John Coughlan gibt Tipps für das Leben in Zeiten von Corona

Ein geregelter Tagesablauf ist wichtig

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Die Corona-Pandemie stellt uns alle vor neue, bislang ungeahnte Herausforderungen. John Coughlan ist Diplom-Psychologe und Geschäftsführer des Caritasverbandes für Stadt und Land Hildesheim. Er reflektiert die Situation für die Arbeit der Caritas und gibt Tipps für das Leben in Zeiten von Corona.


Eine feste Tagesstruktur, auf sich und andere aufpassen ist wichtig, sagt John Coughlan.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Probleme der Einschränkungen – gerade auch für ältere Menschen – aufgrund der Corona-Pandemie?

Eine der größten Herausforderung für die Menschen liegt sicherlich darin, bestimmte Gewohnheiten zu verändern und die persönlichen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren. Die Absenkung und Vermeidung von Kontakten bis hin zu einer vollständigen Isolation können zu einem Gefühl des Alleinseins führen, wenn nicht andere Kommunikationswege gegeben sind.

Was bedeutet es für Familien und Jugendliche, die von Beratungseinrichtungen der Caritas begleitet werden und nun ihre regelmäßigen Treffen und Gespräche mit den Beraterinnen und Beratern nicht wahrnehmen können?

Unsere Beratungseinrichtungen sind weiterhin telefonisch, per Mail oder dem datensicheren Messenger SIGNAL für die Familien erreichbar. Per SIGNAL sind auch Videoanrufe möglich. In Krisensituationen und im Kinderschutz machen wir in der Jugend- und Familienhilfe auch weiterhin Hausbesuche oder treffen uns nach Möglichkeit im Freien zu Spaziergängen oder ähnlichem mit den Familien. Die Termine fallen also nicht weg, sondern sie finden lediglich in anderer Form statt.

Können Telefonate, Gespräche via Skype oder anderen Kommunikationsformen im Internet die persönlichen Treffen auffangen?

In einigen Beratungsdiensten – wie Schuldnerberatung oder Allgemeine Lebens- und Sozialberatung – kommen wir übergangsweise mit telefonischer Beratung, Online- und E-Mail-Beratung gut aus. Anders ist das in den therapeutischen Kontexten und bei familienbegleitenden Hilfen, wie in der Jugend- und Familienhilfe. Die Begleitung über Telefon und elektronische Medien kann hier die persönliche Beratung auf keinen Fall ersetzen. Sie findet für die Beraterinnen und Berater unter erschwerten Bedingungen statt, da Inhalte, Gefühle und Zwischentöne aus dem Gelesenen oder Gehörten ohne das Erleben der Mimik und Körperhaltung der Gesprächspartner schwieriger zu erfassen sind und umgekehrt Empathie, Wertschätzung und das Gefühl gehört zu werden, nur eingeschränkt zu vermitteln sind.

Wie sieht es in Familien aus, deren Situation angespannt ist und die nun – wo Schule und Kita geschlossen sind – den ganzen Tag aufeinander hocken?

Wir hören schon jetzt aus einigen Familien, dass die Stimmung zu kippen droht. Wir versuchen, das durch Einzelkontakte im Freien zu entzerren, gegenseitiges Verständnis in dieser Ausnahmesituation füreinander zu wecken und Ideen zu entwickeln, wie man sich einzeln oder gemeinsam sinnvoll beschäftigen kann. Wo der Ausnahmezustand die Familien hinführt, ist schwer zu sagen. Das hängt im Wesentlichen davon ab, welche persönlichen Ressourcen und Widerstandskräfte die Familien in dieser Situation aktivieren können und wie lange der Zustand andauern wird.

Nachbarschaftshilfe, die vorher gut funktioniert hat, muss neue Wege beschreiten. Wie kann sie jetzt aussehen?

Viele Menschen zeigen sich solidarisch und wollen ihre Hilfe anbieten, um mit der Corona-Krise umzugehen. Das Engagement muss neu und sicher gedacht werden, denn persönlicher Kontakt und Interaktion mit Menschen und Zielgruppen – das, was Engagement sonst ausmacht – sind zurzeit nicht geboten, sondern potenziell gefährlich und daher immer auf die Notwendigkeit zu überprüfen. Dennoch ist es auch möglich miteinander und füreinander aktiv zu sein, es gibt schließlich auch telefonische und digitale Wege, die nun beschritten werden können. Im Kontakt sein, anderen Menschen Trost spenden oder für eine willkommene Ablenkung sorgen – das wäre schon eine große Hilfe für viele Menschen.

Viele ältere Menschen werden täglich vom ambulanten Pflegedienst der Caritas besucht. Welchen Stellenwert hat dieser Besuch?

Patienten vereinsamen, da soziale Kontakte nicht mehr möglich sind. Die Pflegemitarbeiter sind oft die einzigen Menschen, denen sie am Tag begegnen. Diese stehen allerdings sehr unter Zeitdruck, sodass ausführliche Gespräche kaum möglich sind. Gegen die Vereinsamung von Patienten schreiben wir einen Osterbrief, der an alle Patienten verschickt wird mit aufmunternden Worten und einem schönen Frühlingsgedicht. Menschen, die keine Angehörigen mehr haben und ganz allein sind, ruft die Pflegedienstleiterin, die neben der pflegerischen Ausbildung auch eine seelsorgliche Ausbildung hat, regelmäßig an für ein Gespräch. Außerdem vermitteln wir Hilfen für den Haushalt und Einkäufe.

Welche Rolle spielt bei diesen Besuchen die Hygiene?

Hygiene wird auch im ganz normalen Pflegealltag von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon groß geschrieben. Nun sind sie einmal mehr angewiesen, nach jedem persönlichen Kontakt gründlich die Hände zu waschen und nach Möglichkeit zu desinfizieren. Wo es aus Gründen des Kinderschutzes oder der Krisenintervention zwingend erforderlich ist, sollen persönliche Kontakte nach Möglichkeit im Freien stattfinden, es sei denn, der Schutzauftrag sieht einen regelmäßigen Hausbesuch vor. Ansonsten sollen persönliche Kontakte unterbleiben. Damit haben wir das Risiko, den Virus von Haushalt zu Haushalt zu tragen, in der Familienhilfe auf ein Minimum reduziert.

Wie können Menschen, egal welchen Alters, die zu Hause sind und denen jetzt buchstäblich die Decke auf den Kopf fällt, diese Zeit gut überstehen?

Eine geregelte Tagesstruktur mit Handlungsanreizen gibt Halt. Eltern sollten in dieser Zeit nicht darauf verzichten, feste Aufsteh- und Zubettgehzeiten festzulegen. Am Vormittag sollten Schulkinder Hausarbeiten erhalten, die sie sicherlich auch von ihren Klassenlehrern bekommen. Kleinere Kinder können mit Bastelarbeiten beschäftigt werden. Feste Essenzeiten verhelfen ebenso zu einer Tagesstruktur und ermöglichen es, Kinder in die Zubereitung einzubinden. Ebenso sollte Freizeit für Kinder und Eltern eingeplant werden, in der es in Ordnung ist, sich zurückzuziehen und seinen eigenen Interessen nachzugehen.

Und wenn es doch einmal stressig wird und der so genannte Lagerkoller droht?

Gerade, wenn Familien jetzt so eng aufeinander leben, ist es wichtig, sich gegenseitig Rückzug zuzugestehen. Dies kann auch in Streitsituationen helfen. Nicht jeder Streit muss gleich zu Ende geführt werden. Manchmal ist es hilfreich, dem anderen den Rückzug zu ermöglichen und das Gespräch später wiederaufzunehmen. Dann können beide Seiten erst einmal durchatmen und häufig sieht die Welt danach schon anders aus. Die Ausnahmesituation verlangt Kreativität, um auch wohltuende Besonderheiten in den Tag einzubauen:  zum Beispiel ein Picknick auf dem Wohnzimmerboden oder eine Kopfrechnen-Schnitzeljagd durch die Wohnung. Auch ein Spaziergang an der frischen Luft alleine oder mit der Familie kann dazu beitragen, etwas runterzukommen.

Wie gehen Sie bei der Caritas mit den zunehmenden Belastungen um, die sich aus dem Corona-Notzustand ergeben?

Wichtig ist – unabhängig davon in welchem Bereich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig sind – dass wir aufeinander achten und dort, wo es geht, Entlastungen schaffen. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderung ist es wichtig, ein offenes Ohr für die Nöte und Sorgen der Mitarbeitenden zu haben und die Stimmung im Auge zu behalten. Wir erleben an vielen Stellen, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter untereinander zur Seite stehen und unterstützen.

Speziell im Pflegedienstbereich versuchen wir, genügend Freizeit in Form von freien Tagen – wie Abbau von Überstunden – für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewähren, damit Pflegekräfte sich wieder regenerieren können, um der extremen Belastung durch die Krise lange standhalten zu können. Wie lange das möglich sein wird, wissen wir nicht.

Ansonsten versuchen wir in unseren Einrichtungen die Arbeitsplätze der Situation angemessen zu gestalten: durch bestimmte Hygienemaßnahmen, dem Einstellen des Publikumsverkehrs und die Einhaltung des Abstandsgebots. Und bestimmte Aufgaben werden von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Homeoffice erledigt.

Interview: Edmund Deppe