Über die Beichte und den Beicht-O-Mat

"Die Menschen brauchen solche Gespräche"

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Beichtstuhl in einer Kirche in Deutschland
Nachweis

Foto: kna/Jörg Löffke

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 Ein Beichtstuhl in der katholischen Kirche Sankt Maria Magdalena in Bonn

Der Priester Peter Kossen erlebt, dass kaum noch Gläubige zur Beichte kommen. Die Künstlerin Jana Kreisl dagegen stößt mit ihrem Beicht-O-Mat auf reges Interesse. Was kann die katholische Kirche von ihr lernen, um ein altes Ritual neu zu beleben? Warum ist es wichtig, über das Schlechte im Leben zu reden? Wie kann die Beichte heute guttun?

Herr Kossen, wie wird bei Ihnen die Beichte angenommen?

Peter Kossen: Zu unserer Pfarrei gehören sieben Orte, und an einem Ort gibt es einmal im Monat eine feste Beichtzeit, am Samstag vor der Vorabendmesse. Da kommen meistens so drei, vier Leute. Wenn mal sieben, acht kommen, ist das viel. 

Warum ist die Beichte für so viele Katholiken unattraktiv geworden?

Kossen: Früher machte man das eben, es wurde eingefordert und kontrolliert – von der Gemeinde, den Priestern, den Familien. Dieser Zwang ist jetzt weg. Was das Thema außerdem für viele verdorben hat, war, wie früher die Sexualmoral über den Beichtstuhl durchgedrückt worden ist. Diese schlechten Erfahrungen wirken bis heute nach. 
Jana Kreisl: Darf ich da gleich mal einhaken? Ich finde das spannend, was Sie erzählen. Denn auf meiner Tour ist es mir ein paarmal passiert, dass Leute meinen Beicht-O-Mat gesehen und gesagt haben: „Beichten? Um Gottes Willen, ich hab nichts zu beichten.“ Gerade auch Katholiken. Ich hab dann gesagt: „Es ist bei mir nicht wie die klassische Beichte. Es geht hier auch nicht um Sünde. Sondern sie können mir einfach erzählen, was Ihnen gerade auf dem Herzen liegt.“ Dann sind die Menschen reingekommen. 

Und dann? Was ist in Ihrem Beicht-O-Mat passiert?

Kreisl: Wir haben uns reingesetzt. Der Beicht-O-Mat ist ähnlich aufgebaut wie ein Beichtstuhl: zwei Kammern, und dazwischen so ein leicht durchsichtiger Vorhang. Ich habe nur gesagt: „Erzählen Sie mir, was Sie loswerden wollen.“ Dann haben die Leute angefangen. Ich habe Verständnisfragen gestellt. Mir ein paar Notizen gemacht. Wenn sie fertig waren, habe ich „Danke“ gesagt. Und angefangen, ein Bild zu zeichnen – von der Person und ihrer Situation, wie ich sie verstanden habe. Das hat so ungefähr zehn Minuten gedauert. 

Der Beicht-O-Mat
Der Beicht-O-Mat, den die Künstlerin Jana Kreisl in 13 Städten aufgebaut hat. Foto: Jana Kreisl

Was haben Sie da so gezeichnet?

Kreisl: Zum Beispiel einen Mann, der meinte, er findet es schwierig, dass die Gesellschaft von ihm erwartet, stark zu sein, Eroberer zu sein. Weil er ja auch schwache Seiten hat. Oder eine Frau, die sehr jung Mutter geworden ist, die meinte, sie ist total glücklich über ihr Kind – aber gleichzeitig fragt sie sich manchmal, was aus ihrem Leben geworden wäre, wenn sie es nicht bekommen hätte. Das fertige Bild habe ich der Person dann durch einen Schlitz ausgehändigt, wie bei so einem Fotoautomaten. Das war’s.

Sie haben gesagt, im Beicht-O-Mat geht es nicht um Sünde. Worum dann?

Kreisl: Um den Menschen und die Frage: Was ist Dein Problem? Was ist für Dich schwierig? Ich hatte den Eindruck, dass es vielen Leuten hilft, von der Sünde wegzukommen. Viele haben von den Beichten berichtet, die sie als Kinder vor der Erstkommunion machen mussten. Sie haben damals überlegt: „Okay, was muss ich denn jetzt sagen? Was könnte passen, damit der Priester es absegnet als schlimm genug?“

Was haben Sie in Ihren Gesprächen gelernt?

Kreisl: Dass die Leute immer noch ein total starkes Bedürfnis haben, über Dinge zu reden, die nicht so gut sind. Sie haben nur das Vertrauen in die katholische Form verloren.

Warum gibt es dieses Bedürfnis?

Kreisl: Weil es viele Orte gibt, an denen wir über Erfolge berichten können: soziale Medien zum Beispiel. Aber wenige Orte, an denen wir über Trauer, Misserfolge, Neid, Missgunst und Wut sprechen können. Alle negativen Gefühle werden in unserer Gesellschaft dämonisiert. Ich glaube aber, das funktioniert nicht. 

Kossen: Ja, dieses Bedürfnis gibt es, absolut. Und über sich sprechen zu können, das tut gut. Dafür gibt es heute tatsächlich zu wenig Räume, auch in der Kirche.

Wie könnte man das ändern?

Kossen: Das Beichtgespräch sollte ein Gespräch sein, in dem jemand zuhört, aber nicht urteilt, in dem jemand Menschen begleitet und ihnen helfen will, aber ihnen keine Verhaltensmuster aufdrückt. Es dürfte bei den Gläubigen nicht mehr wie früher das Gefühl hinterlassen: Ich spreche hier über intimste Dinge, und dann sitzt da einer, der richtet über mich, und zwar im Namen Gottes. Nach dem Gespräch sollten die Menschen besser mit sich selbst zurechtkommen und sagen: So sind mein Leben und meine Gefühle, und so dürfen sie auch sein. Wenn die Kirche dafür stünde, hätte die Beichte eine höhere Plausibilität. 

Kreisl: Da frage ich jetzt mal ein bisschen provokant: Warum ist die Beichte in der Kirche nicht längst so? Warum verpasst die Kirche da so viele Chancen? Als ich mit meinem Beicht-O-Mat durch die Städte getourt bin, hatte ich ja keinerlei Institution im Hintergrund. Ich hatte nichts, was mich dazu befähigt, das zu machen, was ich da gemacht habe. Und trotzdem hat es total gut funktioniert. Es war nicht schwer, die Leute für mein Angebot zu gewinnen. Weil die Leute das einfach brauchen und wollen. 

Kossen: Das glaube ich auch: dass die Menschen solche Gespräche brauchen. Ich habe an Pfingsten gepredigt, dass Gemeinde idealerweise ein Ort wäre, wo Menschen sich nicht verstellen müssen und wo ihnen zugesprochen wird: Du kannst hier so sein, wie Du bist.  

Häufig wirken Gemeinden aber anders.

Pfarrer Peter Kossen
Peter Kossen (54) ist Leitender Pfarrer in Lengerich (Bistum Münster). Foto: privat

Kossen: Das stimmt leider. Gemeinden kommen häufig sehr elitär und bürgerlich rüber. Bitter finde ich: Leute, bei denen es offensichtliche Brüche im Leben gibt, haben den Eindruck, in der Gemeinde seien nur die heilen, perfekten Familien. Und sie, die Gescheiterten, hätten da keinen Platz. Wenn eine Gemeinde so wirkt, ist sie natürlich nicht der Ort, wo ich mich öffne und meine Fehler beichte. Weil ich den Eindruck habe, Fehler dürfen da gar nicht vorkommen. Wenn man die Bibel als Maßstab nimmt, müsste es genau umgekehrt sein. 

Inwiefern?

Kossen: Viele Menschen, mit denen Jesus damals angefangen ist, waren gebrochene, gescheiterte Gestalten. Vielleicht hat er sie ausgewählt, weil sie sich ansprechen ließen. Weil er bei ihnen ein Bedürfnis gesehen hat.

Kreisl: Und warum ist das heute nicht mehr so? Ich lebe in Berlin, da nehme ich von der Kirche niemanden wahr, der gebrochene Gestalten mit ihren Bedürfnissen sieht. Die Kirche wirkt auf mich wie ein sehr abgeschlossener Raum – und entweder man ist da drin oder nicht.

Kossen: Vielleicht auch, weil sie sich ein Stück eingerichtet hat – mit Privilegien wie der Kirchensteuer. Sie hat für viele Milieus keine richtigen Angebote.

Was könnte die Kirche vom Umgang Jesu mit den gebrochenen Gestalten lernen?

Kossen: Dass Menschen nach Hoffnung und Heilung suchen. Dass sie eine tiefe Sehnsucht haben, dass alles gut wird, trotz ihrer Probleme. Sie brauchen darauf keine fertigen Antworten, wie die Kirche sie früher gegeben hat. Sie brauchen individuelle Antworten, die zu ihrem Leben passen und für sie tragfähig sind. 

Kreisl: Mir ging es im Beicht-O-Mat eher um die Akzeptanz ihrer eigenen Geschichte und Gedanken. Von mir wollte interessanterweise fast nie jemand Vergebung. Und mit dem Begriff der Heilung tue ich mich auch schwer. Denn wenn wir von Heilung reden, bedeutet das im Umkehrschluss ja auch, dass wir alle krank sind. Und ich glaube nicht, dass wir krank sind. Ich glaube, wir sind Menschen, und wir haben alle Probleme, die wir mit uns rumtragen. 

Kossen: Ich habe Menschen im Beichtgespräch oft gesagt: „Es ist nicht Ihre Schuld. Sie empfinden das nur so.“ Zum Beispiel, wenn sie sich gequält haben, weil ein Angehöriger Suizid begangen hat – und sie vielleicht sogar noch kurz vor dem Suizid mit dem Verstorbenen Streit gehabt hatten. Dann habe ich gesagt: „Der Suizid ist nicht die Folge dieses Streits. Sicher nicht.“

Frau Kreisl, würden Sie sich wünschen, dass in der Kirche mehr darüber nachgedacht wird, wie Beichte Menschen heute guttun kann?

Jana Kreisl
Jana Kreisl (37) ist Illustratorin und lebt in Berlin. Foto: Foto: Andi Weiland

Kreisl: Auf jeden Fall, ja. Ich habe aber den Eindruck, dass die Kirche sich immer mehr verkriecht – aus Angst, dass ihr noch mehr Leute weglaufen. Dabei wäre es viel besser, sie würde rausgehen und offen fragen: Was bedeutet Beichte Euch Menschen heutzutage? Was braucht Ihr von ihr? 

Kossen: Ich glaube, es braucht auch eine Bewusstseinsveränderung, dass Vergebung, Verzeihung oder Zuhören auch eine Gemeinschaftsaufgabe ist. Wenn eine Gemeinde für Fehleroffenheit und Fehlertoleranz stünde, dann würden sich auch mehr Leute trauen zu beichten.

Wozu führt es, wenn die Beichte für viele Menschen nicht mehr attraktiv ist?

Kreisl: Ich bin ja selbst Atheistin, aber ich glaube, es ist gefährlich, wenn die Kirche mit Angeboten wie der Beichte immer mehr aus dem Leben der Leute verschwindet. Weil dann das Bedürfnis, das sie früher bedient hat, anderweitig aufgefangen wird – von unseriösen Esoterik-Anbietern und fragwürdigen Coaches, die ihnen falsche Versprechungen machen.

Kossen: Vielleicht ist das sogar eine Chance für die Kirche, dass sie sagen kann: Unser Beichtangebot ist objektiv, da gibt es keinen Haken und keine Kostenfalle und man verpflichtet sich nicht zu irgendwas. Und wir sind dem Beichtgeheimnis strengstens verpflichtet.

Früher wurde am Ende der Beichte ja immer eine Buße auferlegt. Machen Sie das immer noch?

Kossen: Früher war tatsächlich der Klassiker, dass Kinder drei „Gegrüßet seist du, Maria“ aufsagen sollen. Ich sage Leuten eher: „Überlegen Sie sich bitte, was Sie sich Gutes tun können – zum Beispiel ins Kino oder schön essen gehen mit Ihrem Partner. Überlegen Sie, was Ihnen hilft und was Ihr Selbstwertgefühl stark macht.“ Denn häufig haben die problematischen Verhaltensweisen der Menschen damit zu tun, dass sie denken: Ich genüge nicht – mir nicht und anderen nicht. 

Kreisl: Das klingt ja schon fast therapeutisch. In meinem Beicht-O-Mat habe ich bewusst gesagt, dass die Person gar nichts machen muss. Sie muss nichts aus der Situation lernen. Sie muss nicht mal bereuen. 

Grafik der Illustratorin Jana Kreisl
Nach ihren Gesprächen im Beicht-O-Mat hat Jana Kreisl Bilder gezeichnet – von der Person und ihrer Situation, wie sie sie verstanden hat. Hier ist ein Ergebnis davon. Illustration: Jana Kreisl

Warum war Ihnen das wichtig?

Kreisl: Ich finde, dass in unserer Gesellschaft viel zu oft gesagt wird, dass man aus schlechten Situationen was lernen muss – und dass man nie weiß, wofür es gut ist. Das finde ich furchtbar. Alles muss irgendwie positiv umgedeutet werden. Ich wollte diesen Druck komplett rausnehmen. Und ich hatte den Eindruck, dass das vielen Leuten hilft.

Herr Kossen, könnte es helfen, dass die Kirche mit Gesprächsangeboten an öffentlichere Orte geht – so wie Jana Kreisl mit dem Beicht-O-Mat?

Kossen: Ich bin ja schon lange in der Freiwilligen Feuerwehr. Nach Übungen trinken wir gern ein Glas Bier zusammen, und da sprechen mich oft einzelne Leute an. Man kann in einer Gruppe von 30 Leuten, die durcheinanderreden, bei einem ziemlich hohen Geräuschpegel, sehr persönlich reden, ohne dass irgendjemand zuhört. Ich finde es spannend, dass die Leute sich da trauen zu reden – weil sie eine Beziehung zu mir haben. Und Vertrauen.

Kreisl: Lustig, genauso ging’s mir auch: Die Leute haben einfach angefangen zu reden – oft schon, wenn ich einfach nur von meinem Projekt erzählt habe. Weil sie den Eindruck hatten, ich bin jemand, dem sie Dinge erzählen können. 

Herr Kossen, wie enden bei Ihnen die Beichtgespräche?

Kossen: Meistens mit der offiziellen Lossprechungsformel: „So spreche ich Dich los von Deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.“ Ich nehme auch das Bedürfnis wahr, dass es so endet.

Kreisl: Ich denke, das Ritualhafte daran ist ganz wichtig. Wenn Sie diesen Satz sagen, dann berührt mich das – obwohl ich Atheistin bin. Weil ich weiß: Seit Jahrhunderten wird dieser Satz am Ende gesagt, wenn jemand gebeichtet hat. Dieses Wissen hat eine große Kraft, denn es zeigt mir: Ich bin nicht allein.

Wie geht’s Ihnen beiden nach einem Beichtgespräch?

Kreisl: Ich hatte nie das Gefühl, dass die Geschichten der Menschen mich belasten. Aber ich hatte das Gefühl, wahnsinnig viel Energie gegeben zu haben. Nach einem Wochenende im Beicht-O-Mat konnte ich oft gar nichts mehr. Nicht mal mehr mit Freunden sprechen oder ihnen eine Nachricht schreiben. Manchmal lag ich einfach nur da, für einen Tag oder zwei. So ausgelaugt fühlte ich mich. Am Ende des Jahres hatte ich einen Burnout.

Kossen: Das kann ich gut verstehen. Manchmal spüre ich, wie die Abgründe mich erschrecken, die sich in Beichtgesprächen auftun. Zum Beispiel, wenn jemand aus dem Krieg erzählt. Sowas begleitet mich über Jahre. Mich kostet die Beichte sehr viel Kraft. Ich bin danach auch oft ausgelaugt. Was mir dann hilft, ist das Gebet. Und der Austausch mit Kollegen darüber, wie es mir gerade geht.

Jetzt haben wir viel über Ihre unterschiedlichen Beichtmodelle gesprochen. Könnten Sie sich vorstellen, zu dem oder der anderen zur Beichte zu gehen?

Kossen: Beichten gehe ich meistens in Münster, da gibt es im Dom oder im Kapuzinerkloster feste Zeiten. Von daher ist der Begriff Beichte für mich ziemlich besetzt. Aber ich könnte mir schon vorstellen, den Beicht-O-Mat auszuprobieren. Ich finde vor allem den Ansatz mit dem Bild spannend. Das ist ja wie ein Spiegel. Für mich wäre es eine Herausforderung, mich dem zu stellen. Aber interessant!

Kreisl: Ich würde keine Beichte, aber gern so eine Art Seelsorgegespräch bei Ihnen machen. Denn ich habe in unserem Interview hier den Eindruck gehabt: Bei Ihnen ist viel Weisheit, viel Erfahrung und irgendwie auch viel Ruhe. Das fühlt sich gut an.

Andreas Lesch