Jahresserie "Klösterreise"

Dormitio-Abtei: Beständig auf Gottsuche

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„Klösterreise – Von den Orden lernen“: Die Jahresserie der Kirchenzeitung führt in Klöster. Heute sind wir bei Abt Nikodemus Schnabel zu Gast in dessen Kloster, der Dormitio-Abtei in Jerusalem. Ein Gespräch über die Beständigkeit des Mönchs in der Bindung an sein Kloster, an die Gemeinschaft der Brüder und in der Suche nach Gott. Eine ganz moderne Lebensregel. Von Johannes Becher



Die Dormitio-Abtei am Rand der Altstadt von Jerusalem. Anfang des 20. Jahrhunderts hat sie der deutsche Kaiser Wilhelm II. auf dem Zionsberg bauen lassen.


„Wir sind Liebhaber des Ortes“, sagt Nikodemus Schnabel. Der neue Abt der Dormitio lebt seit 20 Jahren im Kloster auf dem Zion in Jerusalem. Das Typische für den Orden der Benediktiner – im Gegensatz etwa zu Franziskanern: „Man klopft an die Klosterpforte und sagt: Hier möchte ich Mönch werden, hier möchte ich auch beerdigt sein.“ Abt Nikodemus bekennt: „Ich bin ein großer Fan von dieser Stabilität, sich festzumachen an einem konkreten Ort.“ Die Spezialität seiner Gemeinschaft: „Ich kann nicht Benediktiner werden, ich kann immer nur in ein bestimmtes Kloster eintreten.“ Für den „Stallgeruch“ der Benediktiner sorge die gemeinsame Regel des Ordensgründers Benedikt. Diese zeichne „die großen Linien“ vor, sei aber durchaus flexibel, regle nicht jedes Detail. Abt Nikodemus: „Benedikt hat überhaupt keine Regelwut.“ Ihm gehe es um Grundsätzliches. Durchaus humorvoll präsentiert.

Die Beständigkeit (stabilitas), der klösterliche Lebenswandel und der Gehorsam

NIKODEMUS SCHNABEL
Seit Februar ist Nikodemus Schnabel Abt der berühmten
Dormitio-Abtei in Jerusalem.                           Foto: kna

In der „Regula Benedicti“ gibt es mehrere Dreiklänge von Verpflichtungen: Es geht um die Beständigkeit (stabilitas), um den klösterlichen Lebenswandel (conversatio morum) und den Gehorsam (oboedientia). Die beiden anderen klassischen evangelischen Räte – Keuschheit und Armut – sind sozusagen im Lebenswandel mitgemeint.
In der Deutung der Beständigkeit gibt es neben der beschriebenen „stabilitas loci“ – der Ortsfestigkeit in einem Kloster – auch eine Denkrichtung, die stärker die Bindung an die konkrete Gemeinschaft von Brüdern betont: eine „stabilitas in communio“.
Für den jungen Abt eine „volantile“, verletzliche Deutung, weil sich die Klostergemeinschaft stetig ändert. „Brüder kommen, Brüder gehen ins himmlische Jerusalem oder treten wieder aus. Als ich vor 20 Jahren eingetreten bin, war das eine andere Gemeinschaft.“
Nikodemus sieht die Gemeinschaft indes generationenübergreifend: „Dazu gehören nicht nur die, die gerade miteinander leben, sondern – und hier verbinde ich es dann wieder mit der stabilitas loci – auch alle, die uns vorausgegangen sind.“ Für den Mönch haben bei Entscheidungen im Kloster deshalb auch „die Verstorbenen ein Stimmrecht“. Sprich: Es geht ihm darum, bei allem Wandel in den Herausforderungen, auch die Traditionen der Gründermönche zu beachten.

"Die Marathonläufer unter den Orden"

Im klösterlichen Leben schreibt Ordensgründer Benedikt dem jeweiligen Abt eines Klosters eine wesentliche Aufgabe zu: Gemeinsam mit seiner Gemeinschaft soll er die „regula“ für den jeweiligen Ort übersetzen. Soll klären, wie „Gottsuche an diesem konkreten Ort“ gelingen kann. Im Blick auf die Forderungen der Regel und in Erinnerung an „die verstorbenen Brüder“ sieht Abt Nikodemus eine benediktinische Besonderheit. Im Wandel der Zeiten und der Anforderungen gehe es nicht darum, möglichst flott ein neues Projekt für die Gemeinschaft zu finden. Nikodemus: „Wir sind die Marathonläufer unter den Orden, nicht die Sprinter. Wir sind nicht gut darin, sehr schnell und flexibel auf aktuelle Fragen der Zeit zu antworten. Wir sind stärker kulturelle Gedächtnisorte.“ Und er ergänzt: „Weil wir ein Liebesbekenntnis zu einem ganz konkreten Ort abgeben.
Im Unterschied zu anderen Gemeinschaften sieht er eine doppelte Berufung: „Um Benediktiner zu sein, braucht es eine doppelte Verliebtheit, eine doppelte Verrücktheit: Das eine ist dieser ,way of life‘ – das stark rhythmisierte Leben von Gebet, Arbeit und Studium; natürlich mit ganz bestimmten Brüdern. Und dann braucht es aber auch immer die Berufung an einen ganz bestimmten Ort.“ Weil sich die Gemeinschaft immer verändere, gelte für ihn: „Was das Herz erobert hat, ist der Ort, nicht ganz bestimmte Brüder.“
Für die jeweilige Gemeinschaft an einem Ort findet Nikodemus das Bild eines „humpelnden Feldlazaretts, dass sich gegenseitig auf dem Weg zu Gott stützt“. Im Kloster und in der Gemeinschaft treffe man auf Charakterköpfe, die man im normalen Leben wohl nicht finden oder ertragen würde. Deshalb sei für das gelingende Leben im Kloster eine wesentliche Frage zu beantworten: „Bist du bereit, die anderen in ihren körperlichen und charakterlichen Schwächen zu ertragen?“ Und weil man auch mit den eigenen Schwächen konfrontiert wird, gehöre es wesentlich zur Stabilitas, zur Beständigkeit, sich selbst zu ertragen „in Armseligkeit und Sündhaftigkeit“, erklärt der Abt.

Jerusalemer Mönch mit fuldischen Wurzeln

Und dann schlägt er einen Bogen in die  moderne  Gesellschaft:  Menschen suchten heute nach Erleuchtung und nicht wenige würden in eine „selbstgestrickte Spiritualität“ fliehen. „Wenn es schwierig wird, macht man sich weiter … man schnuppert hier rein, mal da.“ Dagegen brauche es das Aushalten. Die Benediktregel berge dafür „eine große Weisheit“. Nikodemus: „Am Anfang kann der Weg nicht anders sein als eng; wenn man beständig auf ihm weitergeht, dann wird das Herz weit und man läuft in unsagbarem Glück. Bereit, Gott zu suchen und die Brüder anzunehmen.“ Er nennt dies den „Lackmustest“ gegen eine toxische – giftige – Spiritualität. Wo es immer kleinkarierter werde, drohe der spirituelle Missbrauch. Die Benediktregel dagegen sei geprägt von ungeheurer Dynamik. Vom Reifen. Nikodemus: „Mönch werden soll nicht der, der Gott gefunden hat, sondern der, der Gott sucht.
Und so blickt der Jerusalemer Mönch mit fuldischen Wurzeln gelassen in die Zukunft. Die Regel des Benedikt sei sehr modern – sogar gefragt in Management-Kursen. „Weil sie so viel Weisheit atmet, sich bewährt hat in Jahrhunderten, prophetisch bleibend ist.“ Und in dieser stabilen Widerständigkeit sei für ihn klar: „So schnell kriegt man das Mönchtum nicht kaputt.“

Von Johannes Becher

 

HINTERGRUND

Die Dormitio-Abtei in Jerusalem
Die deutschsprachige Benediktinerabtei der Dormitio gehört als Blickfang zur Silhouette Jerusalems. Der Bau des Klosters auf dem Zionsberg am Rande der Altstadt begann im März 1906. Es befindet sich dort, wo sich nach kirchlicher Überlieferung das Letzte Abendmahl Jesu und die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel ereigneten. Am 3. Februar wählte die Gemeinschaft den deutschen Benediktiner Nikodemus Schnabel (44) zum neuen Abt.
Zurzeit wird die Abtei umfassend renoviert. Mitte Januar wurde der neue Steinaltar in der Klosterkirche gesetzt, an Stelle des bisherigen provisorischen Holzaltars. Die feierliche Altarweihe und die Wiedereröffnung der seit September geschlossenen Kirche fand am 21. März statt, dem Fest des Ordensgründers Benedikt. Die Arbeiten am Kloster und den Zellen der Mönche werden sich bis voraussichtlich Sommer hinziehen. Die Kosten – für die erste von zwei Renovierungsphasen waren fünf Millionen Euro veranschlagt – übernahm zu 80 Prozent das Auswärtige Amt, den Rest der Deutsche Verein vom Heiligen Lande und das Erzbistum Köln.
Seine Entstehung verdankt das Kloster einem Besuch von Kaiser Wilhelm II. in Jerusalem. Im Oktober 1898 nahm er an der Einweihung der evangelischen Erlöserkirche teil. Auf konfessionelle Ausgewogenheit bedacht, kaufte er auch ein Grundstück, das er dem Deutschen Verein vom Heiligen Land überließ. Acht Jahre später trafen die ersten drei Mönche aus der Abtei Beuron ein und begannen mit dem Bau eines Klosters, das an „Mariä Heimgang“ (lateinisch: „Dormitio Mariae“) erinnern sollte. 1910 wurde die Kirche geweiht, das Kloster 1926 zur Abtei erhoben.
Der aus Trier stammende Laurentius Klein, Abt von 1969 bis 1979, begründete 1973 ein ökumenisches Studienjahr für Studierende aus dem deutschsprachigen Raum. (kna)

www.dormitio.net