von NDR Kultur mit 100 000 schon die doppelte Menge an Zuhörern. Flaggschiff sind natürlich die Andachten im Landesprogramm von NDR 1 Niedersachsen: 800 000 Zuhörer sind live dabei. Die „Nachtgedanken“ gegen 21.50 Uhr, seit Frühjahr 2018 im Programm, schalten immerhin noch 60 000 Hörer ein. Beeindruckende Zahlen. „Glaubensfragen können die Hörer auch heute noch erreichen“, betont Brauns. Das werde nicht nur an den Zahlen deutlich, sondern auch an den Reaktionen – per Brief, per E-Mail oder per Telefon.
Mehr Laien als Priester, vermehrt Ehrenamtliche
Rund 30 Sprecherinnen und Sprecher sind bei den Andachten dabei. Aus ganz Norddeutschland für NDR Kultur und NDR Info sind es 15, die gleiche Anzahl kommt aus den niedersächsischen Bistümern für das Landesprogramm. Hier kommt der Unterschied von Brauns zu seinen evangelischen Kollegen zur Geltung. Sind es bei der evangelischen Kirche doch fast ausschließlich Pastorinnen und Pastoren, die sich vor das Mikrofon setzen, sind katholischerseits nur noch wenige Priester dabei. Überwiegend sind es Frauen und Männer, die bei den Bistümern oder der Caritas arbeiten und zunehmend auch Ehrenamtliche, die sich für ihre Kirche engagieren. Und nicht jeder hat ein Theologiestudium. Das ist gewollt: „Mit unseren Sprecherinnen und Sprechern können wir auch besondere Akzente von Kirche setzen“, sagt Brauns. Ein Beispiel: Frauen, die als Seelsorgerinnen zum Beispiel in Kliniken tätig sind. Diese andere Perspektive auf Glaube und Leben spiegelt sich dann auch in den Andachten wieder.
Dieser etwas andere Blick auf Glauben und Leben, zieht auch durch die Andachten von Karin Bury-Grimm. Die 68-Jährige aus Bad Salzdetfurth bei Hildesheim ist seit mehreren Jahren dabei. 30 Jahre hat sie in der Dombibliothek Hildesheim gearbeitet, zuletzt als Direktionsassistentin: „Wörter haben es mir angetan“, sagt sie.
Ihr Leben lang hat Karin Bury-Grimm Briefe geschrieben – mit zu erzählenden Geschichten, mit Anmerkungen, mit Einordnungen, was da geschehen ist. Solche „Briefe“ schreibt und spricht sie nun im Radio: „Ich erzähle viel aus meinem Leben“, sagt die Ehefrau und Mutter. Dabei entdeckt sie zweierlei. Zum einen: Viele, gerade Hörerinnen, finden sich in Andachten wieder. Mehrfach haben ihr Hörerinnen geschrieben oder angerufen, um zum Ausdruck zu bringen: „Sie haben meine Geschichte erzählt.“
Zum anderen: In ihren Andachten berichtet Karin Bury-Grimm sowohl von Glücksfällen ihres Lebens, aber auch von Fehlern, manchmal auch vom Scheitern. „Beim Aufschreiben, beim Vortragen im Radio merke ich dann immer wieder, wie sehr mich Gott durch mein Leben getragen hat – auch wenn ich das manchmal erst spät realisiert habe“, sagt sie. Auch das ist eine Erfahrung, die sie mit ihren Hörerinnen und Hörer teilt. Da wird Glaube, da wird Gott auf einmal ganz nah. Das ist für sie Verkündigung.
Lebensgeschichten sind es auch wieder, die Karin Bury-Grimm vom 7. bis zum 12. Januar bei ihren nächsten Andachten erzählt – im Programm von NDR Info und NDR Kultur. Da geht es – passend zu den ersten Tagen eines neuen Jahres – um Anfänge: Die Zeit nach der Schule, die Suche nach dem zukünftigen Weg, das erste „eigene Geld“, das erste gebrauchte und immer wieder liebevoll geflickte Auto. Typische Geschichten, die auch die Zeitumstände Mitte der 1960er-Jahre aufblitzen lassen. Die Bescheidenheit, in der gelebt wurde, die Konventionen, die noch galten, die ersten Freiheiten, die aufblühten.
Andacht und Geschichten in zwei Minuten und 30 Sekunden
Geschrieben sind die Andachten, eingesprochen auch. Aber es steckt eine ganze Menge Arbeit dahinter. Zum einen: Von der ersten Idee bis zum vorläufigen Manuskript. „Die Idee, Andachten um das Thema Anfänge zu bauen, lag nahe“, berichtet Karin Bury-Grimm. Aber Inspiration muss auch Zeit und Raum haben, sich zu entfalten: „Die Andachten habe ich im Kern im Laufe einer Nacht geschrieben.“ Nicht jeder Text war komplett zu Ende geschrieben, aber die Geschichten und Gedanken standen. Der Feinschliff folgte ein bisschen später: „Ich feile gern an Wörtern.“
Doch damit allein ist es nicht getan: Jetzt kommt Andreas Brauns ins Spiel. Er redigiert die Texte, schaut, ob sie auch für das Hören verständlich sind. Und er hat eine besonders undankbare Aufgabe: Brauns muss die zeitliche Länge im Blick behalten. Zwei Minuten und 30 Sekunden – länger darf eine Andacht auf NDR Info und NDR Kultur nicht sein. Im Vergleich zu anderen Andachten in anderen Programmen schon etwas länger – aber häufig nicht eben lang genug. So auch bei den Andachten von Karin Bury-Grimm. Hier und da werden die Texte gestrafft, aber da und dort muss auch etwas wegfallen. Durchaus schmerzlich für die Autorin.
Ist dieser Schritt geschafft, behält sich die Redaktion Religion und Gesellschaft des Sender vor, auch noch einen Blick auf die Manuskripte zu werfen: „Doch geht es meistens um Kleinigkeiten“, erläutert Andreas Brauns.
Dann wird es richtig ernst: Die Aufnahme. Das Studio wird gebucht, ein Mitarbeiter der Tontechnik sitzt bereit. Karin Bury-Grimm geht die Andachten noch mal durch, markiert Betonungen. Dann werden sie eingesprochen. Verhaspeln ist kein Problem. Der Satz wird einfach neu begonnen und später geschnitten. Andreas Brauns achtet genau darauf, dass verständlich gesprochen wird, keine Silben verschluckt werden. Auch hier wird ein wenig nachkorrigiert. Dann der Test: Alle Andachten in der Zeit? Schnitttechnik macht es möglich, auf die 2:30 Minuten zu kommen. So fallen nochmal Halbsätze weg. Viel Aufwand. Lohnend.
Hört sich Karin Bury-Grimm die Andachten auch selbst im Radio an? „Nein, eher nicht“, sagt sie. Für ihre eigenen Ohren klinge sie so anders, so komisch. Doch Freunde und Familie sagen: „Ja, so klingst du, das bist du.“ Im Tonfall. Von den Geschichten. Und vom getragen werden durch Gott.
Rüdiger Wala