Wolfgang Overath über Gott, sich selbst und die Vereinstreue

"Der liebe Gott ist mein Freund"

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Wolfgang Overath
Nachweis

Foto: kna/Gottfried Bohl

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Der Engagierte: Wolfgang Overath hilft Armen, Obdachlosen und Kranken. Es ist ihm wichtig, Gutes zu tun.

Vor 60 Jahren hat die Fußball-Bundesliga begonnen – und die Karriere von Wolfgang Overath beim 1. FC Köln. Seinem Verein ist er so treu geblieben wie dem katholischen Glauben. Im Interview erzählt er, wie „der da oben“ ihm oft geholfen hat.

Herr Overath, erinnern Sie sich noch an den 24. August 1963?

Klar! An das erste Tor und den Riesenlauf, den ich danach hatte – und mit mir die ganze Mannschaft. Genauso wenig vergesse ich den schwierigen Weg dahin.

Inwiefern?

Ich bin das jüngste von acht Kindern einer doch ziemlich armen Familie. Für den Ältesten haben sich die Eltern das Geld fürs Gymnasium vom Mund abgespart, für die nächsten war das nicht mehr drin. Erst ich als Jüngster durfte dann wieder gehen – und bin ein Jahr vor dem Abi abgegangen für den Fußball. Vor allem mein Vater war richtig traurig und skeptisch: „Wenn du dich verletzt, kann das von jetzt auf gleich vorbei sein. Dann stehst du ohne alles da.“ Von Profifußball hatte ja noch keiner so eine richtige Vorstellung.

Haben Sie ihn schnell überzeugt?

Schnell nicht. Aber ich erinnere mich, dass ich ihn später mal ins Auto gesetzt habe. Da war er schon alt und auch nicht mehr gesund. Er hat zwei Kriege mitgemacht und sein Leben lang hart gearbeitet. Und dann bin ich mit ihm rumgefahren, habe ihm ein paar Häuser gezeigt und gesagt: „Die habe ich gebaut.“ Ich habe ja von Anfang an mein Geld in Häuser investiert und arbeite auch heute noch jeden Tag in meiner Firma. Da hat er schon ein paar Tränchen verdrückt und war ganz zufrieden, denke ich.

Rückblickend hat es der Fußballgott also gut mit Ihnen gemeint?

Ach hör auf! Fußballgott – das ist genauso ein Quatsch wie „Der FC ist meine Religion“ oder ähnliche Sprüche. „Ich hoffe, der liebe Gott ist mein Freund“, sage ich immer. Er hat mir sicher auch beim Fußball geholfen, genau wie er sonst im Leben immer geholfen hat.

Das heißt, Sie haben vor dem Spiel gebetet oder eine Kerze angezündet – und schon fielen die Tore für den FC ...

Nee, nee – so sicher nicht. Ich denke jeden Tag an Gott, danke ihm vor allem und bete auch täglich. Am Spieltag habe ich immer auch vor dem Spiel gebetet, klar. Aber auf dem Platz musste ich schon selbst ran. Weder das Tor noch den Fehlpass konnte ich „dem da oben“ in die (Fußball-)Schuhe schieben. Und im Spiel war ich auch kein frommer Messdiener. Da konnte ich auch kratzen und beißen – was natürlich nicht wörtlich gemeint ist. Was ich heute toll finde: dass sich viele Spieler vor dem Spiel bekreuzigen oder nach einem Tor. Das hätte mir auch gefallen, war damals aber einfach nicht üblich.

Wolfgang Overrath
Der Profi: Wolfgang Overath spielte 14 Jahre für den 1. FC Köln und wurde 1974 mit Deutschland Weltmeister. Foto: kna

Woran merken Sie, dass „der da oben“ oft auf Ihrer Seite ist?

Wo soll ich anfangen? Ich bin fast 80 und habe ein schönes Leben. Immer auf der Sonnenseite. Vom Fußball haben wir ja schon genug geredet – und ich spiele heute noch jede Woche, auch wenn die alten Knochen danach schon mal wehtun. Aber vor allem habe ich eine wunderbare Frau und zwei prima Söhne. Und dann noch unsere Adoptivtochter, die wir mit 14 Tagen aus Brasilien zu uns geholt haben: ein tolles Kind! Die Kinder melden sich bis heute jeden Tag zu Hause, und wir sehen uns oft. Was will man mehr? Und ich weiß ja auch, wo ich herkomme. Dass wir in der zweiten Monatshälfte auch schon mal anschreiben lassen mussten im Laden um die Ecke, weil das Geld alle war. Aber meine Eltern haben uns alle geliebt, das war immer zu spüren.

„Gott ja, aber Kirche nein“ sagen viele. Sie auch?

Um Gottes willen: nein! Dass im letzten Jahr mehr als eine halbe Million aus der katholischen Kirche ausgetreten sind, tut mir in der Seele weh. Auch wenn da so viel Schlimmes passiert ist, was auch mich total erschüttert. Ein Priester, der Kinder missbraucht, und andere, die das vertuschen. Das ist unvorstellbar schlimm. Und es wird auch höchste Zeit, dass sich manches verändert: dass Frauen eine größere Rolle spielen, dass Priester heiraten dürfen ... Kirche hat sich immer verändert. Da darf es auch heute nicht heißen: „Das war schon immer so.“ Aber trotz allem: Mein Gewährsmann ist der da ganz oben. Und das Letzte, was mir in den Sinn käme, wäre, aus der Kirche auszutreten.

Sie engagieren sich ja sehr stark sozial. Hat das auch mit dem Glauben zu tun?

Sicher. Ich engagiere mich für viele Dinge, aber seit langem ganz besonders für Obdachlose. Mit meinen Freunden zusammen haben wir in dieser Zeit – etwa durch Benefizspiele – sicher zweieinhalb bis drei Millionen Euro reingeholt für den Wolfgang-Overath-Fonds. Und wir haben zwei große Häuser gebaut für arme Familien und Obdachlose – zusammen mit dem Sozialdienst katholischer Männer, SKM. Außerdem habe ich noch 18 Jahre nach meiner Profizeit mit der Lotto-Elf Rheinland-Pfalz gespielt. Auch da haben wir mehr als zwei Millionen Euro eingespielt für kranke Kinder und arme Menschen.

Vor Weihnachten sind Sie auch immer aktiv.

Ja, da gebe ich jedes Jahr ein Fest für 100 bis 120 Obdachlose. Erst geht es in die Kirche, dann gibt es Essen und Geschenke. Alles das hat sicher mit dem Glauben zu tun. Denn ich sage immer: Der Herrgott hat mir so viel geholfen, da muss es meine Aufgabe sein, denen zu helfen, die es nicht alleine schaffen und die nicht so viel Glück haben. Das ist meine Vorstellung von Zusammenleben – und zum Glück nicht nur meine. Deshalb spende ich zum Beispiel auch das gesamte Geld, was ich jetzt für ein neues Buch bekomme, das demnächst erscheint – mit Sven Pistor zusammen, dem Sportmoderator.

Sie werden bald 80. Was wünschen Sie sich von „Ihrem Freund da oben“?

Einmal, dass er denen, die hier unten bei uns was ändern könnten, hilft und ihnen die Kraft gibt, das Ganze wieder in richtige Bahnen zu lenken. Dass die Kirche wieder das für die Menschen ist, was sie sein sollte – also zum Beispiel Stütze, Kraftquelle, Gemeinschaft. Dass der Glaube wieder eine größere und bessere Rolle spielt in unserer Welt. Und ich fände es natürlich prima, wenn er mit mir zufrieden wäre und sagen würde: „Wolfgang, Du hast nicht alles falsch gemacht.“

Und wenn Sie noch ein Stück weiterdenken?

Ich glaube und hoffe, dass es auch nach dem Tod weitergeht. Wie auch immer. Ist ja noch keiner zurückgekommen. Aber ich hoffe, dass mir diese Zuversicht mal das Sterben leichter macht, wenn es so weit ist. Auf der anderen Seite muss ich auch sagen: Ich habe so ein wunderbares Leben gehabt. Wenn das morgen vorbei wäre, wäre das auch nicht schlimm.
 

Gottfried Bohl