Margarete Rauscher findet Aufzeichnungen ihres Vaters

Ein Osterfest in der Kriegsgefangenschaft

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Beim Aufräumen falllen Margarete Rauscher aus Heldenbergen Briefe ihres verstorbenen Vaters in die Hände. Als sie liest, dass ihr Vater über ein Osterfest in Kriegsgefangenschaft schreibt, kontaktiert sie die Kirchenzeitung.



Margarete Rauscher blickt in diesen Tagen erstmals in Dokumente ihres verstorbenen Vaters.


Das Coronavirus hat ihr Leben verändert. „Seit einem Jahr waren mein Mann und ich nicht mehr in der Kirche“, erzählt Margarete Rauscher aus Heldenbergen, einem Stadtteil von Nidderau nordöstlich von Frankfurt gelegen. „Jeden Sonntag sitzen wir vor dem Computer und feiern Gottesdienst auf Facebook im Livestream aus unserer Kirche Mariä Verkündigung mit.“ Aus Sorge vor Ansteckung mit dem Coronavirus, berichtet sie.

„In Gedanken war ich in der Heimat“

Beim Aufräumen in Pandemiezeiten ist Margarete Rauscher auf Dokumente ihres verstorbenen Vaters gestoßen. Viele Jahre lang hatte sie sich gescheut, hineinzuschauen. In einem Büchlein hatte „mein Vater sein Hirn trainiert, für die Architekturschule gelernt und Gedichte aufgeschrieben“, berichtet sie über die Funde aus der Vergangenheit. Auch Briefe aus Kriegszeiten fallen ihr wieder in die Hände. „Die Briefe liegen hier, aber ich habe es bisher nicht über mich gebracht, sie zu lesen.“


Bild von Konrad Reul als Soldat.
Er befand sich 1947 in
Gefangenschaft im Waldlager
Borowitschi. Im Herbst 1947
wurde er entlassen.

Ein Brief stammt aus dem Jahr 1948. Adressiert ist er an die Kirchenzeitung. Zeilen mit Schreibmaschine geschrieben, auf vergilbtem Papier. Darin berichtet ihr Vater, Konrad Reul, über sein Osterfest 1947, das er in russischer Gefangenschaft in Borowitschi erlebt hatte.
Konrad Reul beschreibt den Alltag im Lager. „24 Raummeter Rundholz müssen pro Tag gefällt werden. Diese gefällte Holzmenge muss auf acht große Holzschlitten (ohne Eisenbeschlag) mit je 15 Mann bespannt, bis zu sieben Kilometer, bei hohen Schneeverwehungen, zum Lager transportiert werden.“ Nach dem Mittagessen liegt er auf seiner Pritsche und sieht durch kleine Fensteröffnungen die Umzäunung des Lagers: Zwei hohe Stacheldrahtwände mit dem Wachturm. „In Gedanken war ich und wie so viele in der Heimat. Alle Bilder zogen im Geiste an mir vorüber: Osterfeste, Erlebnisse, buntgefärbte Ostereier, frohe Kinderaugen, die alten Osterbräuche der Heimatkirche, das feierliche Hochamt und die große Zahl der heiligen Kommunionen.“ Konrad Reul fragt sich: „Ob man dieses alles noch einmal erleben darf?“ Dann kommt „ein Saarländer vom freiwilligen Arbeitseinsatz zurück“ und bringt die Osterbotschaft: „Morgen am ersten Osterfeiertag ist arbeitsfrei und für die Katholiken eine heiligen Messe in der Banja (Baderaum). Wie eine Parole, so schnell ging diese Ansage durch das Lager“, schreibt Margarete Rauschers Vater.

„Christus mitten unter uns, hinter Stacheldraht“

Doch wer soll den Gottesdienst leiten? Ist ein Priester anwesend? „In einem niedrigen Innenraum, mit Lehm verschmiert und abgekalkt und einem geheizten Ofen, der aus einer Benzintonne kons-
truiert ist, erhebt sich auf einem Podium der Altar“, beschreibt Konrad Reul im Brief die Situation am Ostermorgen 1947 im Waldlager Borowitschi. „Im Mittelpunkt steht das Kreuz. Tannengrün und zwei selbstangefertigte offenbrennende Petroleumlampen sind die Altarzierde.“ Konrad Reul übernimmt den Ministrantendienst. Erstaunt steht er vor einem „bekannten Kameraden“ und erfährt, dass dieser einer Kölner Klostergemeinschaft angehört und er ihn an dem Morgen mit „Herr Pater“ anreden darf. Der Gottesdienst nimmt seinen Lauf. Dann wird es still, ein kleines Glöckchen schlägt an: „Heilige Wandlung“. Konrad Reul schreibt: „Christus mitten unter uns, hinter Stacheldraht, die Gedanken schwenken zur Heimat, unsere Angehörigen zu dieser Stunde an der Kommunionbank.“

Ihr Vater starb, als sie 18 Jahre alt war

Margarete Rauscher erinnert sich an Gespräche mit ihrem Vater in ihrer Jugend. „Er erzählte immer lustige Geschichten aus der Gefangenschaft. Nichts Dramatisches.“ Vieles habe er wohl auch nicht erzählt, vermutet sie.
Ihr Vater starb 1963 mit 53 Jahren. „Da war ich 18 Jahre alt. Ich hatte nie die Möglichkeit, als Erwachsene mit ihm zu sprechen. Gerne hätte ich mit ihm die Kriegszeiten aufgearbeitet.“ Seine Briefe gerade während der Coronapandemie zu lesen, berührt sie. „Wir sind ja auch eingeschränkt.“ Den Menschen damals ging es jedoch entschieden schlechter, betont sie. Die Zeilen ihres Vaters zeigten ihr, „wie trös-tend in schweren Zeiten ein Ostergottesdienst sein kann“.

Von Anja Weiffen

Zitiert:

 

"Dass der große Kreuzträger uns Vorbild sein will“

„Nun betreten wir den Feierraum, dicht stehen die Männer, ein ergreifendes Bild entwickelt sich, ein Zerlumpter der Gefangenen erhebt sich aus dem Alltäglichen und als Priester steht er, im hellglänzenden Gewand, am Altar. Wir beten das Stufengebet und in rauher Stimme erklingt das Lied: Wahrer Gott wir glauben dir. Das Evangelium verkündet uns die Frohe Osterbotschaft. Eine Predigt schließt sich an, mit dem Hinweis auf das Kreuz und den Sieg auf Golgatha, nach all dem Leid und Elend der Karwoche. Führend an der Osterbotschaft hören wir Trostworte und schöpfen neue Hoffnungen, dass nach all unserem Elend, des Hungers, der Einsamkeit, der Trennung von unseren Lieben in der Heimat, auch ein Ostern folgen werde, dass wir alles Kreuz und Leid geduldig tragen und dass der große Kreuzträger uns Vorbild sein will.“

Aus Konrad Reuls Brief über sein Ostern in russischer Gefangenschaft