Distanz statt Präsenz
Die Grenzen des Bildschirms
In Coronazeiten ist Schule ganz anders: Distanz statt Präsenz. Lehrer vermissen Schüler, Schüler die Schule. Was die Pandemie für die Schulseelsorge bedeutet, wissen Schulpfarrer Sebastian Bieber (Fulda) und Schulseelsorgerin Andrea Koucky (Fritzlar). Sie erzählen von einem herausfordernden Alltag.
„Größer als früher ist die Wertschätzung, in die Schule gehen zu können“, beobachtet Andrea Koucky, Pastoralreferentin und Leiterin der Schulpastoral an der Fritzlarer Ursulinenschule. Dies zeige sich etwa im Verhalten von Mädchen und Jungen, die zum Präsenzunterricht in der Schule sein können. Zusammen sein zu können, werde nicht einfach als selbstverständlich genommen.
Schülerinnen und Schüler im Distanzunterricht äußern immer wieder, wie sehr sie sich wünschen, endlich mal wieder in der Schule sein zu können. Denn: „Manche haben seit Weihnachten keine Schule mehr von innen gesehen“, erklärt die Seelsorgerin. Da werde deutlich, dass Schule mehr ist als ein Ort der Wissensvermittlung. „Schule hat etwas mit Gemeinschaft zu tun, in der man das Leben und Freude teilt oder auch mal Konflikte gemeinsam lösen muss.“
„Familie“ an erster Stelle in der Wort-Wolke
Die zurückliegenden Monate wurden von Schülerinnen und Schülern als Zeit des Verzichtens erfahren. „Deshalb haben wir in der Fastenzeit die Betonung nicht auf Verzicht gelegt“, sagt Koucky. Das Schulpastoralteam hatte angeregt, „im Kleinen besondere Glücksmomente zu entdecken“. Die Kinder und Jugendlichen fassten das in einem Wort zusammen. Aus diesen Wörtern entstand eine „Wort-Wolke“. Oft genannt wurden dort: „Familienzeit“, „Haustiere“ und „echte Freunde“. „Das wird offensichtlich mehr geschätzt“, so Koucky.
Statt der Gottesdienste mit mehreren hundert Schülern entwickelten die Seelsorger in den zurückliegenden Monaten Andachten für die Klassenzimmer. „Das war erst einmal ungewohnt. Aber in dem kleinen Kreis wurden auch persönliche Gedanken geäußert – vor allem in den Klassen, in denen ein gutes Klima und Miteinander herrscht.“ Da sei bei Fürbitten dafür gebetet worden, dass in der Familie alle gesund bleiben mögen, vor allem Opa und Oma. Koucky: „Da kamen auch verschiedene Sorgen zum Ausdruck, die die Schülerinnen und Schüler zurzeit umtreiben.“
Ein Ort für den Austausch ist auch der Religionsunterricht. Er findet coronabedingt konfessionsübergreifend statt – also im Klassenverband. Der Grund: Es sollen Kontakte vermieden werden, die durch die Mischung der Klassen entstehen würden.
Die Schulseelsorger beziehungsweise die anderen Lehrerinnen und Lehrer versuchen, auch die Jugendlichen nicht aus dem Blick zu verlieren, die im Distanzunterricht sind. Denn über Videokonferenzen gebe es zumindest online Kontakt – trotz aller Beschränkungen. Außerdem können sich Schülerinnen und Schüler, die „jemanden zum Reden brauchen“ per E-Mail an die Schulseelsorger beziehungsweise an Mitglieder des Beratungsteams der Schule wenden. Die Mailschreiber sollen dann – so das Versprechen – innerhalb von 24 Stunden zurückgerufen werden.
„Die Lehrer vermissen ihre Schüler.“ Das beobachtet Schulpfarrer Sebastian Bieber. Er ist Seelsorger und Religionslehrer an der Marienschule und am Marianum, zwei kirchlichen Schulen in Fulda. Er verweist auf den digitalen Unterricht – etwa via Zoom. „Da sehen wir die Schüler am Bildschirm, wir erleben sie aber nicht mehr“, zitiert der Priester die Äußerung eines Lehrers, die beispielhaft für viele andere stehe. Wissensvermittlung sei zwar digital möglich, aber Pädagogik ist für Bieber mehr: Es ist das Vermitteln von Kultur, alltäglichem Verhalten und vielem mehr.
Für Bieber ist es wichtig, Seelsorge als Bestandteil des Schulalltags zu praktizieren. So hält er in der Marienschule vier Werktagsmessen für die Klassen der Mädchen. Oder er bietet Anbetung an in den großen Pausen. Aber solche Angebote sind coronabedingt derzeit kaum möglich.
Ausprobieren, was in dieser Zeit geht
„Lieber mal nicht“ – diese drei Worte stoppen derzeit vieles. Der Seelsorger beobachtet, dass Schüler – aber auch Lehrer – psychisch unter der coronabedingten Vereinzelung leiden. „Das zieht nach unten. Und macht es schwer, wieder raus zu kommen.“ Es sei wichtig, Neues auszuprobieren, zu experimentieren, was möglich ist. Als Beispiel nennt er Schulgottesdienste, die nach draußen verlegt werden – auf den Sportplatz oder den Schulhof. „Wir haben zudem zehn Gottesdienste statt einem gefeiert“, erzählt Bieber. Der Mathe-LK habe ausgerechnet, welche Fläche benötigt wird, um die vorgegebenen Abstandsregeln einzuhalten.
Von Hans-Joachim Stoehr