Görlitzer Bistumsarchivar ist Geschichtsirrtum auf der Spur

Der rote Strich durch die Notiz

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Eine Sensation? Bistumsarchivar Winfried Töpler ist einem Geschichtsirrtum auf die Spur gekommen. Kardinal Adolf Bertram und das Attentat vom 20. Juli 1944 müssen demnach in einem anderen Licht gesehen werden.

Notiz von Kardinal Bertram. | Foto: Winfried Töpler

Kardinal Adolf Bertram, Erzbischof von Breslau, war der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz und als solcher der „oberste Katholik“ in Deutschland. Er war dies in Deutschlands dunkelster Zeit, in der Zeit des Nationalsozialismus. Viele, vor allem im Nachhinein, hätten sich von ihm einen deutlicheren Widerstand gegen diese menschenverachtende Ideologie gewünscht.
Bertram war ein schüchterner Mann. Aufgrund eines Sprachfehlers predigte er nur selten und in seinem Büroalltag mied er sogar das Telefon. Wer ihn auf Fotos sieht, nicht im festlichen Ornat bei Kirchweihen oder Firmungen, sondern schlicht im Talar, der sieht ein kleines, unscheinbares Männchen. Von ihm möchte man Widerstand erwarten? Ein solcher Mann kann Meilensteine im geistigen und geistlichen Leben setzen. Stellt ihm aber jemand einen großen Stein in den Weg, weicht er zurück und sucht still einen anderen Weg. Offener Widerstand ist keine Kategorie in seinem Leben. Bertram war ein durch und durch rechtlich denkender Mensch – und Hitler war auf legalem Wege an die Macht gekommen. Er war legales Staatsoberhaupt. Die viel kritisierten Glückwunschschreiben Bertrams an Hitler nutzte Bertram, um missliebige Themen anzusprechen.
 

Man war verärgert über diesen Querulanten
Natürlich änderten die Nazis dadurch nicht ihre Ansichten und Untaten, aber die Antworten zeigten, dass man verärgert war über diesen Querulanten. Und wer Schriftwechsel mit Behörden über missliebige Themen führen muss, wird erkennen, wie sie ticken. „Sie haben kein Recht, uns über diese Sache zu schreiben!“ Behörden, Beamte und Politiker setzen auf ihre politische Macht. Es braucht Zeit, viel Zeit, oder politische Macht, um Mächtige zu einer Änderung ihrer Politik zu bewegen. Hitler aber liebte Gewalt und Macht. Ein solcher Mensch konnte nur durch Gewalt bezwungen werden. Bertrams Eingabenpolitik war dagegen zum Scheitern verurteilt. Nicht, weil sie zu ungenügend oder zu zaghaft war, sondern weil sachliche Argumente nichts gegen physische Gewalt ausrichten können.
Kronzeuge derer, die Bertram eine zu große „Staatsloyalität“ nachsagen, ist ein kleiner Zettel, dessen Kopie Historiker 1980 in die Hände bekamen. Hierin weist Bertram die Pfarreien an, für Hitler ein Requiem, eine Totenmesse zu halten. Ohne die Entstehungszusammenhänge zu prüfen, haben diese Meldung die Historiker veröffentlicht und behauptet, dass Bertram diese Anweisung an die Pfarreien herausgegeben hat. Doch das gesamte „bürokratische Umfeld“ fehlt, zum Beispiel Angaben, wie, wo und wann diese Anweisung zu veröffentlichen sei. Und wer diesen Zettel im Original in die Hände bekommt, sieht sofort, dass das ein reines Gedankenspiel war, das den Schreibtisch des Autors nie verlassen hat. Mehr noch, wer das Umfeld dieses Zettels prüft, muss erkennen, dass er nicht vom Frühjahr 1945 stammen kann. Dieser Zettel stammt aus den Akten des Kardinals, aus dem „Nachlass“ seiner Bürotätigkeit in Breslau. Doch am 22. Januar 1945 verließ der Kardinal Breslau und verbrachte die letzten Monate seines Lebens auf der Residenz der Breslauer Bischöfe, auf Schloss Johannesberg im tschechischen Teil des Bistums. Die Schriftstücke des Kardinals im Breslauer Archiv enden mit dem 21. Januar 1945. Wenn jemand behauptet, dieser Requiemszettel gehört zum Tode Hitlers, muss beweisen, dass jemand genau diesen Zettel, und nur diesen Zettel, aus dem Johannesberger Akten herausgeholt, ihn über die nunmehr wieder zur bewachten Staatsgrenze in das völlig zerstörte Breslau, sich durch die Ruinen gegraben und genau in diese Akte gelegt hat.
Richtig ist: Dieser Zettel stammt aus dem Breslauer Archiv ist vor dem 22. Januar 1945 geschrieben worden; er hat mit dem Tode Hitlers in Berlin am 30. April 1945 nichts zu tun.
Es stellt sich nun natürlich die Frage: Wann und aus welchem Anlass ist dieser Zettel denn dann entstanden? Es gibt nur ein Ereignis, bei dem Hitler je dem Tode wirklich nahe war: der 20. Juli 1944. An diesem Tag erfolgte das Attentat auf Hitler durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Oberst der deutschen Wehrmacht. Das Attentat war Kernpunkt eines Putschversuchs gegen Hitler durch den „Kreisauer Kreis“. Das war ein Kreis politischer und militärischer Größen im Nazireich, die der Regierung Hitlers und der Nazis ein Ende setzen wollten. Kreisau liegt in Schlesien, im Erzbistum Breslau, und Kardinal Bertram kannte etliche dieser Männer und hatte teilweise sogar engen Kontakt zu ihnen. Dass er von den Attentats- plänen wusste oder gar eingeweiht war, darf bezweifelt werden. Er hätte ein Attentat grundsätzlich abgelehnt.
Ein Attentat ist Mord, auch wenn es sich um einen Tyrannenmord handeln sollte. Aber: Der Kardinal muss unmittelbar nach dem Attentat von jemandem aus dem engsten Kreise informiert worden sein. Das Attentat geschah um 12.42 Uhr, und die Behörden hatten eine Nachrichtensperre verhängt. Erst um 18.28 Uhr gab eine Radiomeldung bekannt, dass es ein Attentat gegeben habe, das aber gescheitert sei, und dass der Führer das Attentat überlebt habe. Nur in diesen sechs Stunden kann der Zettel mit der Anweisung entstanden sein, und wurde, nach der Bekanntgabe des Überlebens Hitlers, mit einem dicken roten Strich ungültig gemacht.
 
Nachrichten vorschnell veröffentlicht
Dieser Requiemszettel steht zunächst für die Blamage von Historikern, die vorschnell und ohne Quellenprüfung Nachrichten sensationsgeil veröffentlicht haben. Er steht für die Forderung nach genauer Quellenanalyse bei historischen Forschungen, statt auf Kopien (auf einigen ist der rote Strich nicht erkennbar) und Internet zu vertrauen. Historisch steht dieser Zettel dafür, dass Kardinal Bertram hier einem Attentatsopfer gedenken wollte. Die knappe Formulierung lässt fast eine Erleichterung herauslesen. Der Zettel steht aber auch dafür, dass die Männer des 20. Juli 1944 Rückhalt beim ranghöchsten katholischen Bischof Deutschlands gesucht hatten.
 
Von Winfried Töpler