Schwerpunkt: Kirche und Künstliche Intelligenz

„Die Maschine wird niemals den Menschen ersetzen“

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KI-Jesus, Beichtstuhl
Nachweis

Foto: Peter Diem, Lukasgesellschaft

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Spannende Frage:  Ist es denkbar, dass in der Zukunft ein KI-Jesus die Beichte abnimmt?

Zwei Monate konnten Besucherinnen und Besucher in der Peterskapelle in Luzern mit einem Jesus sprechen, der durch Künstliche Intelligenz (KI) erzeugt worden war. Marco Schmid, Theologe und Kurator des Kunstprojekts, berichtet, wie die Leute reagiert haben – und welche Chancen und Grenzen der KI-Jesus hat. Ein Interview von Jasmin Lobert.


Ist es nicht anmaßend, Jesus von einer Künstlichen Intelligenz imitieren zu lassen?

Für mich ist KI ein Medium der heutigen Zeit, wie der Buchdruck ein Medium des 15. Jahrhunderts war. Als man damals damit begann, die Bibel in verschiedenen Landessprachen zu drucken, hieß es auch, das sei doch gefährlich.

Was war das Ziel Ihres Projekts?

Uns war ganz wichtig, dass es ein experimentelles Kunstprojekt ist und kein Pastoralprojekt. Uns ging es nicht um Verkündigung, sondern um Fragen wie:  Welche Bedeutung hat KI in Kirche und Religion? Können sich die Menschen auf eine KI einlassen? Gehen sie ernsthaft in einen Dialog mit ihr? Es war einfach ein Experiment, und es war klar, dass das Projekt zeitlich beschränkt ist.

Wo haben Sie den KI-Jesus in der Kirche platziert?

Im Beichtstuhl. Das hatte pragmatische Gründe. Unsere Peterskapelle ist klein und wir wollten damit nicht die Leute stören, die zum Beten kamen. Der Beichtstuhl war zudem der einzige Raum, wo wir die Technik gut aufbauen und auch abschließen konnten. Und für die Besuchenden konnte so auch eine Intimität hergestellt werden, was im Kapellenraum nicht möglich gewesen wäre. Es ging also nicht um eine Beichte oder Beichtsimulation, wie uns manche Medienberichte vorgeworfen haben.

Wie kann ich mir ein Gespräch mit dem KI-Jesus vorstellen?

Man musste die Tür schließen, damit der Sensor dem Computer das Signal gab, es ist jemand da. Daraufhin ist der KI-Jesus auf dem Monitor erschienen und hat eine Datenschutzerklärung abgegeben und erklärt, dass man keine persönlichen Daten angeben soll, weil die Informationen wegen ChatGPT nach Amerika gehen und wir keinen Datenschutz garantieren können. Dazu mussten die Leute per Knopfdruck ihre Einwilligung geben. Dann konnten sie mit einem Satz das Gespräch beginnen. Der KI-Jesus wusste ja sonst nicht, in welcher Sprache er sprechen soll.

Marco Schmid
Marco Schmid. Foto: Andreas Rosar, Peterskapelle

In welcher Sprache?

Der KI-Jesus kann über 100 Sprachen. Luzern ist eine Touristenstadt, zu uns kommen Leute aus der ganzen Welt. Von den 900 Gesprächen waren ein Drittel nicht auf Deutsch – viele auf Englisch, manche auch auf Französisch, Spanisch, Chinesisch, Vietnamesisch und Polnisch.

Und wenn der KI-Jesus die Sprache erkannt hat, ging’s los?

Es gab ein kleines Licht, das signalisiert hat, wann man sprechen darf. Grün bedeutete Sprechen; rot hieß, der Computer sprach oder entwickelte gerade die Antwort. Wir hatten das System so programmiert, dass man dem KI-Jesus maximal acht Fragen stellen konnte, weil wir nicht wollten, dass die Leute stundenlang da drin sitzen bleiben. Zum Abschluss hat der KI-Jesus das Gespräch zusammengefasst und in ein Gebet verpackt.

Wie war der KI-Jesus so?

Ich würde sagen, er war emphatisch und diplomatisch. Man konnte ihn keiner Konfession zuordnen. Er war auf jeden Fall jesuanisch-biblisch, und er hat ganz viel Paulus zitiert.

Haben Sie ein Beispiel, was er konkret gesagt hat?

Eine Frage war: „Wie kann ich aus christlicher Sicht einen alten, kranken Mann unterstützen, der sich für Sterbehilfe entschieden hat?“ Und seine Antwort: „Vielleicht könntest du deinem geliebten Menschen folgende Frage stellen: Was bedeutet dir dein Glauben in dieser schwierigen Zeit? Gibt es noch etwas in deinem Leben, das dir Frieden oder Freude bringen könnte? Wie kann ich dich unterstützen und trösten? Deine Aufgabe ist es nicht zu urteilen, sondern liebevoll zu begleiten.“

Wie haben die Menschen die Gespräche empfunden?

Viele sagten, dass sie sich in ihrer Weltanschauung sehr respektiert fühlten. Das zeigt, dass die KI sehr respektvoll war und nicht als übergriffig empfunden wurde. Etwa 60 Prozent fanden das Gespräch spirituell anregend, lustigerweise auch viele Atheisten und Muslime. Was für mich die spannende Frage aufwirft: Könnte man die KI im interreligiösen und interkulturellen Dialog als Übersetzer nutzen – und auch darüber hinaus?

Mensch im Beichtstuhl
Tiefgehende Fragen: Die Besucher fragten den KI-Jesus etwa, wie man ältere Menschen mit einem Suizidwunsch helfen kann. Foto: Peter Diem, Lukasgesellschaft

Wo noch?

Zum Beispiel hat mir eine autistische Person zurückgemeldet, dass das Gespräch mit der KI für sie ein gutes Erlebnis war. Wenn ein Mensch ihr Gegenüber ist, hat sie große Mühe, ihn zu verstehen. Die Informationen sind ihr zu komplex, um alles wahrnehmen zu können. Mit der Maschine konnte diese autistische Person einfacher in Kontakt treten. Vielleicht lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob KI für Menschen mit besonderen Bedürfnissen ein Instrument sein könnte, um religiöse Inhalte zu vermitteln.

Über welche Themen sind die Menschen mit dem KI-Jesus ins Gespräch gekommen?

Thema Nummer eins war die Kirche: Jesus, was sagst du zu deiner Kirche? Was sagst du zum Frauenpriestertum oder zum Missbrauchsskandal? Aber die Menschen haben auch persönliche, existenzielle Fragen gestellt: Komme ich in den Himmel? Wie kann ich Gott erfahren? Existiert Gott? Oft ging es auch um Krieg und Frieden, um die Weltlage, um Einsamkeit, um Krankheit. Das zeigt, dass fast alle mit Ernsthaftigkeit in diese Gespräche hineingegangen sind.

Wie konnten Sie sicherstellen, dass der KI-Jesus keinen Unfug erzählt?

Wir haben ihm Vorgaben gemacht. Er sollte immer wieder Rückfragen stellen, also in den Dialog gehen. Er sollte nicht als allwissend auftreten. Und er sollte sich vor allem auf das Neue Testament beziehen und eine empathische Haltung einnehmen.

Und das hat funktioniert?

Bevor wir mit dem KI-Jesus an die Öffentlichkeit gegangen sind, haben wir eine Vorstudie gemacht und bewusst religiöse Menschen eingeladen, um zu schauen, ob dieser Jesus schräg rüberkommt, wie er auf starke Religiosität reagiert und ob er angemessene Positionen vertritt. Und davor haben wir ihn natürlich auch selber ständig getestet.

Wenn eine KI die Antwort auf eine Frage nicht kennt, dann fängt sie an zu halluzinieren – sie denkt sich also einfach etwas aus. Hat der KI-Jesus auch halluziniert?

Ich kann es nicht ganz ausschließen. Aber mein Büro ist in der Sakristei und keine 15 Meter von der Kunstinstallation entfernt und ich war sehr oft im Kirchenraum präsent. Wenn irgendetwas Gravierendes gewesen wäre, hätte ich das mitbekommen.

Was kann die KI besser als ein menschlicher Seelsorger?

Sie kann 100 Sprachen. Das kann kein Mensch. Und ihr Wissenshorizont ist breiter.

Aber ist das menschliche Gegenüber nicht unverzichtbar in der Seelsorge?

Der Kontakt von Mensch zu Mensch wird bleiben müssen, ganz klar. Die Maschine wird niemals den Menschen ersetzen. Denn der Mensch kann religiös sein, eine KI nicht. Sie ist nur ein Medium, das religiöse Inhalte vermitteln kann. Aber es kann sicher nicht schaden, die Netze in die digitale Welt auszuwerfen.

// Interview: Jasmin Lobert

Wenn Sie mehr zu dem Experiment wissen möchten, empfehlen wir ein Interview der Innehalten-Redaktion in München. Korbinian Bauer hat dem KI-Jesus aus Luzern spannende Fragen zum Thema Religion und Glaube gestellt. Hier geht es zum Text. 
 

Vatikan blickt sorgenvoll auf KI

Die katholische Kirche hat Leitlinien für die ethische Beurteilung und den Umgang mit Künstlicher Intelligenz veröffentlicht. Ausdrücklich betont der Vatikan in der Note „Antiqua et nova“, dass die Kirche den Fortschritt in Wissenschaft und Technik begrüßt. Dies gelte auch für die KI, die „in manchen Gebieten menschliche Fähigkeiten sogar übertreffen“ könne. Zugleich betont der Vatikan: „Da die KI bestimmte Entscheidungen selbstständig trifft, wobei sie sich an neue Situationen anpasst und von ihren Programmierern nicht vorhergesehene Lösungen bietet, ergeben sich erhebliche Probleme der ethischen Verantwortung und Sicherheit, die sich auf die gesamte Gesellschaft auswirken.“

Das Prinzip der menschlichen Verantwortung wird in dem Dokument unterstrichen. Ein Mensch, der KI nutze, um Entscheidungen zu treffen, bleibe in jeder Phase der Entscheidung letztverantwortlich. Wegen der enormen Lernfähigkeit von KI sei es wichtig, darauf zu achten, dass sie immer dem Allgemeinwohl diene. Dass KI derzeit von wenigen Unternehmen beherrscht und kontrolliert werde, sei Anlass zu erheblichen Sorgen, zumal KI die Manipulation der Gewissen und die Beeinflussung demokratischer Prozesse erleichtere. (kna)

 

"Wir stehen noch ganz am Anfang"

Die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz schreitet weltweit rasant voran. Die Theologin und Ethikerin Anna Puzio erklärt, in welchen Bereichen der Einsatz von KI hilfreich wäre – und warum es so wichtig ist, dass sich die Kirchen nicht der Technologie verschließt.

Die Begeisterung für Nao hat Anna Puzio überrascht. Im vergangenen Jahr hat die Theologin den Roboter zum Katholikentag in Erfurt mitgenommen. Dort bot sie Workshops an zur Frage, wie Roboter und Künstliche Intelligenz (KI) in der Kirche eingesetzt werden könnten. „Der Raum war überfüllt“, sagt Puzio, die an der Universität Twente in den Niederlanden zu Technik und Ethik forscht.

Anna Puzio
Technikaffine Theologin: Anna Puzio. Foto: privat

Nao ist ein humanoider Roboter, ungefähr einen halben Meter groß. Er kann sich bewegen und sprechen. Er kann tanzen und reagiert auf Fragen oder Bitten. Und er kann religiöse Gespräche führen oder ein Gebet sprechen. Puzio diskutierte mit den Teilnehmenden, was ein Roboter in einer Gemeinde konkret tun könnte. „Mein Publikum war sehr aufgeschlossen. Ich hätte mit mehr Kritik gerechnet“, sagt sie. So konnten sich die Teilnehmenden durchaus vorstellen, einen Roboter zur Begleitung von religiösen Praktiken einzusetzen: Er könnte zum Beispiel auf Wunsch Kirchenlieder vorsingen oder ein Gebet mitsprechen. 

Noch ist ein flächendeckender Einsatz von KI in Kirchengemeinden nicht in Sicht. „Wir stehen noch ganz am Anfang“, sagt Puzio. Bisher gebe es nur in der ein oder anderen Gemeinde einen technikbegeisterten Pfarrer, der mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz, wie ChatGPT, seine Predigt schreibt. Oder eine Organistin, die sich Lieder für einen Gottesdienst zusammenstellen lässt. 

Die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz schreitet weltweit aber rasant voran. Es ist ein riesiger Markt, in den die großen Tech-Unternehmen massiv investieren. „Roboter und Künstliche Intelligenz sind Themen, die gerade sehr gehypt werden. Die Forschung für den religiösen Bereich hat gerade erst begonnen“, sagt Puzio. 

Etwa mit dem KI-Jesus – einem Experiment, das im vergangenen Jahr in einer Kapelle in Luzern installiert wurde. Menschen konnten dem Jesus-Avatar Fragen rund um Glauben und Religion stellen. Ein anderes Beispiel ist Father Justin aus den USA: ein als Priester dargestellter Chatbot beantwortete auf einer Homepage Fragen zur Kirche. Doch nicht allen Nutzerinnen und Nutzern war klar, dass da kein echter Mensch spricht, sondern eine KI die Antworten gibt. Solche Modelle würden die Menschen positiv und spielerisch an neue Technologien heranführen, lobt Puzio. Sie sagt aber auch: „Keine der Technologien ist hinreichend entwickelt. Es sind wirklich nur Experimente und noch nicht dauerhaft für den Gebrauch in Kirchen geeignet.“ 

Nao, Roboter
Nao kann laufen, tanzen, sprechen und reagiert auf Fragen. Foto: Anna Puzio

Denn oft sind die Modelle mit biblischen Texten bestückt, die der Interpretation bedürfen oder mit theologischen Schriften gefüttert, die veraltet sind oder ein Thema nur einseitig beleuchten. Diese Texte dienen der KI dann als Grundlage für ihre Aussagen. Der KI-Jesus in Luzern antwortete auf die Frage nach der Rolle der Frau in der Kirche dann auch recht allgemein, dass Frauen ein wichtiger Teil der Gemeinschaft seien und mit ihren Gaben und Fähigkeiten viel beizutragen haben, gesteht ihnen aber nicht die gleiche Rollen und Fähigkeiten wie Männern zu. „Da werden neuere theologische Positionen nicht berücksichtigt. Solche Aussagen kann man heute Kirchenbesucherinnen und Kirchenbesuchern in Deutschland nicht präsentieren“, sagt Puzio.

Und dennoch wirbt Puzio dafür, dass sich Priester, Bischöfe und Gläubige mit der neuen Technologie auseinandersetzen. Denn sie entwickelt sich rasant – und könnte in Zukunft auch für die Kirche nützlich sein. „Bei der Organisation von Pfarrbüros könnte KI schon relativ schnell eine hilfreiche Rolle spielen“, sagt Puzio und denkt an die Verwaltung von Terminen, Daten, die Zuteilung von Räumen oder das Zusammenstellen von Material für die Katechese. 

Ist ein KI-Einsatzin der Seelsorge denkbar?

Doch könnte eine KI auch in der Seelsorge eingesetzt werden? Viele Gläubige mögen sich das nicht vorstellen – doch Puzio hält es für denkbar. Sofern die Technologie ausgereift ist und schon in anderen Bereichen wie der Psychotherapie erfolgreich eingesetzt worden ist. „Warum sollte eine gute KI nicht beim Trauergespräch unterstützen können?“, fragt sie. Denn schon jetzt können die Maschinen Sprache und begrenzt auch Gefühle erkennen und analysieren. Wenn sich die Technologie weiterentwickelt, wäre es denkbar, dass eine KI daraus Rückschlüsse zieht, gezielte Impulsfragen stellt und so dem Hinterbliebenen hilft, Stück für Stück in seinem Trauerprozess voranzukommen. 

Oft hört Puzio von Gläubigen, dass man den Priester nicht ersetzen dürfe. Dabei geht es ihr gar nicht um ein Entweder-Oder. „ Ich glaube nicht, dass die KI alles ersetzen wird oder soll. Ich möchte, dass die Menschen die KI als ein ergänzendes Angebot wahrnehmen“, sagt sie. Ein Roboter könnte beispielsweise einen Seelsorger bei Gesprächen in Pflegeheimen oder Krankenhäusern begleiten, ihm Texte zur Verfügung stellen oder Impulse einbringen.

In Japan sind religiöse Roboter im Shintoismus und Buddhismus schon häufiger im Einsatz. Sie werden bei religiösen Zeremonien, etwa bei Beerdigungen, eingesetzt, produzieren religiöse Texte, führen Gespräche über den Glauben. „Sie geben Führungen in Tempeln, spielen Musik oder beantworten religiöse Fragen“, sagt Puzio.

Bei aller Skepsis vor Künstlicher Intelligenz sieht die Forscherin die Kirchen in der Pflicht, sich mit dem Thema KI auseinanderzusetzen. Seit längerem beobachtet sie, dass Tech-Firmen sich für spirituelle Themen interessieren, etwa im Bereich von Tod und Trauerbewältigung. „Wenn die Unternehmen das Gefühl haben, dass KI-Technologien sich in diesem Bereich finanziell lohnen, werden sie stärker investieren“, sagt Puzio. Dann droht die Gefahr, dass die Kirchen den Anschluss an die neue Technologie verpassen. „Dann kann es sein, dass zukünftig eine KI in einem Trauercafé eingesetzt wird, die keine christliche Botschaft mehr abspielt“, sagt Puzio. 

Vorerst wünscht sich Puzio mehr und umfassende Studien. „Momentan wird vor allem unter Wissenschaftlerinnen und Experten diskutiert, was eine KI kann und wo sie hilfreich wäre. Oder über Fragen, ob ein Roboter eine Seele haben kann“, sagt die Theologin. Für viel wichtiger hält sie aber die Meinung der Menschen vor Ort: „Wir müssen schauen, wie die Menschen auf KI und Roboter reagieren. Erfahren sie das als bereichernd? Wenn nicht, dann sollten wir diese Technologien auch nicht nutzen“, sagt sie. „Aber erst einmal müssen wir es ausprobieren. Sonst können wir auch keine Rückschlüsse ziehen.“ 

Kerstin Ostendorf

Zur Person 

Anna Puzio studierte Katholische Theologie, Germanistik und Philosophie in Münster und München. Mittlerweile forscht sie an der Universität Twente unter anderem zu den Bereichen Technikanthropologie, Technikethik und Umweltethik.