Nach der US-Wahl: Christen raten zur Versöhnung
Redet miteinander
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Am Tag nach der Wahl begann der Theologie-Professor Massimo Faggioli den Unterricht an der Universität Villanova in Pennsylvania auf ungewöhnliche Art. Er hatte seine Studentinnen und Studenten gebeten, Brote mitzubringen; jetzt teilten sie sie, aßen und redeten. Frauen und Männer, Katholikinnen und Nichtkatholiken, Republikanerinnen und Demokraten. Faggioli wollte mit dieser Aktion verdeutlichen, wie wertvoll Zusammenhalt ist – trotz alldem, was Menschen trennt. Er sagt: „Es ist wichtig, einen Sinn für brüderliche Politik wiederzuentdecken“, für das Gegenteil der Freund-Feind-Logik, die die USA vergiftet hat.
Faggiolis Aktion deutet an, was Christinnen und Christen in der Amtszeit von Donald Trump, dem notorischen Spalter an der Staatsspitze, tun könnten. Sie könnten versuchen, mit Andersdenkenden ins Gespräch zu kommen, Verständnis für sie zu entwickeln, Gegensätze zu versöhnen. Faggioli sagt, Katholiken sollten sich wehren „gegen die neuen und alten Viren, die den Körper der amerikanischen Demokratie angegriffen haben“. Beide Seiten haben ihren Anteil an der Spaltung der Gesellschaft, das sieht Faggioli wie viele Beobachter: Die Demokraten haben Themen wie Identität, Vielfalt und Inklusion oft ideologisch diskutiert – und losgelöst vom realen Leben der Menschen. Die Republikaner sind unter Trump zu einer Partei der Wut, der Lügen, der Rache geworden.
„Das ist die große Chance der Kirchen: das konkrete Zusammenleben zu pflegen.“
Was tun, um das Schlechte zum Besseren zu verändern? Nicht nur der Theologe Faggioli fragt sich das. Auch Donald Baker, katholischer Priester und Pfarrer in New York. Er sagt: „Eines der größten Probleme in unserem Land ist, dass wir nicht mehr miteinander sprechen. Wir haben nicht einmal das gleiche politische Vokabular.“ Begriffe wie Freiheit und Patriotismus würden von den einen so definiert und von den anderen ganz anders. Baker sagt: „Indem wir helfen, ein gemeinsames Vokabular zu etablieren, könnte vielleicht eine Art Brücke gebaut werden.“
Der Benediktinerpater Anastasius Reiser lebt in einer Gegend, in der die Brücken zwischen den Menschen noch funktionieren. Er ist Prior eines Klosters in Schuyler (Nebraska). Reiser sagt, die US-Amerikaner unter seinen Mitbrüdern stünden mehrheitlich aufseiten der Demokraten, die Angestellten des Klosters seien alle für die Republikaner. Ein Problem sei das aber nicht. Es sei nicht alles so schwarz oder weiß, wie es medial oft transportiert werde – und die Leute seien beispielsweise selten radikal für oder gegen Abtreibung, für oder gegen Einwanderung: „In Wirklichkeit denken und leben die Leute differenzierter.“ So sähen viele Wähler der Republikaner durchaus, dass Trump ein verurteilter Straftäter ist, der Unsinn redet und Frauen verachtet. Und das mache ihnen zu schaffen, weil ihnen Familie, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit wichtig sind.
Reiser glaubt, dass das Leben der Menschen in seinem Ort auch unter einem autoritär herrschenden Präsidenten Trump funktionieren wird – wenn sie sich weiterhin in ihrer Verschiedenheit akzeptieren. Er erzählt, wie Weiße und Hispanics gemeinsam Gottesdienste feiern und sich umeinander kümmern. Und er berichtet von den vielen Initiativen, die es in der Gemeinde gibt: eine Lebensmitteltafel, Hilfe für Einwanderer, Unterstützung für Menschen, die ihre Wohnung nicht bezahlen können. Reiser sagt: „Das ist die große Chance der Kirchen: in den Pfarreien das konkrete Zusammenleben zu pflegen.“
Ob das, was in Schuyler im Kleinen klappt, auch im Großen gehen könnte? Ob das gespaltene Land wieder zusammenwachsen könnte, ein bisschen zumindest? Zunächst einmal sind die Menschen in den USA froh, dass die Machtübergabe von der alten zur neuen Regierung friedlich verlaufen wird. Bei einem Sieg der Demokratin Kamala Harris wäre das wohl anders gewesen; Trump leugnet seine Niederlage bei der Wahl 2020 bis heute und hetzte seine Anhänger damals zum Sturm aufs Kapitol.
Nun bereiten seine radikalen Pläne vielen Menschen Sorgen: Er hat etwa angekündigt, Millionen Migranten zu deportieren, einen Rachefeldzug gegen seine politischen Gegner zu starten und viel mehr Macht im Weißen Haus zu konzentrieren. Beobachter fragen sich, ob die US-Demokratie die nächsten vier Jahre überlebt.
Der Benediktinerpater Reiser sagt, viele schauten mit Furcht auf den Tag von Trumps Amtsantritt: „Wird er das, was er angekündigt hat, wahrmachen?“ Der New Yorker Pfarrer Baker sagt: „Trump ist ein Isolationist, mag reiche, mächtige Männer und hält sich für den klügsten Mann im Raum. Dies ist eine toxische Kombination von Eigenschaften bei einer Führungskraft.“ Baker betont, er sei ein registrierter Republikaner, würde aber niemals für Trump stimmen. Er hofft, „dass Trump nichts kaputt macht. Ich hoffe, dass es Menschen in seinem Umfeld gibt, die ihm Orientierung geben.“ Bisher aber vergibt der künftige Präsident prominente Posten ausschließlich an getreue Gefolgsleute, die ihm kaum widersprechen werden.
Der Theologe Faggioli glaubt, Trumps Präsidentschaft werde eine „gefährliche Zeit“. Er hofft, dass die neue Regierung „nicht in der Lage sein wird, all das zu tun, was sie versprochen und angedroht hat“. Und er hofft, „dass es eine zivile, moralische und auch religiöse Antwort auf diese Wende in der amerikanischen Geschichte geben wird“. Die katholischen Bischöfe haben sich nach der Wahl zunächst zurückhaltend geäußert, viele von ihnen haben von vornherein Trump favorisiert. Faggioli findet es beunruhigend, wie sie Trumps Rachefantasien und Pläne zur Schwächung der Demokratie ignorieren. Er sagt: „Die katholische Kirche sollte zu alldem etwas zu sagen haben.“
Eine Woche nach der Wahl fanden die Bischöfe immerhin zu Trumps angekündigten Massenabschiebungen deutliche Worte. Sollte er seine Pläne in die Tat umsetzen, würden sie „ihre Stimme laut erheben“, betonten sie. Man müsse Einwanderer weiterhin verteidigen. Mark Seitz, der Bischof von El Paso, sagte: „Das wird eine Bewährungsprobe für unsere Nation.“