Vor 75 Jahren starb Kardinal Adolf Bertram
Der rote Fuchs

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Kardinal Adolf Bertram (vordere Reihe Mitte) mit den Professoren der Theologischen Hochschule Weidenau (heute Vidnava in Tschechien) 1935. Foto: Zemský Archiv v Opavě, Státní okresní archiv Jeseník |
Kardinal Adolf Bertram ist für die Schlesier zum Symbol der Heimat geworden, aus der sie vertrieben worden sind. Ihrer Hochachtung steht so manche Kritik von Historikern gegenüber, die dem Kardinal vorwerfen, er habe im Dritten Reich nicht angemessen oder zu wenig gegen die politischen Machthaber getan.
Zierlich, mit leiser Stimme und Sprachfehler
Geboren am 14. März 1859 in Hildesheim als Sohn eines Webers und Tuchladenbesitzers war Adolf Bertram von zierlicher Gestalt, hatte eine leise Stimme und zudem einen Sprachfehler. Ein Junge, der mit derartigen Begrenztheiten aufwächst, lernt schnell: Direkten Auseinandersetzungen mit anderen Menschen ist er nicht gewachsen, weder körperlich noch verbal. Er kann sich nur auf geistiger Ebene mit anderen Menschen auseinandersetzen. Zum Glück war der Junge hochbegabt und fleißig. Er hätte durchaus Geschichts- professor werden können. Doch die Einbindung seiner Familie in das kirchliche Leben der Stadt dürften ihn dazu gebracht haben, Theologie zu studieren.
Nun traf die nächste Crux das Leben des jungen Mannes: Durch die preußischen Kulturkampfgesetze musste die Hildesheimer Theologische Lehranstalt ihre Pforten schließen. Bertram musste nach Süddeutschland ausweichen, studierte in Würzburg und München und wurde am 31. Juli 1881 in Würzburg zum Priester geweiht. Der Staat hatte eine geradlinige Ausbildung unmöglich gemacht, dass Bertram zurückweichen musste, um zum Ziel zu gelangen. Selbst nun mit abgeschlossener Hochschulausbildung und Priesterweihe war eine Rückkehr in die Heimat nicht möglich. Er nutzte die Zeit zu weiteren Studien in Innsbruck und Rom und promovierte in Kirchengeschichte und im Kirchenrecht. 1884 konnte er endlich in sein Heimatbistum zurückkehren.
Trotz zahlreich unbesetzter Pfarreien wurde er in das bischöfliche Generalvikariat geholt, übernahm Verwaltungsarbeit, dann die Dombibliothek, wurde 1894 Domkapitular und 1905 Generalvikar. Privat lebte er still und zurückgezogen und vertiefte sich in wissenschaftliche Arbeiten. So war er dem menschlichen Alltag ein ganzes Stück entrückt. Zugleich sah er, wie seine „väterlichen Förderer“, Daniel Sommerwerck (1871 bis 1905 Bischof von Hildesheim) und Georg Kopp (1872 Generalvikar in Hildesheim, 1881 Bischof von Fulda, 1887 Bischof von Breslau und Kardinal) bei Differenzen mit dem Staat Ausgleich und Verständigung suchten und so einen Handlungsspielraum für die Kirche errangen.
Nach dem Tod von Bischof Sommerwerck wurde Bertram 1906 Bischof von Hildesheim. Im Gegensatz zu seinem bisherigen Wirken in der Verwaltung blühte nun in ihm der Seelsorger auf. Seine Stärke waren die Hirtenbriefe und Publikationen, doch ging er auch auf die Gläubigen direkt zu. Er besuchte zu Firmungen und Visitationen alle Gemeinden und suchte den Kontakt mit den Menschen vor Ort. Er verstärkte die Seelsorgestrukturen im Bistum, förderte das Vereinswesen und stand liberal zu den Gewerkschaften. Problematisch war die Stellung der Katholiken im Herzogtum Braunschweig. Durch beharrliches Verhandeln gelang es Bertram hier, Gottesdienststationen einzurichten. Auch eine andere Gruppe von Gläubigen nahm er ernst: die polnischen Saisonarbeiter. Hier sah er, dass nüchternes Verwaltungsdenken die Menschen nicht erreicht, sondern dass die unterschiedlichen Mentalitäten mit unterschiedlichen Gottesdienstformen aufgefangen werden müssen.
Eingaben statt öffentlichem Streit
1914 wurde er zum Bischof von Breslau gewählt, 1916 zum Kardinal erhoben und mit der Errichtung der ostdeutschen Kirchenprovinz 1930 Erzbischof. 1920 wurde er Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz. Auch in Breslau prägte er das Bistum durch seine Hirtenworte und Publikationen, nutzte die Firmungen zu Besuchen der Gemeinden und baute die Seelsorgestrukturen aus. In der Verwaltung bearbeitete er viele Vorgänge selbst und traf viele Entscheidungen allein ohne große Gremien.
Seine zurückhaltende Politik in der Öffentlichkeit gegenüber dem Naziregime brachte ihm später viel Kritik ein. Klare Worte in aller Öffentlichkeit ist aber eine Kategorie, die in seinem Leben nicht vorkam; diese Art des Streitens hat ihm Gott nicht in die Wiege gelegt. Er baute auf die Fähigkeiten, die er hatte, und schrieb in aller Stille Eingaben. Dafür lobten ihn seine Zeitgenossen. Wer seine Eingabenpolitik kritisiert, übersieht dass selbst heute Staatsbehörden nur äußert ungern auf Eingaben reagieren. Dass seine Eingaben im Hintergrund doch einen gewissen Einfluss hatten, belegt der Spitzname, mit dem man den Kardinal in Berlin bezeichnete: „Der rote Fuchs“. Seine Gegner zollten ihm damit Respekt. Aber ihre Macht in Frage stellen konnte er nicht. Er hielt dabei immer am Recht fest, auch wenn alle im Lande um in herum Unrecht begingen. Das ist eine Art Heiligkeit – der aber ein ganzes Stück Lebenspraxis fehlte. Er setzte das Gute in anderen Menschen voraus und wollte nicht wahrhaben, dass andere bewusst davon abweichen. Es fehlte ihm ein gewisses Maß an Geschick, sich im rauhen Alltag durchzusetzen. Wer auf das Gute im Menschen baut und am Recht festhält, wird gegen ein Regime, wie es die Nazis waren, immer verlieren. Man darf das vielleicht als politisches Versagen deuten, aber eine moralische Schuld ist das nicht. Außerdem legt man allzuschnell moderne Maßstäbe an. Nach NS- und DDR-Zeit sind für uns heute Kritik am Staat und „offene Demonstrationen“ ein demokratisches Grundrecht; für Kardinal Bertram waren diese Dinge außerhalb der sozialen Ordnung eines Staates.
Der Widerstand gegen die Naziherrschaft und in seinen letzten Tagen die Nachrichten von der Zerstörung des Landes durch den Krieg haben seine Lebenskräfte aufgezehrt. Aber er hat, wie er es vorausgesagt hatte, die Naziherrschaft überlebt. Am 6. Juli 1945 starb er auf Schloss Johannesberg in Jauernig im tschechischen Teil des Erzbistums Breslau. Erst 1991 fand er seine letzte Ruhe im Dom zu Breslau.
Von Winfried Töpler
Zur Sache: Verhinderte Hilfe und der „Requiemszettel“
- Die verhinderte Hilfe für den Bischof von Kielce: Nach dem Überfall der Deutschen auf Polen wurden die Priesterseminare geschlossen. 1941 durfte der Bischof von Kielce sein Seminar wieder eröffnen. Bei der Beschaffung von Literatur erbat er sich Hilfe von Kardinal Bertram. Dieser zog seine Professoren zu Rate und gab am 27. Mai 1941 bei einer Breslauer Buchhandlung eine größere Bestellung auf. Der Kardinal nannte ganz offen den Empfänger: Der Bischof von Kielce. Bertram machte sich dabei keine Hintergedanken. Die Buchhandlung meldete den Auftrag natürlich den staatlichen Behörden, von denen prompt ein Verbot kam. Aber man ließ eine Ausnahme zu: Es sei erlaubt, wenn der polnische Empfänger die Sendung bezahle. Und kleinlaut wandte sich Bertram tatsächlich an Bischof Kaczmarek mit der Frage, ob er die Bücher bezahlen könne, was der natürlich nicht konnte. Damit war das Hilfsprojekt gestorben.
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Der „Requiemszettel“ ist kein Beleg für Bertrams Staatstreue gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland, sondern ein Hinweis, dass Bertram mit den Hitler-Attentätern um Stauffenberg 1944 in Verbindung stand. Der rote Strich: Als besonderes Beispiel der Staatstreue von Bertram gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland galt eine Anweisung, dem verstorbenen Führer Adolf Hitler ein Requiem zu feiern. Doch die Historiker, die diese These verbreiteten, hatten den „Requiemszettel“ nie in der Hand gehabt und damit nicht gesehen, dass er durch einen roten Strich ungültig gemacht worden war. Auch wurde der Zettel falsch in den Mai 1945 datiert, dabei muss er aus dem Jahre 1944 stammen. Und so wird dieser „Requiemszettel“ zum Beleg, dass die Hitler-Attentäter um Claus Schenk Graf von Stauffenberg vom 20. Juli 1944 mit ihm in Verbindung gestanden haben. Selbst das Internet-Nachschlagewerk Wikipedia hat seine Darstellung inzwischen geändert und beruft sich nun auf den Tag des Herrn-Artikel vom 18. Juli 2019, in dem Winfried Töpler den Sachverhalt dargestellt hat. (tdh)