Der gute Draht hält: Ursula Wahle kümmert sich seit vielen Jahren um Obdachlose
Ehrliche Begegnungen am Kloster
Foto: privat
Oberflächliches Gerede braucht Ursula Wahle nicht. „Ich bin durch und durch Täterin, ich möchte etwas tun“, betont die Osnabrückerin. In ihrem Beruf als Krankenschwester geht sie auf, hier sei sie genau richtig, sagt sie. Und auch nach Feierabend kümmert sie sich fürsorglich und zupackend um Menschen, die ihre Hilfe brauchen – zum Beispiel Wohnungslose.
Berührungsängste hat Ursula Wahle dabei nicht. Obdachlose ansprechen, ihre Wunden versorgen, sie zu Ärzten begleiten, Erste Hilfe leisten an vom Leben auf der Straße geschundenen Körpern – all das ist für sie kein Problem. Munter erzählt sie: „Diese schrägen Typen sind einfach meins, sie liegen mir am Herzen“. Oft hätten diese Menschen „schreckliche Geschichten“ erlebt, von Beginn an kaum eine Chance auf ein normales Leben gehabt. Blicke man hinter die Kulissen, kämen oft traurige Einzelschicksale zutage, sagt die 60-Jährige. Für die Gesellschaft seien diese Menschen aber oft nur „Abschaum: Sie stören, sie sind die Aussätzigen der heutigen Zeit“, hat sie erfahren. Von Nächstenliebe will Ursula Wahle im Zusammenhang mit ihrem Einsatz nichts wissen. Dieser Begriff ist ihr zu „abgedroschen“. Sie betont: „Ich verstehe uns als Menschheitsfamilie, als Menschen einer großen Familie. Was ich mache, ist selbstverständlich. Ich mache das gerne.“
Dass Lebensentwürfe zerbrechen können, kennt Ursula Wahle aus eigener Erfahrung. 30 Jahre lang war sie Ordensschwester, bevor sie aus persönlichen Gründen das Ordensleben verließ - ein schwerer Schritt, den sie sich lange überlegt hat. Geholfen haben ihr dabei schließlich die Wohnungslosen: Schon im Kloster kümmerte sich Schwester Ursula um die Brüder, die in einem Verschlag am Kloster jede Nacht Platte machten. Als Ordensschwester kam sie schnell mit ihnen ins Gespräch und merkte: „Hier gibt es keinen Smalltalk, hier geht es um echte Beziehungen und ums nackte Überleben“. Genau ihr Ding: Sie packte an, räumte Müll weg, sorgte dafür, dass der Verschlag ausgebessert wurde und knüpfte Kontakte zu Hilfseinrichtungen und Sozialarbeitern. Schwester Ursula kam jeden Tag und kümmerte sich um Körper und Seelen. Ein Traum, den sie bis heute hat: Sie würde gerne eine Krankenstation für Obdachlose eröffnen und sich hier engagieren. Denn: „Kaum ein Arzt behandelt die Wohnungslosen weiter, wenn sie zum Beispiel aus dem Krankenhaus entlassen werden. Das ist ein großes Problem.“
Es waren ganz unverstellte, ehrliche, direkte Begegnungen draußen am Kloster. Manchmal hörte Ursula Wahle Aussagen wie: „Gut, dass Du da bist. Wir wissen, dass wir immer zu dir kommen können.“ Bis heute macht sie das stolz: „Wenn diese Menschen anfangen, wieder zu vertrauen, ist das Wahnsinn“, sagt sie. Ihr Geheimrezept? „Die Obdachlosen sind mir als Menschen wichtig, ich begegne ihnen auf Augenhöhe“, meint sie. Und: Der Habit, den sie als Ordensschwester trug, sei zu Beginn auch ein Vertrauensvorschuss und ein Schutz gewesen. „Ich brauchte nie Angst zu haben.“ Ordensleute seien bei Wohnungslosen oft von vorneherein gute Menschen: „Wir leben beide ein für die Gesellschaft unverständliches Leben. Das: verbindet“, sagt die ehemalige Ordensfrau und schmunzelt. Einige Brüder nennen sie immer noch „Schwester“, für zwei von ihnen hat sie die rechtliche Betreuung übernommen. Der gute Draht hält.
Rückblickend sagt Ursula Wahle: „Diese Menschen waren meine Brücke zur Welt außerhalb des Klosters. Deshalb habe ich mich getraut, diesen Schritt in ein neues Leben zu wagen. Dafür bin ich ihnen dankbar.“ Die „wunderbaren Erfahrungen“ mit diesen Menschen möchte sie auf keinen Fall missen. Sie ist überzeugt: „Unsere Begegnung hat in unserem Leben einen echten Unterschied gemacht.“