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Die Leerstellen in der Biografie Jesu
Jesus hat schon als Kind Spielzeuge zum Leben erweckt, ist als junger Mann in Indien gewesen, hat ein Liebesverhältnis mit Maria Magdalena gehabt und ist schließlich in der Unterwelt unterwegs gewesen. Diese Informationen wird man in der Bibel vergeblich suchen. Sie lassen sich nur in den sogenannten apokryphen Evangelien finden, die sich auf Jakobus, Petrus, Thomas oder Nikodemus berufen. Solche apokryphen (das heißt: verborgenen) Schriften gab es viele in der Antike. Sie beriefen sich auf Gestalten von Rang und Namen, die diesen Schriften Autorität verleihen sollten. Sie wurden in verschiedenen Gemeinden in der damaligen antiken Welt gelesen und genutzt.
Für das Neue Testament formte sich erst zwischen 200 und 365 nach Christus ein Kanon von biblischen Schriften, der für alle christlichen Gemeinden gelten sollte. Bei den Evangelien waren dies recht bald die vier auch heute noch biblischen Evangelien: weil sie älter als die meisten anderen Evangelien waren und in ihren Aussagen verlässlicher und weniger interessengeleitet erschienen.
Die jüngeren, apokryphen Evangelien haben oft den unübersehbaren Zweck, Leerstellen in der Jesusgeschichte auszufüllen, indem sie von der Kindheit Jesu oder von der Zeit nach der Auferstehung erzählen oder davon berichten, wie Marias Jugend und ihre Ehe mit Josef so war. Manchmal wollen sie auch Jesu Menschlichkeit zugunsten seiner Göttlichkeit aufgeben und somit den Glauben der damaligen Zeit beeinflussen und andere Akzente setzen.
Für die bis heute geltenden Glaubenswahrheiten haben diese apokryphen Evangelien daher nur geringe Bedeutung. Nur wenig ist geblieben: „Hinabgestiegen in das Reich des Todes“ aus dem Glaubensbekenntnis beruft sich zum Beispiel auf das in der Antike sehr populäre Evangelium des Nikodemus.
Viel größere Bedeutung aber haben diese apokryphen Evangelien für die bildende Kunst und das Geschichtenerzählen. Von Krippendarstellungen über die Bilderzyklen des Marienlebens bis hin zum Thriller „Sakrileg“ haben die Jesusgeschichten die Bildwelt der Menschen weltweit bereichert.