Wie geht es Obdachlosen in der Corona-Krise?
Die Angst bleibt immer ...
„Bleiben Sie zu Hause“ – eine wichtige Aufforderung in den Tagen der Corona-Pandemie. Was aber machen Menschen, die dieses Zuhause nicht haben? Menschen ohne Obdach. Die Caritas hält ihre Hilfen weiter bereit.
17 Uhr, Platz an der Basilika im Zentrum von Hannover. Beim Tagestreffpunkt für Obdachlose des Caritasverbandes sind Essenscontainer angekommen. Frisch gekocht im Congress Centrum, ausgeliefert auf Veranlassung der Stadt Hannover, die dafür insgesamt 80 000 Euro bereitgestellt hat. Die Caritas ist eine von sechs Ausgabestellen.
Ruhig, ja diszipliniert geht es zu. Mindestabstände werden eingehalten, die Helfer der Caritas sind durch Masken geschützt. „Unsere Leute wissen, dass das hier ganz schnell vorbei sein kann, wenn man sich nicht an die Auflagen hält“, sagt Ramona Pold, Sozialarbeiterin im Obdachlosentreff. „Unsere Leute“ – das sind die Obdachlosen oder auch die Suchtkranken, die sich gerade einfinden.
Wie Norbert. Das ist natürlich nicht sein richtiger Name. Und Foto bitte nur von hinten. „Alles paletti hier“, sagt er. An anderen Ausgabestellen sei die Stimmung schon schlechter – „da grummelt das schon“. Denn bei vielen anderen Obdachlosen bleibt immer die Angst: „Was passiert, wenn sich einer von uns ansteckt? Kommen wir dann alle in Quarantäne? Und wo?“ Mittlerweile haben Stadt und Region Hannover zwei Hotels angemietet, um im Fall der Fälle infizierte Flüchtlinge und Obdachlose unterzubringen.
Obdachlosigkeit und Suchtprobleme
Ramona Pold kennt diese Ängste – und sie sind nicht unbegründet. Sie verweist auf eine Infektion in einer Hamburger Obdachlosenunterkunft. 300 Menschen durften sie 14 Tage nicht verlassen: „Das hört sich zwar nach einem Dach über dem Kopf an, hat aber fatale Folgen“, erläutert Pold. Denn viele Obdachlose haben ein Suchtproblem – Alkohol, Drogen, Tabletten: „Kommen Sie nicht an ihre Dosis – und wir reden hier von bis zu drei Flaschen Wodka am Tag – kann die Situation schnell eskalieren.“ Das ist in Hamburg passiert und die Polizei musste eingreifen.
Die Suchtprobleme, aber auch die fehlende Hygiene machen es nötig, dass die Straßenambulanz immer vor Ort ist. Kleine Schnittwunden werden auf der Straße schnell zum Problem: „Wir haben auch Besucher gehabt, die ins Delirium gefallen sind.“
Hinzu kommt: Die Straßen sind leer und Obdachlose werden eher von ihren Plätzen vertrieben. „Es finden keine Partys statt – und so gibt es auch keine Pfandflaschen aufzusammeln.“ Für Obdachlose, die auf die so gesammelten Euros angewiesen sind – und sei es, um die Sucht zu befriedigen – ist das schlicht eine Katastrophe.
Abends die warme Mahlzeit, tagsüber Brötchen, Kaffee und einen Platz zum Aufwärmen, eine Dusche – die leiblichen Angebote im Treffpunkt. In Zeiten der Corona-Pandemie unter verschärften Auflagen: „In jeder Schicht ist ein Ehrenamtlicher nur für die Desinfektion der Dusche zuständig.“ Die Sitzplätze im Treffpunkt, aber auch in den im Garten zusätzlich aufgestellten Zelten sind markiert, um den Mindestabstand einzuhalten. Auch hier wird nach jedem Wechsel desinfiziert. Ansonsten: Informationen und Beratung, auch mehrsprachig, sind genauso wichtig wie etwas Warmes.
Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist gut, etwa 30 Ehrenamtliche engagieren sich. „Tolle Sache“, sagt Pold. Was aber fehlt, sind Schlafsäcke und Isomatten. Denn viele Obdachlose übernachten, obwohl es wieder kalt wird, lieber draußen – aus Angst vor Ansteckung in der Unterbringung. Aber auch wildes Campen birgt ein großes Risiko.
Die Landesarmutskonferenz Niedersachsen und der neu gegründete Verein „StiDU – Stimme der Ungehörten“ rufen das Land dazu auf, in den jetzt akuten Notfällen zu reagieren: „Kommunale Liegenschaften wie Jugendherbergen und nicht genutzte Flüchtlingsunterkünfte, aber auch kirchliche und schulische Einrichtungen müssen ab sofort für wohnungslose und obdachlose Menschen geöffnet werden“, fordert StiDU-Vorsitzender Reinhold Fahlbusch.
Kontakt Tagestreff: Telefon 0511/ 126 00 10 44 oder E-Mail: sfw@caritas-hannover.de
Rüdiger Wala