"Gefragte Frauen": Beate Gilles

Eine Frau und ihre Macht

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Beate Gilles ist seit Juli 2021 Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz. Mit ihrem Team bereitet sie Entscheidungen vor, die ausschließlich Männer treffen. Ein Gespräch über Macht und Einfluss und darüber, Spannungen auszuhalten. Von Ruth Lehnen


„So ein Püppchen war ich nie“. Dr. Beate Gilles, Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz, gilt manchen als mächtigste Frau der deutschen Kirche.


Bei der Einrichtung des Büros ist noch vieles beim Alten geblieben. Vorgänger Pater Hans Langendörfer hat seiner Nachfolgerin eine schwarzgesichtige Madonna in bestickten Kleidern hinterlassen. Und einen Schreibtisch. Erst seit einem halben Jahr ist Dr. Beate Gilles Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz. Sie hat in der Kaiserstraße in Bonn 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Manche sehen in ihr die „mächtigste Frau der deutschen Kirche“.
Über Macht redet Beate Gilles so: Macht sei etwas, das offenbar viele sich ersehnten. Erstmal sei Macht aber Verantwortung. Und fügt einen etwas rätselhaften Satz an, ironisch: „Diese uneingeschränkte Macht, die spüre ich vor allem sonntagsmorgens, wenn ich mich entscheide, wo ich in den Gottesdienst gehe.“ Sie spielt darauf an, dass der Gottesdienst so gestaltet ist, wie der jeweilige Vorsteher es entscheidet.
Beate Gilles räuspert sich. Es wird an diesem Vormittag der einzige Hinweis darauf bleiben, dass es da auch eine Spannung gibt zwischen der Person Beate Gilles, Theologin, und ihrer neuen, angeblich so machtvollen Rolle.


Powerfrau in Bewegung – das kommt gut an

Die Bischofskonferenz arbeitet in 14 Kommissionen. Das Sekretariat der Bischofskonferenz arbeitet diesen Kommissionen in vier Bereichen zu: Glaube und Bildung, Pastoral, Kirche und Gesellschaft sowie Weltkirche und Migration. Es gibt zahlreiche Beraterinnen und Berater. Beate Gilles ist nicht nur Generalsekretärin der Bischofskonferenz, sondern auch Geschäftsführerin des Verbands der Diözesen Deutschlands (VDD). Sie und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereiten Entscheidungen vor, die anschließend ausschließlich Männer treffen. Gilles zeigt sich ein wenig amüsiert über diese Feststellung: „Das ist die Struktur der Deutschen Bischofskonferenz.“ Und dann betont sie, dass alle Menschen im Haus ja mitgestalten und ihre Meinung einbringen: „Die Bischöfe sind Teil dieser Beratungsstruktur. Das erlebe ich als sehr offen und als gemeinsames Beraten und Ringen.“ Die Entscheidungen, die gefällt werden, trägt sie mit. Dabei ist ihr deutlich bewusst, dass ihre Macht gewachsen ist gegenüber der Aufgabe als Dezernentin für Kinder, Jugend und Familie im Bistum Limburg, die sie bis Juni ausgefüllt hat. Sie sagt: „Die Bedeutung dieser Prozesse hat wirklich eine andere Tragweite.“ Verantwortung „tragen“ und „aushalten“, das ist jetzt ihr Job – und gucken, ob sie damit klarkommt. Kann sie noch gut schlafen? Da lacht die 51-Jährige: „Ich kann super schlafen.“
Ihre Unbefangenheit und Frische helfen ihr bei ihrer neuen Aufgabe. Die Bischöfe haben mit der Wahl der ersten Frau auf diesem Posten ein Zeichen gesetzt, das wahrgenommen wurde. Journalisten haben Beate Gilles auf Teilstücken ihrer Wanderung nach Bonn zum Amtsantritt begleitet. Powerfrau in Bewegung, das kam gut an. Im Oktober hat sie für die corona-konforme Laufveranstaltung, die statt des Deutschen Post Marathons in Bonn stattfand, die Laufschuhe geschnürt. Gleich bei ihrer ersten Vorstellung hatte sie darauf hingewiesen, dass sie Marathonläuferin ist. Eine also, die trainiert, die Grenzen überwindet, die Ausdauer zeigt.


Wofür will sie ihre Kraft einsetzen? Was muss ihrer Meinung nach die katholische Kirche in die deutsche Gesellschaft vor allem einbringen? Sie nennt drei Punkte: „Dass das Leben ein Geschenk ist.“ Dies sei wichtig in den Debatten um den Lebensschutz am Anfang wie am Ende des Lebens, zum Beispiel beim Thema „assistierter Suizid“. Das Zweite sei das Vertrauen – Gott habe in seine Geschöpfe, die Menschen, Vertrauen gesetzt. Und das Dritte ist für sie der Blick auf die Schwachen: „Unser Sozialstaat, das ist christliche Gesellschaftslehre!“
Gilles klingt gut katholisch, aber sie weiß, dass immer mehr politisch und gesellschaftlich Handelnde keine Bindung zur Kirche haben, viele auch keine Beziehung zu Gott. Sie weiß, dass die Kirche sich nicht mehr auf einen institutionellen Machtanspruch berufen kann, um ihre Ziele durchzusetzen. An die Stelle dieses Machtanspruchs will sie das Gespräch setzen, mit vielen: „Ich nehme natürlich wahr, dass Menschen auch ohne Gottesbezug glücklich und zufrieden leben und auch eine Ethik haben.“  

Beim Frauenthema vorsichtig und diplomatisch

Zur Frage, ob oder wann Frauen zu geistlichen Ämtern zugelassen werden sollen, äußert sich Beate Gilles immer vorsichtig und diplomatisch. Darauf angesprochen sagt sie: „Das ist nicht höhere Diplomatenschule, das ist die Situation.“ Zu einer möglichen Weihe lässt sie sich nur so viel entlocken: dass sie „nicht sehe, dass die Grundüberzeugung unseres Glaubens dadurch erschüttert wird“. Um dann sofort weiter über das Thema Gemeinsamkeit zu sprechen. Sie will, dass alle Schritte, auch beim Thema Frauen, möglichst gemeinsam gegangen werden. So ist das Prinzip, nach dem die Bischöfe arbeiten – Übereinstimmung erzielen – und das teilt sie. Sie stellt sich vor, dass alle gemeinsam dem Ruf Gottes folgen.
Gemeinsamkeit ist auch das Stichwort im Verband der Diözesen Deutschlands: Etwa 1,9 Prozent ihres Kirchensteueraufkommens haben 2020 die 27 Diözesen in Deutschland an den Verband der Diözesen abgegeben, um gemeinsame Aufgaben zu stemmen. Im Jahr 2000 seien es noch 3,4 Prozent gewesen, sagt Gilles zu ihrer Aufgabe beim VDD. Derzeit gebe es eine Diskussion, was der Verband leisten soll und welche finanzielle Ausstattung er braucht. Die Geschäftsführerin drängt auch an dieser Stelle auf Verständigung: „Wir haben noch ein paar Jahre, in denen wir handlungsfähig sind und Weichen stellen können.“ Das sei gar nichts „Kirchenspezifisches“, sondern gelte ganz generell: Für solche Prozesse sei „der Schlüssel oft das Geld und nicht die Einsicht“. Gilles: „Unsere Struktur mit 27 Diözesen ist so komplex, dass die Öffentlichkeit immer stärker fragt: Was sagt denn die katholische Kirche? Aber ,die Kirche‘ gibt es einfach nicht! Das heißt aber auch, dass es wichtig ist, sich abzustimmen, um sprachfähig zu sein.“
Gilles ist eine Verhandlerin. Auf Machtattitüden verzichtet sie. Sie will nicht laut sein, sondern gehört werden. Als Kind der 70-er Jahre hat sie das Gefühl, vollkommen gleichberechtigt aufgewachsen zu sein. Um sich durchzusetzen, brauche sie sich nicht von Stereotypen zu lösen, wie dem lächelnden, allem zustimmenden Mädchen: „So ein Püppchen war ich nie.“ Sie fragt sich bei ihrer neuen Aufgabe: „Bin ich hier richtig und ist das gut für mich?“ Bisher beantwortet sie diese Frage klar mit Ja.
Seit Gilles zur neuen Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz ernannt wurde, hat sich die kirchliche Situation in Deutschland sehr verändert: Mehrere Frauen übernahmen wichtige Positionen. Als Präsidentin des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken ist Irme Stetter-Karp gewählt worden, mit Gilles sehr gut bekannt. Als Vorsitzende des Deutschen Caritasverbands ist Eva Maria Welskop-Deffaa gewählt worden, mit Gilles sehr gut bekannt. Die evangelische Kirche hat eine Vorsitzende bekommen. War 2021 das Jahr der Frauen? Beate Gilles sagt: „Es war eine Zäsur.“
 

„Gemeinsam unterwegs sein“

In der Rubrik „Gefragt ... gesagt“ geben die „gefragten Frauen“ möglichst spontan Antworten.

Durch wen sind Sie zum Glauben gekommen?
Beate Gilles: Durch meine Familie, meine Eltern. Für mich war dann die Jugendarbeit in meiner Heimatgemeinde St. Dionysius Baumberg entscheidend. Das war ein Ort, der mich hat wachsen lassen, der mich als Jugendliche geprägt hat. Wenn es die Pastoralreferentin Irmgard Conin nicht gegeben hätte, hätte ich mich sicher nicht zum Theologiestudium entschieden.

Was gibt Ihnen Ihr Glaube?
Vertrauen in mein Leben – und er ist Unterbrechung und Orientierung.

Haben Sie schon mal daran gedacht, aus der Kirche auszutreten?
Nein.

Welche Veränderung wollen Sie als Frau in der Kirche noch erleben?
Für mich ist es im Moment wichtig, dass die Freude aus dem Glauben stark ist. Und natürlich, dass Frauen ihre Charismen leben können. Es ist wichtig, dass dieses Ziel, einen Dienst tun zu können, nicht nur von den Frauen forciert wird, sondern dass die anderen auch sehen, da ist ein Charisma, eine Sehnsucht. Das ist eine Haltungsfrage. Sind wir da gemeinsam unterwegs und sehen: Was für ein Ruf Gottes!  

Welches war für Sie das schönste Erlebnis im Glauben?
Da kann ich kein einzelnes nennen. Es waren immer wieder Begegnungen, um Glauben zu teilen, und mit meinem Glauben auf das Leben zu schauen. Das spielt in den Highlights des Lebens eine Rolle, aber auch in sehr dunklen Stunden.

Ihre liebste Bibelstelle?
Da wir im Advent sind: „Richtet Euch auf und erhebt euer Haupt“ (nach Lukas 21, 28).

Ihr Rat an Frauen auf der Suche?
Man muss vorsichtig sein, Ratschläge zu geben, aber es ist gut, wenn Menschen suchen und wenn sie sich zusammentun.

Was ich schon immer mal sagen wollte ...
Ich habe keine innere Botschaft in mir, bei der ich das Gefühl hätte, das muss jede und jeder mal gehört haben.

 

Zur Person: Dr. Beate Gilles, Generalsekretärin der DBK

  • Beate Gilles wurde 1970 in Hückeswagen geboren. Die Stadt liegt etwa 40 Kilometer von Köln entfernt. Sie studierte an der Universität Bonn katholische Religionslehre und Deutsch. Von 1995 bis 1999 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Liturgiewissenschaft an der Universität Bonn.
  • 2000 promovierte sie mit einer liturgiewissenschaftlichen Arbeit. Als freie Mitarbeiterin der Katholischen Fernseharbeit beim ZDF wählte sie das Thema „Durch das Auge der Kamera“ zur Übertragung von Gottesdiensten.
  • Von 2000 bis 2010 war Dr. Beate Gilles Leiterin und Geschäftsführerin des Katholischen Bildungswerks Stuttgart e. V., danach seit 2010 Dezernentin für Kinder, Jugend und Familie im Bistum Limburg.
  • Beate Gilles hat sich viele Jahre ehrenamtlich für IN VIA Deutschland engagiert, einen katholischen Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit, zuletzt als Bundesvorsitzende.
  • Am 1. Juli 2021 trat sie ihr Amt als Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz und Geschäftsführerin des Verbands der Diözesen Deutschlands VDD in Bonn an.
  • Zum Amtsantritt wanderte sie von Limburg nach Bonn. Wandern und laufen ist ein Hobby der Theologin, die nicht verheiratet ist.
  • Sie ist Mitglied im Limburger Domchor, dort singt sie im Alt.
  • Seit diesem Jahr ist sie Beauftragte der hessischen Bistümer im Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks.
     

 

Ruth Lehnen