Ein ukrainischer Priester in Osnabrück

„Der Krieg sitzt tief im Herzen der Menschen“

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Ein Priester im Gewand steht vor einem gedeckten Altar
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Foto: Jasmin Lobert

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In der ukrainischen Gemeinde wird der Gottesdienst im byzantinischen Ritus gefeiert. Anders als in einem katholischen Gottesdienst steht der Priester fast die ganze Zeit mit dem Rücken zur Gemeinde.

Nazariy Yasinovskyy (33) ist Priester und seit einem Jahr der geistliche Leiter der ukrainischen griechisch-katholischen Kirchengemeinde in Osnabrück. Jeden Sonntag feiert er einen Gottesdienst in seiner Muttersprache und betet für den Frieden in der Ukraine.

Pastor Nazariy Yasinovskyy betritt den Altarraum und dreht der Gemeinde den Rücken zu. Der Gottesdienst beginnt, die Gottesdienstbesucher bekreuzigen sich mehrfach. Dann setzt Yasinovskyy zu zwei wichtigen Gebeten an: zur Bitte um Gesundheit und zum Gedenken an die Verstorbenen. Für mehrere Minuten zählt er dutzende Namen auf: Mütter, Väter, Großeltern, Kinder, Freunde und Bekannte der Gemeindemitglieder. Manche von ihnen sind bereits verstorben, andere leben noch in der Ukraine.

Jeden Sonntag feiert die ukrainische griechisch-katholische Gemeinde in Osnabrück ihren Gottesdienst. Jeden Sonntag beten die Gläubigen für ihre Lieben, für ihr Land und für den Frieden. „Ich merke, wie tief dieser Krieg im Herzen der Menschen sitzt“, sagt Pastor Yasinovskyy. Er ist seelsorglicher Leiter der Kirchengemeinde und stammt selbst aus der Ukraine. Tag für Tag erhält er Anrufe oder Nachrichten von Gemeindemitgliedern. Darin steht: „Bitte lieber Pastor, beten Sie auch für unsere Verwandten. Wir machen uns Sorgen. Wir wissen nicht, wie es weitergeht.“

Wir haben nicht erwartet, dass sowas bei uns in Europa passieren kann.

Porträtfoto von einem jungen Mann in einem schwarzen Gewand
Neben seiner Arbeit in Osnabrück promoviert Yasinovskyy in Münster im Fach Christliche Gesellschaftslehre. Foto: Jasmin Lobert

Am 24. Februar 2022 begann Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Pastor Yasinovskyy erinnert sich noch ganz genau an die Nacht, in der der Krieg begann. Zusammen mit seiner Frau habe er die Fernsehansprache von Präsident Putin gesehen, in der er von einer „Spezialoperation“ gesprochen hat. „Von da an konnten wir nicht mehr richtig schlafen. Wir wussten nicht, was kommt.“ Nachdem Yasinovskyy einige Stunden wach gelegen hatte, schaute er auf sein Handy. Zahlreiche Anrufe in Abwesenheit von seinen Brüdern und seinen Eltern. Um fünf Uhr morgens rief er einen seiner Brüder zurück. Yasinovskyy hat seine Stimme noch heute im Ohr: „Die Russen haben angefangen, uns zu bombardieren.“ Es war und ist immer noch ein großer Schock für ihn. „Wir haben nicht erwartet, dass sowas bei uns in Europa passieren kann – so viele Bomben, so viel Zerstörung, so viele Tote.“

Seit 2015 ist Yasinovskyy in Deutschland. Er ist nach seinem Bachelorabschluss in Lviv hierhergekommen, um in Frankfurt-St.-Georgen, Eichstätt und Münster Theologie zu studieren. Während seines Studiums in Münster engagierte er sich bereits für die ukrainische Kirchengemeinde in Münster und in Osnabrück. Nach seiner Priesterweihe am 16. Juli 2023 hat er die seelsorgliche Leitung der Gemeinde übernommen.

„Ich habe angefangen, hier zu arbeiten, weil es hier viele Ukrainer gibt, die Seelsorge brauchen“, sagt Yasinovskyy. Es gibt nicht viel Priester, die Ukrainisch und Deutsch sprechen können. Und die brauche es im Moment hier, sagt er. Denn seit Beginn des russischen Angriffskrieges ist die Gemeinschaft der ukrainischen Christen in Osnabrück stark gewachsen. „Wir versuchen einfach, uns zu treffen und darüber zu sprechen“, sagt Yasinovskyy. Für die Gespräche in ihrer Muttersprache seien die Gemeindemitglieder sehr dankbar, erzählt er. Zudem habe er ein besonderes Verständnis für sie, weil er selbst von dem Krieg betroffen ist.

Unter den Geflüchteten in seiner Gemeinde sind auch Menschen aus den okkupierten Gebieten, zum Beispiel aus Charkiv, Mariupol und Saporischschja. „Wenn sie mir erzählen, was sie gesehen haben, was die russischen Soldaten gemacht haben und was sie im wahrsten Sinn überlebt haben, das ist einfach schrecklich und erschreckend“, sagt er. „Das kann man sich nicht vorstellen.“

Schockiert hat ihn auch der russische Angriff auf das Okhmatdyt-Krankenhaus in Kyiv vor wenigen Wochen. Es ist eins der bekanntesten Kinderkrankenhäuser der Ukraine. Zum Zeitpunkt des Angriffs wurden mehr als 600 Kinder behandelt. „Die haben kleine Kinder getötet. Warum? Wofür? Das tut wirklich weh, sowas zu sehen. Und da frage ich mich: Wo bleibt da die Gerechtigkeit?“, sagt Yasinovskyy.

Das ist ein Stückchen Heimat für uns.

Was ihm und seiner Gemeinde hilft, ist das Gebet und ihre Gemeinschaft. Yasinovskyy sagt: „Während des Kriegs, wenn Verzweiflung und Erschöpfung unsere ständigen Begleiter sind, versuche ich, mehr Zeit mit Gott zu verbringen. Unser tägliches Gebet und der Dialog mit Gott helfen mir, innere Kraft und Frieden zu finden.“ Jeden Sonntag feiert die Gemeinde ihren Gottesdienst und trifft sich danach im Kirchencafé. Maria Sendetska, ein Gemeindemitglied, sagt: „Das ist ein Stückchen Heimat für uns.“ Während des Kirchencafés können sich die Ukrainer austauschen, Probleme besprechen und sich gegenseitig unterstützen. So hilft Sendetska beispielsweise dabei, Texte und Formulare von Deutsch auf Ukrainisch zu übersetzen. Denn sie hat in ihrer Heimat als Deutschlehrerin gearbeitet. 

An dem sonntäglichen Gottesdienst nehmen laut Yasinovskyy immer um die 90 bis 120 Besucher teil. Viele von ihnen sind dafür lange unterwegs. Sie kommen aus dem 80 Kilometer entfernten Lingen oder Nordhorn bis nach Osnabrück. Dabei sind die meisten auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Das soll sich in Zukunft ändern. Sobald Yasinovskyy von Münster nach Osnabrück gezogen ist, plant er regelmäßige Gottesdienste im Emsland. „Es wäre schön, wenn wir hier noch mehr ukrainische Geistliche hätten“, sagt Yasinovskyy. Denn in Bremen wohnen auch viele Ukrainer, die er mit seinen Angeboten bisher nicht erreichen kann.

Was er sich für die Ukraine wünscht? „Ruhe und Frieden“, sagt er. „Wir kämpfen weiter, wir leben weiter und wir überleben das.“ Yasinovskyy ist sich sicher, dass es bald wieder Frieden geben wird. Bis dahin ist er dankbar für jede Unterstützung, die den Ukrainern zuteilwird. Was jeder von uns tun kann? „Wir sind für jede Hilfe und treue Gebet für unsere Heimat dankbar.“ 
 

Jasmin Lobert
Zur Sache

Yasinovskyy ist ein Priester der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche. Sie zählt zu den unierten Ostkirchen. Diese teilen zwar eine Glaubensgemeinschaft mit der römisch-katholischen Kirche, ähneln aber in der Liturgie und in den Glaubensriten eher der Tradition der orthodoxen Kirche. Das bedeutet, dass Priesteramtskandidaten heiraten dürfen, bevor sie ihre Weihe empfangen. Allerdings können sie dann kein Bischof mehr werden, denn diese müssen zölibatär leben. Laut Yasinovskyys Einschätzung sind circa 70 Prozent der Priester seiner Kirche verheiratet und 30 Prozent leben zölibatär.