Projekt des Bistums zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Bistum Limburg

Ehrgeizige Ziele

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 „Es ist sehr ambitioniert“, sagt Bischof Bätzing. Bis Juni nächsten Jahres soll ein Projekt des Bistums zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs und Umsetzung von Empfehlungen der MHG-Studie abgeschlossen sein. Von Heike Kaiser.

Sie erläuterten das Projekt (von links). Ingeborg Schillai, Präsidentin der Diözesanversammlung, Bistumssprecher Stephan Schnelle, Bischof Georg Bätzing und Johannes Weuthen, Stabsstelle Projektsteuerung. | Foto: Barbara Faustmann
Sie erläuterten das Projekt (von links). Ingeborg Schillai, Präsidentin der Diözesanversammlung, Bistumssprecher Stephan Schnelle, Bischof Georg Bätzing und Johannes Weuthen, Stabsstelle Projektsteuerung. Foto: Barbara Faustmann

Sexuellen Missbrauch an Minderjährigen und Schutzbefohlenen bestmöglich verhindern. Kommunikation mit Opfern von sexuellem Missbrauch statt Vertuschung und Bagatellisierung sexuellen Missbrauchs durch Verantwortliche im Bistum Limburg. Verdachtsfälle und Taten so gut wie möglich aufklären, Verantwortliche benennen, Täter zur Rechenschaft ziehen, Betroffene im Umfeld von Missbrauchsverdacht und Missbrauchstaten begleiten. Die kirchenspezifischen systemischen Faktoren, die sexuellen Missbrauch und den Schutz der Missbrauchstäter begünstigen, benennen und verändern: Das sind die ehrgeizigen Ziele eines Projekts, dass die Gremien im Bistum Limburg entwickelt haben. Es trägt den etwas sperrigen Titel „Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen und Schutzbefohlenen – Umsetzung der Empfehlungen aus der MHG-Studie“. 

Im Frühsommer nächsten Jahres, wenn die Amtszeit des jetzigen Diözesansynodalrats endet, soll auch das Projekt abgeschlossen sein.

Ergebnisse beschreiben nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit

Die beiden Auftraggeber des Projekts sind Ingeborg Schillai, die Präsidentin der Limburger Diözesanversammlung, und Bischof Georg Bätzing. Die Ergebnisse der MHG-Studie, die die Deutsche Bischofskonferenz im September vergangenen Jahres vorstellte, „beschreiben nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit. Es gibt noch viel mehr als 3677 Opfer. Das schockiert, das macht wütend und fassungslos“, sagt Schillai. Doch statt es bei Wut und Empörung zu belassen, habe der Diözesansynodalrat Vorschläge für das weitere Vorgehen entwickelt. „Das Ergebnis der Beratungen ist nun das vorliegende Projekt.“ Sie lobt Bischof Bätzing, der in den synodalen Gremien von Beginn der Beratung an signalisiert habe, „dass er das Thema Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch breit und offen im Bistum diskutieren will. Die gemeinsame Verantwortung für das Projekt mit dem Bischof – das ist synodal!“

„Es geht in dem Projekt um die Perspektive der Opfer, nicht um die der Kirche“, stellt Schillai klar, „es geht zuallererst um Menschen und Schicksale.“ Es gehe aber auch um Strukturen und die Entwicklung von Kirche: „Für wen sind wir da?“ Diese Frage sei für den Prozess Kirchenentwicklung handlungsleitend. „Ob der Prozess Erfolg haben wird, hängt auch davon ab, wie die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs erfolgt und welche Antworten wir auf systemische Fragen geben werden“, ist sich die Präsidentin der Diözesanversammlung sicher.

Nach der Veröffentlichung der MHG-Studie hat sich Bischof Bätzing mit öffentlichen Statements zurückgehalten. „Ich wollte mich nicht davor drücken, sondern meine besondere Sicht der Verantwortung ist: Ich werde mich nicht hinstellen und sagen, wie es jetzt weitergeht. Das entspricht nicht dem synodalen Stil des Bistums“, betont er. 

Mit dem gemeinsamen Projekt werde nun ein Beitrag geleistet, „dass Kinder und Jugendliche im Bereich des Bistums Limburg und seiner Einrichtungen sicher leben und ihren Glauben erfahren können“.

Aufarbeitung geschieht in acht Teilprojekten

Das Projekt „Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen und Schutzbefohlenen – Umsetzung der Empfehlungen aus der MHG-Studie“ besteht aus acht Teilprojekten (siehe „zur Sache“). Zum Grundsatz der Projektorganisation gehört, dass keine Personen in leitender Funktion mitwirken können, die Personal- oder Leitungsverantwortung auf Bistumsebene hatten oder haben. 

Teilprojekt 1 – die externe, unabhängige Untersuchung von Missbrauchsfällen an Minderjährigen und Schutzbefohlenen im Bistum Limburg – hat Bischof Bätzing bereits vor der Ankündigung des Gesamtprojekts initiiert. Diese Untersuchung bezieht sich auf den Zeitraum von 2000 bis 2015. Bei Durchsicht der Akten und folgenden Gesprächen soll maßgeblich unter anderem folgenden Fragen nachgegangen werden: Wie ist der Umgang der dem Bistum angehörigen Verantwortungsträger mit bekannt gewordenen und vermuteten Fällen von sexualisierter Gewalt zu bewerten? Wurden bei der Überprüfung und Behandlung der Fälle die jeweils bestehenden Vorschriften des Kirchenrechts und der Deutschen Bischofskonferenz beachtet und eingehalten? Welche organisatorischen Maßnahmen sind erforderlich, um in Zukunft ähnliche Fälle zu verhindern? Eine ausführliche Fassung des Untersuchungsberichts mit Namensnennung werde der Staatsanwaltschaft Limburg übergeben.

Bislang werden 45 Priester und Diakone aus dem Bistum Limburg sowie zwölf Priester aus Orden oder anderen Diözesen mit einem Gestellungsvertrag im Bistum Limburg des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Seit 2010 wird jeder Fall der Staatsanwaltschaft gemeldet und kirchenrechtlich untersucht. Aktuell laufen vier kirchenrechtliche Verfahren.

 

Meinung: Vorreiter

Im Bistum Limburg wird jetzt an einem Projekt gearbeitet, das sich mit den systemischen Faktoren des Missbrauchs in der katholischen Kirche beschäftigt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes synodal, gemeinsam. Auftraggeber sind der Bischof und die Präsidentin der Diözesanversammlung. Eine Vorreiterrolle!

Von Heike Kaiser.

 

Zur Sache: Projektskizze

Die Aufarbeitungsthemen des Gesamtprojekts werden in acht Teilprojekten bearbeitet:

  • Externe, unabhängige Untersuchung: Täter und die für die Vertuschung Verantwortlichen werden benannt und zur Rechenschaft gezogen 
  • Überarbeitung der Ausbildungs-/Weiterbildungsordnung: Auswahl und Ausbildung von Priesterkandidaten unter Berücksichtigung der Aspekte sexueller Identitätsbildung 
  • Weiterführung von Personalführungskonzepten: Überarbeitung der Personalaktenführung entsprechend der Standards der Deutschen Bischofskonferenz 
  • Kommunikation und Information: Kritische Würdigung der Öffentlichkeitsarbeit des Bistums in Bezug auf die zuletzt bekannt gewordenen Missbrauchsfälle
  • Klerikalismus/Machtmissbrauch: Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit der Änderung klerikaler Machtstrukturen; Analyse der Formen von Machtmissbrauch und geistlichem Missbrauch
  • Rolle der Frauen in der Kirche/Gleichberechtigung: Erarbeitung von Vorschlägen, die Frauen und Männer in einem gleichen Verhältnis Verantwortung im Bistum wahrnehmen lassen
  • Umgang mit katholischer Sexualmoral/Neubewertung Homosexualität: Enttabuisierung der Themenfelder Sexualität, Geschlechtsidentität und Homosexualität. 
  • Gewaltenteilung/kirchenrechtliche Konsequenzen: Analyse des Versagens der Leitungs-/Kontrollstrukturen im Bistum Limburg anhand von Ergebnissen der MHG-Studie beziehungswiese Ergebnissen aus dem Teilprojekt externe Untersuchung (kai)